Der Groove, der Berührung schafft

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(c) ORF

Wer das Veranstaltungsprogramm größerer wie kleinerer Kulturstädte eingehend studiert, wird – zumal im Musikteil – häufig eine rätselhafte Polarisierung der Mentalitäten feststellen. Es gibt die zu inoffiziellen Parteitagen gewordenen Establishment-Konzerte und das zum Establishment gewordene, artifiziell abgefuckte Alternativprogramm. Dazwischen wenig. Deshalb bildet man als Laie irgendwann die völlig ungerechtfertigte Meinung, dass Musik entweder hochwertig oder cool und nur in seltenen Ausnahmen beides ist.

Always be Rufus Wainwright…

Technische Perfektion lässt keinen Raum für Originalität und Witz. Ich bin der starken Überzeugung, dass eine Beerdigung im Tiroler Oberland lustiger ist als ein Konzert von Lang Lang.
Das andere Extrem ist der Typ Leonard Cohen, der über seine Kritiker sagte: „Die behaupten, ich kann nur drei Akkorde auf der Gitarre. Dabei kann ich fünf!“ Dafür konnte er richtig schmutzige Witze über Büffelherden erzählen. Und richtig aufwühlende Songs schreiben. Es scheint zwei Alternativen zu geben: Ästhetisch, aber geistlos. Oder geil, aber mies. Rühmliche Ausnahmen sind Rufus Wainwright und unsere Lieblings-Hollywood-Komponisten. Schwul, aber begabt.
Dass Konservatorien etwas ausspucken, das gleichermaßen hörenswert wie ausgefeilt, gleichermaßen zugänglich wie musikalisch hochwertig und gleichermaßen originell wie traditionstreu ist, passiert jedenfalls relativ zum akademischen Gesamtaufwand ziemlich selten.
Das würde auch das kleine Kulturerdbeben erklären, das das Groovin’ Tango QuINNtett mit neuartigen Schallwellen durch Österreich geschickt hat (Epizentrum: Musikgymnasium Innsbruck). Der Bandname ist zugegeben nicht der erste lustige Wortwitz, der Kultur mit dem Oenum zu verbinden sucht, aber Musiker müssen bekanntlich über keinerlei Sprachbegabung verfügen. Diese hier tun es trotzdem.

… if you can’t be Rufus Wainwright, be Tango

Frei nach dem Motto „Wir spielen alles, und wenn jemand keinen Tango komponiert hat, schreiben wir ihn um“ hat das quINNtett sowohl ein witziges Programm als auch ein kluges Marketingkonzept. Da erwischt es dann schon mal den guten, alten Strauß und das quINNtett gewinnt aus heiterstem alpinen Himmel den ORF „Be Philharmonic“-Preis – (Blumen)-Strauß inklusive. Beim aktuellen Konzert im heimischen Treibhaus beschäftigt dann eher das Aufgrooven von „eh schon Tango“, nämlich allerhand von Astor Piazzolla, das für sich genommen „eh schon schmissig“ ist – aber mehr Groove geht immer. Zumal, wenn man die richtigen Instrumente dafür hat.
Genial ist Lukas Duregger, im Vordergrund am Akkordeon und im Hintergrund am Arrangement. Er studiert dieses grandiose und in einem folkmäßigen unfriendly takeover ungerecht vereinnahmte Instrument am Konservatorium. Seine Mitstreiter an Klavier, Gitarre und Bass sind ebenso redselig wie talentiert, was insgesamt für sehr gute Unterhaltung sorgt. Die einzige Dame im quINNtett gab sich eher verbal schweigsam, aber umso redseliger und humorvoller an der Violine.

Aber tanzen soll man dürfen

Ich habe mich lange für eine unheilbare Banausin gehalten, weil ich in schlecht ventilierten Konzertsälen, in denen ich den Alterdurchschnitt um mindestens 10 Jahre drücke, oft müde und grantig werde. Inzwischen habe ich verstanden, dass das an der situationsbedingten Verkörperung liegt. Ich bin der radikalen Ansicht, dass man mindestens zu Beethoven-Symphonien, wenn nicht zu sogar Chopin-Etüden, auch ein bisschen schunkeln darf, wenn nicht muss.
Auch beim Groovin’ Tango quINNtett war die Bestuhlung war aus akustischen Gründen notwendig, aus anatomischer Perspektive aber völlig daneben. Tango muss auch ein bisschen sexy sein, und vor allem möchte man halt gerne dazu tanzen.
Wir haben viel zu viel Respekt vor klassischer Musik. Wir sollten eher (wieder) lernen, sie zu leben und zu verstehen versuchen, und dann gehörig respektlos mit ihr sein.

Zum Reinhören

https://www.youtube.com/watch?time_continue=1&v=rK9EUdTgCBg

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