Intermezzo mit einem Vampir

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Unter allen Horrorgestalten und abgründigen Seelen der Literaturgeschichte sind die Vampire die kultiviertesten, ästhetischsten und tiefgründigsten. Boshaft ja, aber immer mit Stil. Wem diese Jahreszeit mit dem Körper eines Warmblüters zu öde ist, der möge sich ein gutaussehendes Exemplar suchen, das ihn oder sie mit entsprechendem Gebisseinsatz in eine andere Existenzform befördern kann.
Tatsächlich ist die Liebe zum Vampir oder zur Vampirin ein Motiv, das ganze Bücher- und Filmreihen inspiriert und nicht und nicht langweilig wird. Verständlicherweise. Nichts geht über einen hochgewachsenen Christopher Lee, der als Dracula mit blutunterlaufenen Augen jungen Blondinen nachstellt. (Für die, die allen Ernstes Robert Pattinson aus den Twilight-Filmen vorziehen: Das ist nur eine Phase. Geht vorbei.)
Ob der Vampir immer nur fasziniert, weil er schön ist? Naja. Nicht im Fall von Klaus Kinski, der in Werner Herzogs Film zwar einen wunderbaren säuselnden, aber sonst eher skurrilen Nosferatu gibt. Die grotesken Fingernägel tun ihr Übriges.
Aber Kinski stellt etwas sehr Wichtiges unter Beweis: Der Vampir kann mehr als geheimnisvoll, verführerisch und sexy sein. Er ist kein Mensch mit Mankos. Er stiftet Verwirrung und Chaos in einer ohnehin grottenschlechten, abgründigen Welt. Und deshalb ist er oft der bessere Mensch. Für den, der die Hoffnung in die Menschheit aufgegeben hat, ist der Vampir ein role model. Kann auch sein, dass wir gerade das zu dieser Jahreszeit am bittersten nötig haben: Ein „biss“chen Glauben an das Gute im Menschen, das, wenn es existiert, vermutlich in langen Eckzähnen und sorgfältig kultiviertem Außenseitertum besteht. So sieht das zumindest das Indie-Kino, und hat uns in den letzten Jahren einige grandiose Vampirfilme beschert.

A Girl Walks Home Alone At Night (2014)

Der Vampir in diesem Film trägt Tschador. Nicht gezwungenermaßen. Die rätselhafte junge Frau, die mit wehendem Umhang auf dem Skateboard durch die nächtlichen Straßen rauscht, ist ein feministischer Racheengel. In einer Welt voller drogen- und alkoholabhängiger Chauvinisten, die der hiesigen Nutte das Leben schwermachen,  beißt die namenlose Schöne ausschließlich Männer. Gewaltsam und boshaft bis ins Mark ist sie, aber in einer kaputten Industriestadt mit einem Wadi voller Leichen auch der einzige Schöngeist. Sie lebt sehr zurückgezogen, diese Vampirin, hört am liebsten zu Hause 80s-Pop unter der Discokugel, die fleischgewordene Sanftmut. Außer Haus geht sie nur, um in einer verkommenen Welt ein wenig moralischen Ausgleich zu schaffen. Nur ein Mann entgeht ihr, der junge Arash, der unter seinem tristen Leben und seinem drogensüchtigen Vater leidet wie ein Hund und sich am liebsten als Vampir verkleidet, um dem Alltag zu entfliehen. Die Liebesgeschichte zwischen den beiden entspinnt sich fast völlig wortlos, bis zu der herzzereißenden Szene, in der Arash seiner Vampirin mit einer Sicherheitsnadel Ohrlöcher sticht. Am Ende fahren sie im weißen Chevy in die Wüste. In ein besseres Leben? So etwas gibt es wohl nicht. Aber wenigstens ist der Soundtrack gut.
Mit A Girl Walks Home Alone At Night ist der iranischen Regisseurin Ana Lily Amirpour eine unglaubliche Fusion aus Trash-Film-noir, Horror und Love Story gelungen. So düster und so wunderbar war kein Vampirfilm je. So schwarz-weiß, so Farsi und trotzdem in einer so universellen Bildsprache ist noch nie blut gesaugt worden. „It’s unlike everything you’ve seen“, sagt Elijah Wood dazu.

