Plattenzeit #58: Becca Stevens – Regina

5 Minuten Lesedauer

Königin


Das Album „Regina“ der Wahl-New Yorkerin Becca Stevens ist ein Konzept-Album. Jedoch nicht in einem strengen Sinne und schon gar nicht im Sinne von so manchem „Prog-Rock-Schinken“, in welchem durchgehende Geschichten und ganze Entwicklungsromane erzählt werden. Stevens hat vielmehr 2014 ein Konzept gewählt, durch das die Entstehung dieses Albums erst möglich wurde. In exakt diesem Jahr begann sie nämlich damit die vorliegenden Songs über, der Titel verrät es schon, Königinnen zu schreiben.
Die Bandbreite ist dabei groß. Literarische Vorbilder, ihre eigene Großmutter, der Sänger von Queen und nicht zuletzt die eigene innere Königin sind Themen des Albums. Gleich in ihrem ersten Lied „Venus“ lässt sie beispielsweise zwei königliche Göttinnen in einen Wettstreit treten. Die Musik, die sie dazu in mühevoller Detailarbeit komponiert und sorgsamst arrangiert hat, ist eine mittelschwere Sensation. Man hört den Songs ihre Qualität sofort an, braucht jedoch ein wenig länger um wirklich hineinzufinden und den wendigen und irrwitzigen Melodien zu folgen.
Musikalisch schöpft Becca Stevens wahrlich aus dem Vollen. Zahlreiche hochkarätige Gastmusiker (beispielsweise Laura Mvula, Jacob Collier oder Alan Hampton) wurden eingeladen, Streicher auf Band gebannt und unfassbar schöne Harmonie-Gesänge eingesungen. Lo-Fi und First-Take sind nichts für Becca Stevens. Stattdessen hört man die Detailverliebtheit und den „Schwierigkeitsgrad“ in jedem Augenblick. Künstlerisch wird geschichtet, hier noch ein wenig drauf gepackt und generell kein Risiko gescheut. Dennoch schwebt ihre Musik.
Stevens selbst sagt über „Regina“, dass sie im Verlauf des Schreibens dieses Albums durch das Königinnen-Konzept ein regelrechtes Alter-Ego entwickelt habe. Becca Stevens hat also wohl nicht zuletzt das göttliche in ihr entdeckt und wollte sich ein kleines Musik-Denkmal setzen.
Erstaunlich daran ist aber, dass sie es trotz allem niemals übertreibt. Zwar wirbeln Pop, Soul, Jazz, klassische Anleihen und weiß der Musenhimmel was sonst noch auf diesem Album wild durcheinander, doch die Songs brechen niemals auseinander. Auch die Tatsache, dass nicht immer auf Homogenität geachtet wurde, sondern einem zart-zerbrechlichen Song-Konstrukt ein lauter, fast schon punkiger Gitarren-Kracher folgen kann, tut dem über einstündigen Hörgenuss keinen Abbruch.
Stevens kennt nämlich ihre Vorbilder und weiß, dass auch diese nicht immer bescheiden zur Sache gingen. Es sind vor allem Björk, Joni Mitchell und Kate Bush, die sie als Songwriter verehrt. Immer wieder lässt sich aber auch Sade oder beispielsweise Tori Amos auf „Regina“ erahnen. Insgesamt verkommt die Meister-Songwriterin aber nie zur Nachahmerin, sondern schwingt sich kühn auf zur Weiterdenkerin. Selbst der David Crosby hat ihr mit „The Muse“ einen Text für das Album zur Hand gegeben, den Stevens musikalisch ausführt. Er ist voll des Lobes und schreibt ihr nahezu geniehafte Eigenschaften zu. Ebenso tut das der selbst auch nicht ganz untalentierte Trompeter Ambrose Akinmusire, für den Stevens schon vor einiger Zeit komponierte.
„Regina“ nimmt sich viel Zeit. Man könnte auch sagen zu viel. Reduktion, Zurückhaltung und Beschneidung der eigenen Fertigkeiten ist nicht das, was Stevens auf diesem Album anstrebt. Stattdessen ist es maximaler Einsatz für ein maximales Ergebnis. Aus den Pop-Songs werden nach wiederholtem Hören wahre Song-Monster, die einen auch nach mehrmaligen Hördurchgängen noch liebevoll und quirlig abschütteln wollen. Der fantastisch singenden und agierenden Stevens verzeiht man aber, dass  sie Songs vorlegt, die deutlich zu klug für die Pop-Charts und deutlich zu wenig jazzig für die Jazz-Charts sind. „Regina“ ist alles und nichts, sowohl als auch und überhaupt eine gewaltige „Leistung“. „Belohnt“ für all das wird Stevens damit, dass sie von Kritiker zwar geliebt, von einer breiteren Masse aber (noch) ignoriert wird.


 Fazit


Mit „Regina“ hat Becca Stevans ihre beste, konziseste, herausforderndste, üppigste und klarste Platte bisher veröffentlicht. Allein dass diese Attribute hier keine Widersprüche darstellen, sondern zu einem wunderbar symbiotischen und grenzenlosen Hörvergnügen beitragen sagt viel über die wahrlich große Klasse dieser Platte aus.


Zum Reinhören



 Titelbild: (c) Paul Janssen / vwahumaine fotografie, Bearbeitung: Felix Kozubek

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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