„Der gestiefelte Kater“ bei Jeunesse, oder: Wie erziehe ich meine Kinder richtig?

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Eine Herausforderung. Oder nennt man das jetzt neuerdings „challenge“, ganz im Anschluss an die vielen „challenges“, die D-Promis im heutigen „Unterschicht-Fernsehen“ bestehen und durchmachen müssen? Meine „challenge“ ist jedenfalls leicht beschrieben: 1 Kinderkonzert bzw. Familienkonzert, 2 kleine Kinder (6 und 2,5 Jahre alt), ein überforderter Vater. Der Rahmen: „Der gestiefelte Kater“ in der Bäckerei Innsbruck, organisiert von Jeunesse Innsbruck.
Die erste Frage, die sich stellt ist eigentlich ganz einfach: Wie bereitet man seine Kinder am besten auf ein Konzert vor? Schließlich ist es wichtig, dass sie nicht ins kalte Wasser geworfen werden. Die schlimmste Folge daraus wäre wohl, dass der eigenen Sprösslinge, in die man so große Hoffnung steckt, sich letztlich von der Musik abwenden und sich in ihrem Leben für ganze andere Dinge interessieren. Zum Beispiel für Autos. Und dann jährlich zum Wörtersee-GTI-Treffen fahren und den Vater, der zuhause immer noch alte Jazz-Platten hört höchsten noch belächeln. So sieht zumindest mein ganz persönlicher Albtraum ist.
Um das tunlichst zu vermeiden spielte ich meinen beiden Mädls also das „Minetti Quartett“ zuhause vor, zwecks Vorbereitung. Natürlich finde ich den Weiten des Internets nichts, was an das Engagement in Sachen Musik für Kinder erinnert. Sondern eben nur das, was meine Mädls vielleicht als langweilige Erwachsenenmusik abtun würden. Dennoch entschließe ich mich, ihnen das besagt Hörbeispiel vorzuspielen. Die Reaktion meiner Großen folgt prompt und eigentlich wie erwartet: „Ich möchte da eigentlich, glaube ich, lieber nicht hingehen.“ So, wieder mal alles falsch gemacht.
Es braucht jedenfalls einige Minuten geschickter Argumentation um sie davon zu überzeugen, dass dieses Beispiel nicht repräsentativ ist für das gesamte Schaffen des Quartetts und dass es heute Abend eben um Musik ginge, die für Kinder gemacht und konsumierbar sei. Schließlich muss ein gutes Quartett in diesem Bereich immer vom schlimmsten Kind ausgehen, das keine 5 Minuten still sitzen kann. Nur dann sei es gut. Ich gebe es zu: Meine Argumentation war ein wenig hochgestochen. Aber sie konnte mir, zumindest teilweise, folgen. Sie ließ sich jedenfalls nach geschlagenen 30 Minuten dazu überreden die Schuhe und die Jacke anzuziehen, damit wir uns endlich auf dem Weg in die Bäckerei machen konnten. Die Kleine also in den Kinderwagen, die Große an meiner Hand. Es konnte losgehen Richtung Bäckerei.

Wie schauen Bilder aus, die ein überforderter Vater bei einem Konzert macht? Richtig: Verwackelt.
Wie schauen Bilder aus, die ein überforderter Vater bei einem Konzert macht? Richtig: Verwackelt.

„Der gestiefelte Kater“ und erste gravierende Zweifel…
Dort angekommen kamen weitere Zweifel auf: Würden die Kinder dort älter oder jünger sein? Hätte ich mich nicht vielleicht doch akribischer an die Altersvorgabe halten sollen? Ab 6 Jahren war das Stück empfohlen, die Kleine war gerade mal 2,7 Jahre alt. War ich ein wenig übermotiviert? War mein Glaube daran, dass Kinder in diesem Alter unbedingt und um jeden Preis an die gute alte Hochkultur herangeführt werden sollten etwa ein Irrglaube, der alles nur ins Gegenteil verkehrte?
Würde meine Tochter deshalb später keine kunstsinnige Intellektuelle, sondern eine oberflächliche RTL2 schauende Tussi werden, die mich mit 15 Jahren schon zum Opa macht? Mittlerweile waren wir schon in der Bäckerei und die Begrüßung dort machte mich abermals ein wenig stutzig. Die Begrüßung war zwar freundlich aber der bald darauf folgende Hinweis, dass es auch Veranstaltungen für Jüngere gab, machte mich stutzig. Wie würde meine kleine Tochter reagieren? Würde sie schreiend und als ewige Musikhasserin wieder aus der Bäckerei herauskommen?
Und was passiert, wenn man selbst unsicher ist? Liebe Eltern, ihr könnt mir diese Frage sicherlich beantworten. Richtig: Auch die Kinder werden unsicher und fühlen sich potentiell unwohl. Der erste Eindruck des Minetti Quartetts hingegen war für mich positiv: Perfekte Intonation, das spielerische Vermögen mehr als nur großartig. Aber würden das meine Kinder auch zu schätzen wissen? Die Ouvertüre des Stücks war zwar nicht allzu lange, aber zumindest vorhanden. Ich war hier bei einem wirklichen Konzert, das nicht erst erklärte, was ein Cello oder eine Geige überhaupt erst war. Von daher also verständlich, dass das alles erst ab 6 Jahren freigegeben war.
Verwackeltes Bild, die Zweite: Dieses Mal mit Chris Pichler, ganz rechts im Bild.
Verwackeltes Bild, die Zweite: Dieses Mal mit Chris Pichler, ganz rechts im Bild.

