Libanon Reise im Dezember 2016

10 Minuten Lesedauer
Fotos „Weitere Impressionen“ (c) Frode Ramone, flickr.com, alle anderen (c) Die Grünen OÖ

Liebe Freundinnen und Freunde,

vom 7. bis zum 11. Dezember war ich gemeinsam mit LR Rudi Anschober und LRin Martina Berthold im Libanon. Katharina Schuierer, meine Büroleiterin, hat mich begleitet. Mit dabei waren auch Stefan Meier und Daniela Pamminger von der Caritas und 10 JournalistInnen.
Der Libanon ist seit 1926 eine Republik und derzeit eine parlamentarische Demokratie. Die innenpolitische Lage ist aufgrund des Konfessionalismus sehr komplex und wenig stabil. Mehrere Präsidenten, Ministerpräsidenten und andere Politiker wurden in der Geschichte des Libanon während oder nach ihrer Amtszeit ermordet. Die Verfassung von 1926 wurde zuletzt 1999 geändert, über deren Einhaltung wacht der Verfassungsrat des Libanon.
Die vier höchsten Staatsämter sind durch die sogenannte libanesische Zauberformel, Mitgliedern bestimmter religiöser Gruppen vorbehalten:

  • Das Staatsoberhaupt muss den maronitischen Christen angehören,
  • der Parlamentspräsident den schiitischen Muslimen,
  • der Regierungschef den sunnitischen Muslimen
  • und der Oberbefehlshaber der Armee muss Christ sein.

Diese Regeln basieren nicht auf der Verfassung von 1926, sondern wurden zwischen den Vertretern der Konfessionen zuletzt im Abkommen von Taif bestätigt. Diese Information habe ich an den Anfang gestellt, weil es für uns sehr schwer nachvollziehbar ist, wie stark sich die Politik an religiösen Gruppierungen orientiert.
Ich erzähle oft, dass der Libanon 2,5 Millionen Flüchtlinge aufgenommen hat, obwohl er flächenmäßig kleiner als Tirol ist. Und das wollte ich mir aus der Nähe ansehen. Die Anreise war unkompliziert, das Visum erhält man am Flughafen – allerdings darf kein Visum für Israel im Pass vermerkt sein.

Zwischen Schulprojekten und Frauenhändlern

Am Abend des ersten Tages trafen wir den österreichischen Botschafter im Libanon und seinen Konsul sowie die Mitarbeiterin der Botschaft in Damaskus, da auch die österreichische Botschaft für Syrien mittlerweile in Beirut stationiert ist. Diese hat uns berichtet, dass sie immer wieder nach Damaskus fährt und es in Damaskus ein relativ „normales“ Leben gäbe.
libanon-1Es war interessant zu hören, wie viele Anträge auf Familienzusammenführung derzeit abzuarbeiten sind und auch, wie sie mit unechten Dokumenten umgehen. Am 8.12. besuchten wir das Caritas-Vorschulprojekt „Beth Aleph“: Dort werden Kinder von Flüchtlingen und MigrantInnen auf das libanesische Schulsystem vorbereitet. Im Libanon wird neben Arabisch auch in Englisch und teilweise in Französisch unterrichtet. Dabei ist es enorm wichtig, dass es zu keinen großen Spannungen zwischen den Flüchtlingen und anderen armen Gruppen kommt.
Anschließend waren wir in einem Internat und einer Schule der Barmherzigen Schwestern. Auch dort leben und lernen viele Flüchtlingskinder. Die Leiterin erzählte uns, wie sie die Nachbarschaft informierten, bevor die ersten Familien kamen und welche Ängste und Befürchtungen es gab. Die Ängste der einheimischen Bevölkerung ähneln jenen, die auch bei uns artikuliert werden. Nur mit dem Unterschied, dass die Flüchtlingszahlen im Libanon nicht mit jenen von Tirol zu vergleichen sind.

Nach einem großartigen Essen bei den Schwestern ging es weiter in ein von der Caritas geführtes Frauenhaus. Dort wohnen Frauen mit ihren Kindern, die häusliche Gewalt erfahren haben. Auch eine Gruppe von 45 Frauen, die jahrelang zur Prostitution gezwungen worden waren, fand hier Schutz und Hilfe, nachdem die Polizei ein Netzwerk der Frauenhändler aufgedeckt hat. Insgesamt wohnen dort 98 Frauen und Kinder und werden von acht Frauen rund um die Uhr betreut. Wir hatten die Gelegenheit, mit einigen der Frauen zu sprechen und bekamen den Eindruck, dass die Mitarbeiterinnen sehr gut ausgebildet sind und sehr professionelle Arbeit leisten.

