Kleingeist und Größenwahn
Kleingeist und Größenwahn

Als der Starkoch Manfred Biller in der kleinen Weltstadt pleite ging

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Star- und Haubenkoch Manfred Biller war am Boden zerstört. Sein kleines Wirtshaus würde bald nicht mehr sein. Den Grund dafür konnte er selbst Tage nach der Hiobsbotschaft nicht benennen. Er selbst erkannte keinen Fehler. Gleichermaßen geliebt von den Kritikern und den Gästen brachte er echte und anspruchsvolle Wirtshaus-Kultur in die kleine Weltstadt, in der viele andere Wirte auf billige Produkte und Fertigware setzten.

Er kochte stets kreativ, immer ohne Rezept. Bodenständig und doch variantenreich und raffiniert. Im Mittelpunkt standen seine Gäste, nicht die Kritiker und Schreiber von irgendwelchen Gourmet-Magazinen. Jeden Gast begrüßte er, wollte er ein Gefühl das Willkommen-Seins vermitteln. Das gelang auch zumeist. Wegen dem Essen, das sich deutlich von sonstigen Haubenküchen unterschied und wegen dem herrlichen Ausblick über die Stadt aus dem kleinen Wirtshaus kamen die Gäste immer wieder und wurden nur allzu oft zu Stammgästen.

Doch die Zeiten hatten sich geändert. Die anderen Wirte, die nicht dasselbe Qualitätsbewusstsein wie er hatten, waren derzeit das kleinste Problem in der kleinen Weltstadt in den Bergen. Die Systemgastronomie hatte die Stadt fest im Griff. In vielen dieser Lokalitäten kam das Cordon Bleu förmlich bereits Sekunden nach der Bestellung auf dem Tisch.

Vorgefertigte Ware dominierte, die in die Fritteuse geworfen wird um dann wenig später auf dem Teller zu landen. Die Kritiken solcher Lokale auf Online-Plattformen waren dennoch gut und lobend. Manfred Biller lief ein kalter Schauer über den Rücken. Zugleich war er den Tränen nahe als er sich wieder bewusst machte, dass die Stadt im Gebirg´ bald um sein Wirtshaus ärmer sein würde.

Lange Zeit hatte er gepredigt, doziert und belehrt. Auch gerügt. Die Vision in seinem Kopf war so klar gewesen. Gute Wurstnudeln sind ebenso so viel Wert wie Taubenfleisch aus Frankreich, für das er ein Faible hatte. Doch die Stadtbewohner begriffen immer weniger, was er damit meinte.
Für ihn schlossen sich Bodenständigkeit und Weltläufigkeit nämlich nicht aus. Die provinzielle denkenden Menschen hatten das nie wirklich verstanden. Für diese Leute gab es die Haubenküche oder eben den Schweinsbraten. Dass auch der Schweinsbraten, zumal wenn die Qualität des Fleisches stimmte, ebenfalls zur Haubenküche gehörte irritierte viele Menschen.

Er dachte nach, wie die kulinarische Zukunft der von ihm zugleich geliebten und gehassten Stadt aussehen würde, wenn er einst nicht mehr wäre. Er sah es vor sich. Er sah das große Sterben der letzten guten Wirtshäuser, er sah den endgültigen Triumph des Einheitsbreis und der großen Ketten, die dem Kochen noch den letzten Funken Kreativität austrieben.

Biller setzte seine Brille auf, die er zuvor auf den Tisch vor sich gelegt hatte. Er saß allein in seinem geliebten Wirtshaus. Er weinte, was er schon lange nicht mehr getan hatte. Dann ging er in die Küche und kochte einen Kaiserschmarrn, natürlich nur mit hochwertigen Zutaten. Vielleicht zum letzten Mal.

Hier geht es zur vorherigen Folge von "Kleingeist und Größenwahn".

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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