Kleingeist und Größenwahn
Kleingeist und Größenwahn

Wie uns Mira Lu Kovacs durch (politisch) schwere Zeiten bringt

5 Minuten Lesedauer

Vor wenigen Tagen hat sich der Himmel über Österreich blau-türkis eingefärbt. Trotz herrlichem Herbstwetter frieren wir seither. Kälte überkommt uns. Vor allem die kommende menschliche Kälte ist jetzt schon zu spüren. Sehr bald schon wird sich ein kühler Sachpolitiker mit einem gefühlsarmen Nationalisten zusammentun um Österreich in den Gefühlsabgrund zu stürzen und eine zwischenmenschliche Eiszeit einzuläuten.
Wenige Tage nach der Wahl, die diese politisch-menschliche Zäsur hervorbringen wird, haben „5K HD“ im Innsbrucker Treibhaus gastiert. „Deren Musik befeuert die Hoffnung, ist ein Flächenbrand der zu Herzen geht“, formulierte es der politisch engagierte Treibhaus-Grantler Pleifer. Damit trifft er den Nagel auf den Kopf. Nur Musik kann uns durch solche Zeiten helfen. Nur herzergreifende Musik wie von 5K HD, denen Mira Lu Kovacs ihre Stimme gibt, können unser Herz ergreifen und wieder weicher machen.
Das Motiv der Herzerweichung ist bei 5K HD omnipräsent. Der Name der Band selbst ist schon Kritik an den spätkapitalistischen Zuständen, in denen sogar die Kunst zur Ware und zur Nummer wird. Der Puls der Band ist elektronisch, die Stimme zutiefst sinnlich und emotional. Die Strukturen sind verhältnismäßig komplex, die überraschenden Wendungen zahlreich. Dennoch bleiben es Songs. Wer mag darf es auch Pop nennen. Sehr klugen Pop. Wer Mut hat darf sich zu den holpernden Rhythmen auch bewegen. Selbst Textsicherheit wird belohnt. 5K HD haben emotional warme Herzens-Songs geschrieben, die aber auch Zähne zeigen und mal laut werden können.
Damit ist der gegenwärtige Kampf schon skizziert. Kunst ist keine Politik und Politik keine Kunst. Aber Kunst, in diesem Fall die Musik, darf Widerstand leisten. Wenn Verhärtung droht, dann reagiert sie mit Zartheit und Wärme. Die Sängerin Kelela sprach vor kurzem von der Notwendigkeit, dass von einem „zarten Ort“ aus agiert werden muss. Wut kann nicht mit Wut, Härte nicht mit Härte bekämpft werden. Es braucht Gegenentwürfe, die durchaus auch schon das Idealbild einer „zarten“ Gesellschaft als Basis für das eigene Schaffen und Handeln voraussetzen.
Die Musik von „5K HD“ beschreibt unsere Gegenwart. Sie zeigt Härte, Brüche, Widersprüche. Verzweiflung und Ausweglosigkeit sind ihr vertraut. Dank ihrem intellektuellem Scharfsinn suhlt sie sich aber nicht in Selbstmitleid. Dieses Selbstmitleid paart sich in Österreich nur allzu häufig mit einem amorphen Gefühl der Unzufriedenheit und führt zu dem altbekannten Geraunze. „5K HD“ verarbeiten Disparates und Weltschmerz zu einem neuen Ganzen. Mit musikalischer Brillanz werden Brüche verlötet, stolperende Songs in neue Höhen gehievt.
Das Publikum gestern war jung. Jünger als zumeist im „Treibhaus“. Es war das Publikum einer Indie-Jazz-Pop-Rock-Elektro-Band. Ein Publikum, das sich die Band erst selbst schaffen musste, da es bisher weitestgehend so nicht existierte. Jazzer freuten sich über die harmonische Reichhaltigkeit der Tracks, FM4-Hörer über die Eingängigkeit der Lieder. Doch war es auch ein „politischer“ Abend? Womöglich. Der Abend machte uns „weich“ und „hart“ zugleich. Die Musik tat aufgrund ihrer enormen emotionalen Substanz etwas für unser Herz und rührte dieses unmittelbar an. Sie gab uns aber auch Anregungen, wie wir mit Komplexität und Überkomplexität umgehen und wie wir in der vorherrschenden Unübersichtlichkeit der Lage einen roten Faden für unser Handeln finden könnten. Wie wir „hart“ und konsequent  bleiben könnten.
Müssen wir bald, mit dieser Herzensbildung und mit diesem intellektuellen Rüstzeug ausgestattet, wieder auf die Straße gehen und gegen emotionale Verengung und gesellschaftliche Verdummung protestieren? Es wäre eine mögliche Konsequenz. Es kann nämlich sein, dass ansonsten der Himmel über Österreich noch blauer wird und wir emotional verkümmern.

Hier geht es zur vorherigen Folge von "Kleingeist und Größenwahn".

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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