Die Sozialistin und das Edelweiß

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Im Gefängnis, so sagt man, finden Menschen die eigentümlichsten Mittel und Wege, dem Stumpfsinn entgegen zu wirken. Manche werden religiös, wie Helmuth James von Moltke, andere widmen sich der Bildung, wie Nelson Mandela – und wieder andere politisieren aufs Heftigste, wie Hitler.

Blumen im Häfen

Auch von Rosa Luxemburg sind aus der Zeit ihrer Haft während des Ersten Weltkriegs vor allem politische Aufsätze und Artikel bekannt, die sogar Lenin mit Vergnügen las. Luxemburg war über drei Jahre dauerhaft im Zuchthaus. Als Sozialistin lebte sie im Deutschen Reich natürlich gefährlich. Als Sozialistin, die gegen den Krieg war, hatte sie praktisch keine Lobby.
Eigentlich wollte die junge Rosalia Naturwissenschaftlerin werden, aber während ihrer Studienzeit in der Schweiz wurde sie schnell zur Geliebten eines litauischen Sozialisten – und war damit auf Lebenszeit an die „verfluchte Politik“ geschmiedet.
Viel später fand sie dann zur Botanik zurück und im Berliner Zuchthaus wurde sie ihr zum Zeitvertreib, zur Leidenschaft und vielleicht sogar ein wenig zu Therapie.
In dieser Zeit legte sie in 18 Heften ein Herbarium aus getrockneten Pflanzen an, mit detaillierten Beschreibungen und vor allem mit großer Sorgfalt. Nein, das war keine Tätigkeit, die der Revolution diente – wie auch die Malerei, der sie sich in den Jahren davor gewidmet hatte.
Gleich nach ihrer Inhaftierung fing Luxemburg an, ihre Sekretärin um Pflanzen zu bitten, die die ihr dann per Post zukommen ließ. In vielen Briefen aus dem Gefängnis erzählt sie davon mit heiterer Gelassenheit – als könnte sie alles mit Leichtigkeit ertragen, solange sie nur Pflanzen hätte. In ihrem Herbarium finden sich ganz gewöhnliche Wiesenblumen: Schafgarbe, Pfefferminz und und Disteln, aber mittendrin auch mal zwei Edelweiß.

Die Entdeckung

© Karl Dietz Verlag
© Karl Dietz Verlag

Über lange Jahrzehnte waren die Hefte verschollen, bis sie nach der Wende in ein Archiv in Warschau kamen, und erst vor ein paar Jahren wiederentdeckt wurden. Dieses Jahr wurden sie dann vom Karl Dietz Verlag als Bildband veröffentlicht, und zwar zur Gänze. Bestseller wird das Herbarium wohl keiner, wenn die erste Auflage auch schon vergriffen ist – aber es ist in jeder Bibliothek ein „Kleinod“ (auch wenn das dem sozialistischen Geist eher widerstrebt – man kann es ja brüderlich teilen).
Natürlich stellt sich bei der Bücherflut am Markt die Frage, weshalb es ausgerechnet dieses sein muss. Nun, weil es ganz einfach schön ist, liebevoll gemacht, beeindruckend und ein wunderbares Zeitzeugnis. Weil immer nach dem Zweck von etwas zu fragen, eine der hässlichsten Seiten sowohl am Kapitalismus wie am Sozialismus ist. Weil es faszinierend ist zu sehen, wie eine Frau, die mit so viel Vehemenz und Streitlust das „Proletariat aufwiegelte“, mit so viel Muße und Zartgefühl Pflanzen sammeln konnte.

In der Welt zu Hause

Denn Luxemburg war keine sanfte Sozialistin. Sie war polemisch, radikal und kompromisslos. Sie drosch mit bitterer Ironie auf alle Genossen ein, die das Endziel, nämlich die „Eroberung der politischen Macht“ zur „Doktorfrage“ machte. Sie wollte eine Revolution und versuchte sie auch – was sie und ihren Mitstreiter Karl Liebknecht am Ende den Kopf kostete.
Aber sie war eine menschliche Sozialistin, die sich vehement gegen den Krieg aussprach und Lenins Diktatur heftig kritisierte. Sie wollte eine Revolution, weil sie sich davon eine bessere Welt versprach. „Mensch sein“, sagte sie, „ist von allem die Hauptsache. Und das heißt fest und klar und heiter sein, ja heiter, trotz alledem.“
Vielleicht war sie sogar eine romantische Sozialistin.
Und man möchte sagen: Wenn die europäische Linke stärker von Menschen wie Rosa Luxemburg geprägt worden wäre, hätte sie vielleicht eine andere Entwicklung nehmen können.
Dann wäre sie vielleicht auch heute nicht so verwaschen, so maßlos arrogant und so anpasslerisch, wie es auch die SPD zur Kriegserklärung 1914 war. Ob die Botanik dagegen hilft, ist natürlich sehr fraglich. Aber vielleicht ein gewisses Bewusstsein dafür, „in der ganzen Welt zu Hause“ zu sein, überall „wo es Wolken und Vögel und Menschentränen“ gibt, wie Luxemburg einmal besonders poetisch schrieb. Und was das heißt, kann man womöglich sogar aus einem alten, vergilbten Herbarium lernen.

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