Only Lovers Left Alive (2013)

Fanatische Musikfetisischsten sind auch Adam und Eve (!), die zutiefst menschlichen, radikal gewaltlosen Vampire in Jim Jarmuschs Only Lovers Left Alive. Die beiden nehmen nur Blutkonserven zu sich, manchmal in Stieleis-Form – und es wird schnell deutlich, dass das Blut auch nicht mehr das ist, was es einmal war. Die „Zombies“ (das sind wir Menschen) vergiften in einem Fort das eigene Blut, die Natur und das Zusammenleben. Grund genug für den melancholischen Adam, sich eine Holzpatrone zu bestellen und den eigenen Selbstmord zu planen. Eve hält das für verrückt – es gibt so vieles, womit man die Jahrhunderte füllen kann: Literatur, Kunst, Freundschaften, Naturbeobachtung, und natürlich Tanzen.
Bevorzugt wird zu Adams eigener Musik getanzt, die einen grandiosen Soundtrack abgibt und in Wirklichkeit von Jozef van Wissem komponiert wurde. Dazu rauschen die beiden im Oldtimer durch das nächtliche Detroit, lesen sich gegenseitig vor und genießen das Leben als Außenseiter. Jim Jarmusch outet sich als Romantiker und Bildungsbürger und lässt Only Lovers Left Alive ein wenig aus der Reihe seiner übrigen Filme tanzen. Natürlich ist aber seine verehrte Tilda Swinton mit von der Partie, in Kombination Tom Hiddleston das mit Abstand hinreißendste Vampirpärchen der Filmgeschichte. Gastauftritte von Geoffrey Rush als Christopher Marlowe (der im Übrigen nicht nur ein Vampir ist, sondern auch Hamlet geschrieben hat) und Yasmine Hamdan mit ihrer arabischen Vampirballade runden ab. Als Film so vollkommen, wie ein Mensch gar nie sein kann – ein Vampir aber sehr wohl…

Die Herren Dracula (1976)

Wer jetzt noch nicht genug hat von gutaussehenden Gentlemen mit Stehkragen und bleichen Gesichtern, der kann sich am Ende noch ein wenig über sie lustig machen. So wie das in einem der wenigen französischen Vampirfilme geschieht, Dracula père et fils, zu Deutsch Die Herren Dracula. Christopher Lee spielt natürlich Dracula senior, den es von Transsylvanien nach Paris verschlägt. Dort verdingt er sich wegen Geldmangels im einzigen für einen Vampir denkbaren Beruf: Als Model in der Zahnpastawerbung. Die Damen liegen ihm zu Füßen, der Erfolg ist groß, aber Dracula hat ein Problem: Seinen Sohn, einen langhaarigen Taugenichts, der sich weigert, Blut zu sich zu nehmen. Für den großen Grafen ist der Sprössling nicht mehr als pazifistischer Idiot, der die Familienehre mit Füßen tritt. Richtig problematisch wird es aber erst, als sich beide in die gleiche Frau verlieben. Welchen Vampir würdest du wählen?
Wer sich jetzt schon die ganze Nacht cinéastisch um die Ohren geschlagen hat, sollte am besten den Sargdeckel zuschlagen. Bei wem jetzt schon die quengelnden Vampirkinder auf der Matte stehen, dem sei noch Der kleine Vampir mit dem putzigen Jonathan Lipnicki empfohlen. Auch hier ist der Himmel voller guter Vampire, die wieder zu Menschen werden wollen. Mit diesem Film nahm einst meine Vampirleidenschaft ihren Anfang. Möge sie andauern, solange Blut in meinen Adern fließt.


 Trailer


 



 Titelbild: (c)  Ripley's Home Video

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