Auch die Musik war vielschichtig, zugänglich, aber ganz sicher nicht das, was ein Kind normalerweise, wenn es nicht ohnehin schon ein wenig mit klassischer Musik sozialisiert war, hören würde und augenblicklich als ansprechend empfinde würde. Definitiv: Hier war ein pädagogischer Anspruch im Spiel, der mir sehr gut gefiel. Kinder wurden hier nicht unterschätzt, aber auch nicht überschätzt.
Wer diese Musik hier als Kind versteht und schätzt, der kann sich wenige Jahre später auch in ganz „normale“ Konzerte hineinsetzen und diese schön und ansprechend finden. Zusammengehalten und erleichtert wurde das alles von der narrativen Ebene des Märchens und vom schauspielerischen Talent von Chris Pichler, die in eine Vielzahl von Rollen schlüpfte. Von Kater bis König war alles drinnen.
Die Reaktionen meiner Töchter auf das Stück, das also sehr ansprechend aber auch musikalisch für ihre Bedürfnisse durchaus anspruchsvoll daherkam? Sagen wir es so: Meine Größere war begeistert und vor allem vom Klang des Cellos sehr angetan. Vielleicht hatte ich da schon gute Vorarbeit geleistet indem ich ihr immer wieder Musik von Anja Lechner vorgespielt hatte, zu dessen Klang sie mal gesagt hätte, dass ihr Cello wie das Weinen einer Prinzessin klänge? Ihr könnt euch vorstellen, wie stolz ich auf sie in diesem Augenblick war.
Doch zurück zum Nachmittag in der Bäckerei: Zunehmend kehrte Unruhe ein. Meine Kleine  begann die eine oder andere Rauferei mit der Großen anzuzetteln, was sich natürlich auch auf den Lautstärkepegel auswirkte. Ich bemerkte aber zum Glück, dass nach ca. 40 Minuten auch andere Kinder lauter wurden und aufstanden. Das hatten wir zu diesem Zeitpunkt alles schon hinter uns, inklusive kleiner Jause.
Kurzum: Wir überstanden das Konzert. Wenn ich auch einige Momente der Überforderung eingestehen muss, die in eine Form von Resignation führte. Vielleicht auch dazu, dass ich mich selbst belog und mir während des Konzertes einredete, dass meine Kinder nicht die lautesten waren. Ein Kommentar nach dem Konzert ließ mich aber daran zweifeln, ob diese Wahrnehmung auch tatsächlich richtig war und nicht auf einer geschickten Strategie zur Selbsttäuschung beruhte. Ich wurde abermals darauf hingewiesen, dass es auch die Reihe für 1-3 jährige gab, wo mehr interaktive Aspekte eingebaut waren. Und dass Kinder mit diesem Alter halt von Stücken wie dem heutigen wenig hatten. Wer, wie ich, zwischen den Zeilen lesen kann, entdeckte hier zugleich einen gut gemeinten Rat und eine Aufforderung, auch zu diesen Konzerten zu kommen, aber auch eine subtile Kritik an meinem Unwissen. Ich gab mich demütig und zeigte mich einsichtig. Und versprach, wieder zu kommen.
Wie auch immer man die Situation jetzt bewertet, eine Frage ist evident: Wie geht man mit Kindern und Musik um? Lässt man die Kinder hören, was sie eben hören wollen oder sollte man sie langsam aber stetig in die sogenannte Hochkultur einführen? Sollte man ihnen musikalischen Anspruch und Komplexität bereits so früh wie möglich vermitteln, damit sie später dann nicht ausschließlich Boy-Bands hörten, die den musikalischen IQ meiner Zimmerpflanze besaßen?
Machten sich pädagogische Bemühungen überhaupt bezahlt und kamen dann am Ende wirklich musikalisch informierte und interessierte junge Erwachsene dabei heraus oder musste man die Zusammenhänge komplexer und weniger kausal denken? Ich werde nicht müde darauf hinzuweisen, dass ich auch aus einer „musikfernen Schicht“ komme, in denen Roy Black höher geschätzt wurde als J.S. Bach. Und doch ist aus mir, hoffentlich, ein mehr oder weniger musikalisch aufgeschlossenes Mensch geworden, der auch mit anspruchsvoller Musik umgehen kann.
Was also tun? Der Besuch einer Veranstaltung von „Jeunesse“ kann ein guter Anfang sein. Aber Vorsicht: Wer sich erst einmal mit Musik, Kindern und deren musikalischer Sozialisation befasst hat sich in ein sehr weites, kompliziertes Feld begeben, bei dem es keine einfachen Antworten gibt. Aber vielleicht sind diese Fragen ja auch zugleich schon die Antworten? Wer weiß. Ich würde wiederkommen und mich bei einem der nächsten Konzerte von Jeunesse weiter mit diesen Fragen beschäftigten. Beim nächsten Mal aber jeweils altersgerecht. Bis dahin hatte ich Zeit, mich mit ganz normalen Dingen wie Kinderziehung ganz generell zu beschäftigen. Was auch schon eine „challenge“ für sich war…

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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