Auf der Straße sind uns immer wieder zwei Plakate besonders aufgefallen: Eine Kampagne für die Anhebung des Heiratsalters auf 18 sowie eine Kampagne, um jenes Gesetz zu ändern, das einen Vergewaltiger straffrei ausgehen lässt, wenn er sein Opfer heiratet. Die Kampagne war erfolgreich und das Gesetz wurde geändert. Daran ist zu erkennen, dass erste Anstrengungen zum Schutz von Frauen und Mädchen vor sexualisierter Gewalt gemacht werden.

Die politische und wirtschaftliche Lage

09. Dezember: Wir starteten am Vormittag mit einem Vortrag an der Amerikanischen Universität (es gibt 40 Unis im Libanon) in einem von Zaha Hadid neu errichteten Gebäude. Wir hörten viel über den Klimawandel und seine Auswirkungen auf die Gesellschaft – nicht zuletzt auf Migrationsbewegungen: Hier der Link zur American University of Beirut.

libanon-2Am Nachmittag trafen wir VertreterInnen der UNICEF und des UNDP, später der EU-Botschaft. In diesen Gesprächen hörten vieles über den Libanon, seine politische und wirtschaftliche Lage, die Spannungen in der Region, die Beziehung zur EU sowie über die vielen Gelder, welche die Geberländer in die unterschiedlichen Projekte investieren.

Am Abend besuchten wir die Altstadt Beiruts, die noch vor einigen Jahren im Zuge des letzten Israel- Krieges dem Erdboden gleichgemacht war. Zwei, drei Straßenzüge sind wieder aufgebaut, aber menschenleer. Wir waren alle froh, uns am Abend im Hotel immer wieder über die Eindrücke austauschen zu können – die Stimmung in der österreichischen Delegation war angespannt.

Am 10. Dezember – dem internationalen Tag der Menschenrechte – fuhren wir in die Bekaa Ebene und besuchten dort Flüchtlingslager. In behelfsmäßigen Zeltlagern leben dort eine Million Menschen, viele davon sind Kinder. Für den Unterhalt sorgen die Vereinten Nationen und viele NGOs. Die Flüchtlinge zahlen 230 Dollar für ein Zelt samt Wasser und Strom. Im Sommer finden sie oft Arbeit in der Landwirtschaft für 5 Dollar am Tag. Die Winter sind sehr kalt, mit ausgiebigen Schneefällen und ohne Aussicht auf Arbeit.

libanon-3Weitere 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge leben in den Städten in Häusern, Garagen oder Ruinen. Sie versuchen, einer Arbeit nachzugehen und sind in Konkurrenz mit vielen ArbeitsmigrantInnen, u.a. aus Ägypten, Eritrea, Somalia, Indien und Sri Lanka. Das führt immer wieder zu Spannungen.

Die Schulen werden zu 80% privat geführt. Viele NGOs und die UNICEF verhelfen den Kindern zu Schulbildung, insgesamt besuchen 74% der Kinder die Schule. Am Vormittag gehen die libanesischen Kinder in die Schule, am Nachmittag werden die Flüchtlingskinder unterrichtet. Die Gelder der Geberländer tragen viel zur politischen Stabilität bei – trotzdem ist es ein sehr labiles Gleichgewicht. Die Schulklassen sind bunt gemischt – auch am Vormittag besuchen syrische Flüchtlingskinder und Kinder von ArbeitsmigrantInnen die Schule.

Nach einem Besuch des SOS-Kinderdorfes im Libanon am Nachmittag fliegen wir in der Nacht zurück nach Frankfurt.

Persönliche Eindrücke

Ich glaube, ich war noch nie so nachdenklich und beeindruckt und voller Gedanken und Bilder wie nach dieser Reise. Es gäbe noch so viel zu erzählen… Jetzt kurz vor Weihnachten waren wir dem Heiligen Land (so bezeichnen die Libanesen Israel und Palästina) sehr nahe. Überall im Libanon gab es Weihnachtsdekoration und Lichterketten. Gleichzeitig ist im Libanon der Krieg überall nahe und spürbar. Und gleichzeitig ist der Libanon voller Herbergssuchender.

Ich für mich bin mir sicher wie nie:

  1. Wir dürfen uns nicht der Ohnmacht und dem Hass überlassen, wenn wir mit diesen großen Herausforderungen konfrontiert sind.
  2. Die Kinder brauchen Bildung, Bildung, Bildung.
  3. Wir müssen in die Gleichstellung und Emanzipation von Frauen investieren.

Dies sind drei Schritte, wie wir dem Frieden entgegen gehen können. Überall auf der Welt.

Fröhliche Weihnachten!


Text: Landesrätin Dr. Christine Baur


 Weitere Impressionen:

(c) Frode Ramone, flickr.com
(c) Frode Ramone, flickr.com

(c) Frode Ramone, flickr.com
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(c) Frode Ramone, flickr.com
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(c) Frode Ramone, flickr.com
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