Kunst ist keine Geldfrage

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Was ist es, das viele Menschen an der modernen Kunst so sehr ärgert? Dass sie in vielen Fällen gar nicht mehr schön ist? Dass sie uns mit ihren kryptischen Botschaften eigentlich in erster Linie verunsichert und beleidigt? Dass sie so versponnen ist in ihre Konzepte und Diskurse, dass sie sich gar nicht mehr selbst reflektieren kann und will?
Das jedenfalls kann man der Manifesta, die sich alle zwei Jahre in einer anderen europäischen Stadt ereignet, zu diesem elften Mal in Zürich, nicht vorwerfen!
Wenn wir nämlich fragen, was Menschen für Geld machen (Motto: „What People Do For Money – Some Joint Ventures“), müssen wir fast zwangsläufig auch fragen, was Künstler alles für Geld machen. Und was sie damit eigentlich wollen.


Was tun wir, wenn wir tätig sind?


Die konzeptuelle Stoßrichtung ist aber ganz allgemein gehalten. Und man ist als Besucher stets aufgefordert, sich selbst mitsamt dem eigenen Leben zu befragen. Arbeiten müssen/sollen/können wir schließlich fast alle. Es geht also ebenso sehr um Anthropologie wie um Kunst.
Eingeleitet wird die größte der insgesamt über 30 Ausstellungen etwa mit einem Filmausschnitt aus Andrei Tarkowskis Scince-Fiction-Film „Solaris“ – der Protagonist arbeitet auf einer Raumstation, in der auch Pieter Bruegels „Jäger im Schnee“ hängt. Jäger und Astronaut, beides sind letztlich Berufe.
Doch wo würden wir uns selbst als Arbeitende ansiedeln auf der Skala zwischen der naturverbundenen Tätigkeit, die das Überleben sichert, und dem hochprofessionellen Spezialistentum, das das stabile Wirtschaftswachstum sichert? Wie glücklich sind wir damit? Wie entfremdet fühlen wir uns? (Denn wo der Geist der Kunst weht ist auch heute oft der Marxismus nicht fern.)
Ausgestellt wird auch eine wunderbare Sammlung analoger Fotografien von August Sander und Olga Chernysheva, die, der eine in den 20er und 30er Jahren in Deutschland, die andere im postsowjetischen Russland, Menschen bei der Ausübung ihrer Berufe zeigen. Das sind wunderbare Zeitzeugnisse, denn viele Handwerke sind im Laufe der Jahrzehnte verloren gegangen. Sie werfen auch die Frage auf, was überhaupt alles als Beruf durchgeht. Ist Schmuggler ein Beruf? Nonne? Wetterprophet?
Altmodisch muten die Bilder vor allem deshalb an, weil wir heute ja gar nicht mehr gerne vom „Beruf“ reden – das ist etwas für Spießer. Wir Jungen haben lieber „Jobs“, am besten alle paar Monate einen anderen, je nachdem, wie’s gerade opportun ist.
Der „Beruf“ ist schließlich, wie konservativ!, mit der „Berufung“ verwandt (womit die Frage nach der Nonne beantwortet wäre) – etwas, das wir vielleicht nicht ausschließlich für Geld machen, sondern auf das wir unsere Lebenszeit verwenden, das wir idealerweise mit Hingabe tun.


Im Schweiße unseres Angesichts?


Das aber muss man sich erst einmal leisten können. Denn die soziale Dimension der Arbeit – Armut, Wirtschaftsflucht, Diskriminierung – will natürlich nicht ausgeklammert sein! Schließlich hat für weite Teile der Menschheit, jene, die in Sweatshops schuften oder auf den Strich gehen, die konkrete Arbeit mit Selbstverwirklichung praktisch gar nichts zu tun.
Und die ausgeprägte Freizeitkultur der Mittelschicht deutet darauf hin, dass auch ihr etwas Essentielles abgeht, ja, dass irgendetwas richtig gehend schief läuft. In einer beklemmenden Installation von Jon Rafman gehen idyllische Meditationsvideos, wie wir sie uns gerne vor dem Yoga oder der Wellnessbehandlung reinziehen, nahtlos in Sequenzen von extremer Hoffnungslosigkeit und Tristesse über.
Immer wieder die Frage: Wie gut geht es uns mit dem, was wir tagtäglich tun? Wie wirkt es sich auf uns selbst und unsere Mitwelt aus? Wieso brauchen wir eine „Work-Life-Balance“? Ist Arbeit denn nicht Leben?
Hier kommt dann auch wieder die unangenehme (triviale?) Frage nach dem Geld ins Spiel – umgegangen wird damit aber sehr offen. Es geht um Lohngerechtigkeit, auch um Künstlergagen und darum, wie klein sie im Vergleich zum Verkaufspreis sind. Dass auch Künstler von mehr als Luft und Anerkennung leben müssen, ist schon eine Beleidigung für das bisschen an Idealismus, das wir uns bewahrt haben; aber jemand muss doch darüber reden. Wenn es sein muss, in aller Klarheit.
Trotzdem bleibt als einzig denkbares Fazit, das in sich nicht sehr originell ist, aber wunderbar originell dafür die Umsetzung: Erst, wenn es uns nicht mehr ausschließlich ums Geld geht, tun wir etwas, das unserer menschlichen Natur würdig ist – wir gehen unserer „Berufung“ nach. Das ist die Utopie, der mythische Kontinent „Mu“, dem die Künstlerin Aslı Çavuşoğlu auf der Spur ist. Das ist das Boot, in dem Jean-Jacques Rousseau auf dem Genfer See seine philosophischen Eingebungen hatte und das Jorinde Voigt zum Gegenstand einer Arbeit macht.
Sehr schön zeigt es sich auch in der ruhigen, aber aussagekräftigen Kurzdoku „Simply the Best“, in der es um einen jungen Schweizer Feuerwehrmann und seine Leidenschaft für den Jazz geht.


