Warum wir Kulturmenschen nicht die Guten sind und warum nicht alles gut wird

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Ein Konzert in einer beliebigen Stadt mit einem beliebigen Publikum. „In Zeiten wie diesen müssen wir zusammenhalten. Wir dürfen uns nicht in unserer Freiheit einschränken lassen. Wir sind die Guten und alles wird gut.“ Euphorischer Applaus. Der Terror hat Einzug in die Glasglocke Europa gehalten. Jetzt dürfen wir nur nicht nervös werden oder gar unsere Werte über Bord werfen. Es gehört weiterhin gesungen, getanzt und musiziert.
So weit so gut. So weit so richtig. Die Annahme dahinter ist aber falsch. Nur weil wir auf Konzerte gehen und Musik lieben, sind wir keine besseren Menschen. Es nützt auch nichts kulturelle Bildung und kulturelles Wissen dem verhärteten und erkalteten politischen Diskurs gegenüber zu stellen. Die implizite Behauptung, dass kulturelle Bildung und kulturelles Wissen zwangsläufig zu einer humaneren Gesellschaft führen ist geradezu absurd.
Allein schon die These, dass sich in der Kunst die Gesellschaft spiegelt ist falsch. Es spiegelt sich absolut nichts in der Kunst. Sie bezieht sich in erster Linie auf sich selbst und verhandelt ihre über die Jahrzehnte und Jahrhunderte gewachsenen und erweiterten Möglichkeiten. Andere, politischere Zugänge zur Kunst überfordern das System Kunst und tragen utopische Ansprüche und Wünsche mit hinein, die eigentlich auf andere Ebene gelöst werden müssten.
Damit zeigt sich auch schon das Problem an dem obigen Zitat einer Sängerin, deren Name nichts zur Sache tut. Bei solcherlei Aussagen werden die Musik und die Kunst zur netten Begleiterscheinung für dumpfe und sinnentleerte Durchhalteparolen. Das ist letztlich eine Beschneidung des Kunst-Seins von Musik.
Statt gesellschaftliche Erwartung an die Musik heranzutragen und sich tatsächliche Konsequenzen auf politischer Ebene zu wünschen wäre es sinnvoller, sich anzusehen, was Kunst tatsächlich leisten kann.
Kunst, hier exemplarisch vertreten von der Musik, arrangiert, schafft Zusammenhänge wo vorher Chaos und bloßer noch unstrukturierter Möglichkeitsraum war.
Sie schafft in diversen und komplexen Verfahren notwendige Zusammenhänge, wo zuvor Beliebigkeit stand. Sie kann aber auch, dann völlig selbstreferentiell, dasjenige wieder kaputtschlagen und auflösen, was sich über die Zeit als Quasi-Natürlichkeit im eigenen System eingenistet hat. Musik kann mit gewohnten und/oder automatisieren Formen spielen, sie pervertieren, sie umkehren.
Es liegt somit nahe zu behaupten, dass Kunst dann eine problematische Rolle einnimmt, wenn sie in den Dienst der vermeintlich „guten Sache“ gestellt wird oder sich sogar freiwillig in diesen Dienst stellt. Denn das „Gute“ ist auch ein Kind der jeweiligen Zeit und des jeweiligen Kontextes. Natürlich macht es einen Unterschied, ob die Musik von Richard Wagner beim Reichsparteitag der Nazis läuft oder ob deutschsprachiger Indie-Rock-Pop zum Soundtrack für urban geprägte Bobos wird, die auf der garantiert richtigen politischen Seite stehen. Aber letzten Ende ist es ein vergleichbarer Missbrauch von Kunst und von Musik.
Tatsächlich wäre es wesentlich interessanter, wenn wir Verfahren aus der Kunst direkt in andere System einschleusen würden. Etwa den Umgang mit Vergangenheit und Tradition und den Möglichkeiten, aus diesen heraus neuartige Ideen zu formulieren. Etwa auch die Verfahren der Authentizität oder der poetischen Rede. Oder die Verfahren der Verdichtung und Auflösung von Konstrukten.
Bei einigen künstlerischen Verfahren werden wir feststellen, dass sie weder „gut“ noch „böse“ sind. Sie können sowohl zur Manipulation als auch zur Ent-automatisierung und Bewusstmachung von gesellschaftlichen Prozessen etabliert werden. Dann wird auch deutlich, dass wird mit Kunst und mit Musik nicht die Welt retten werden und wir dem Terror und den derzeitigen Entwicklungen kaum etwas entgegen setzen können. Erst recht nicht, wenn wir das komplexe System Kunst eindampfen und davon nicht viel mehr als seichtes Pop-Geplänkel und naives Gutmenschen-Geraune übrig bleibt.
Wenn Kunst irgendetwas sollte, dann sollte sie vor allem Kunst bleiben. Sich nicht zu sehr einmischen. Nicht zu sehr verflachen und sich somit nicht alleinig in den Dienst der „richtigen“ Sache stellen lassen. Denn dann wird erst recht nichts mehr gut werden, sondern alles nur noch sehr viel schlimmer.

Titelbild: Cara Burke

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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