Im Pavillon wird reflektiert


Überhaupt lebt die Manifesta 11 von ihrem ausgeprägten Filmschwerpunkt. Eine ganz wunderbare Hauptlocation ist der Pavillon of Reflections (sh. Bild), eigens von einem Zürcher Designstudio gebaut. Abends werden dort auf einer großen Leinwand Kurzfilme gezeigt, die Studenten der Zürcher Hochschule der Künste produziert haben.
Sie zeigen die Manifesta behind-the-scenes: Als Zuschauer kann man die Kunstwerke, die man eben noch als Endprodukt in der Ausstellung betrachtet hat, im Entstehungsprozess begleiten. Unter den Künstlern sind viele junge und unbekannte, aber auch umstrittene Größen wir Michel Houellebecq. Die Idee ist eine schöne. Schön, weil sie einen ungewöhnlichen Blick auf Kunst und ihre gesellschaftliche Bedeutung ermöglicht. Es geht heute, insbesondere auf dem Kunstmarkt, immer öfter massiv um die Person – um den Künstlerstar (auch zu diesem Thema gibt es auf der Manifesta 11 Arbeiten). Der andere, „seriösere“ Blick ist die reine Werkanalyse, die Konzentration auf das Produkt. Ob wir nicht eine wichtige Dimension auslassen, wenn wir nur das Fertige, Abgeschlossene und Statische betrachten? Hannah Arendt hielt die bildende Kunst aus diesem Grund für eigentlich unpolitisch, für eine Domäne des Homo faber: Die Person scheint nie als solche auf, in erster Linie geht es darum etwas möglichst Wertvolles zu hinterlassen, das uns überdauert.
Zu zeigen, wie ein Kunstwerk entsteht – welche Gedanken dahinterstehen, wie viele Anläufe es braucht, wie viele Personen oft beteiligt sind, damit das Projekt gelingt – ist ein dritter Weg. Er lässt die Geschichte hinter dem Bild, der Skulptur, der Installation begreifbar werden und ermöglicht ein Verstehen des Prozesses. Oft kann man sich einem Kunstwerk erst auf diese Art wirklich nähern und ein Gefühl dafür entwickeln, was es ausdrückt.


Fazit


Wer in nächster Zeit in der charmanten Stadt am Zürisee weilt oder einmal hinfahren möchte: Die Manifesta ist eine schöne Gelegenheit. Sie ist nicht nur eine große Ausstellung. Sie zwingt auch zur Auseinandersetzung mit sich selbst und dem eigenen Tätigsein. Nicht alle Ausstellungen und einzelnen Werke sind dazu gleich geeignet, nicht alle gleich zugänglich oder nahegehend. Aber der Vorteil an der Verteilung auf 34 Locations: Man kann sich einfach sein eigenes Programm zusammenstellen. Und dann einfach schauen, was die Manifesta so macht. Sicher ist: Sie provoziert sehr persönliche Reaktionen – tatsächlich würde man ganz gerne öfter auf diese Art provoziert und verunsichert werden. Grund, sich zu ärgern gibt es aber deshalb keinen!
Geldfrage sollte der Besuch der Manifesta nicht sein: Das 24-Stunden-Ticket á 30 (ermäßigt: 25) Stutz, das ist für Zürcher Verhältnisse und für das reiche Angebot sehr moderat. Einen guten ersten Überblick bietet die Manifesta-Website. Neben der eigentlichen Ausstellung gibt es viele Parallelveranstaltungen, darunter Konzerte, Performances und ein Open-air-Kino.

Titelbild: (c) Manifesta 11 / Nora Hauswirth

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