Plattenzeit #89: Leprous – Malina

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Pop


Es gibt das Narrativ im Hartmusik-Segment, welches besagt, dass sich Bands dem verhassten „Pop“ annähern, sobald die Gitarren nicht mehr knallen und das Schlagzeug nicht mehr  böllert oder knüppelt. Bei manch einem ist aus ebenjenem Grund auch die norwegische Band Leprous in Ungnade gefallen. Dass sie auch als Backing-Band des nordischen Black-Metals-Meisters Ihsahn fungiert konnte sie in dieser Hinsicht auch nicht mehr retten und brachte maximal leichte Pluspunkte in der „Ungnade-Skala“.
Dabei waren Leprous lange Zeit relativ unverdächtig und eine der besten Progressive-Metal-Bands auf diesem Planeten. Mit „Malina“ legten sie aber ein schwer verdauliches Stück Musik vor, dass entweder geliebt oder gehasst wurde. Liebe bekam das Machwerk vor allem von den Menschen, die ihre Musik gerne mit schönen, großen Melodien mögen. Die Knüppel-Fraktion fand weniger Gefallen. Das schöne am Über-Album „Malina“ ist aber, dass sich beide Seiten in Sachen Rezeption auf dem Holzweg befinden.
„Malina“ geht nämlich einen anderen Weg als Steven Wilson, der mit „To The Bone“ tatsächlich den Sprung hin zu einfacheren Song-Strukturen und nachvollziehbarer Harmonik hin wagte und somit tatsächlich den Pop-Konventionen ein Friedensangebot zukommen ließ. Beim aktuellen Album von Leprous findet dieses Zugeständnis schlicht und einfach nicht statt. Man beginnt mit „Bonneville“ jazzig-lässig und stellt die Hartwurst-Gitarren schlicht in einen anderen Kontext. Wenn es im Laufe des Songs nach anfänglicher Ruhe doch noch zu knallen beginnt, dann unerwartet und völlig klischeefrei. Den X-ten Djent-Riff wird man nicht finden. Die harte Gitarre ist ein überraschender Paukenschlag, kein Zugeständnis an etwaige Erwartungshaltungen.
In dieser Gangart geht es weiter. Mit „From The Flame“ hat man einen unverschämt eingängigen Refrain im Gepäck und scheut sich zugleich nicht abgedrehte Poly-Rhythmik zu etablieren. Wie mühelos und mit welchem Geschick das geschieht lässt selbst den abgebrühtesten Musikhörer staunen. Wer mag darf im Verlauf des Albums die späten Beach Boys heraushören, zumindest strotzen die Songs nur so vor Gesangschören, die den komplexeren Spielarten des Art-Pop ihr Tribut zollen. Wer mag darf stellenweise gar Kate Bush als Vorbild wahrnehmen. Radiohead sind sowieso Dauerthema. Zugleich ist „Malina“ aber ein lupenreines Progressive-Rock-Album. Nur halt eines, das sich wenig um Konventionen dieses Genres kümmert.


Fazit


„Malina“ ist ein „Must-Listen-Album“. Für alle, die Musik mögen und nicht nur für Genre-Jünger, die es gerne haben wenn ihnen angesichts der spieltechnischen Fertigkeiten einer Band laufend die Kinnlade runterklappt. Bei „Malina“ klappen Kinnladen, wird der Intellekt des durchschnittlich gebildeten Musikhörers gekitzelt und herausgefordert und darf sich der anspruchsvolle Pophörer Gesangslinien erwarten, die er nicht mehr aus seinem Kopf bekommt. Insofern ist „Malina“ die eierlegende Wollmilchsau unter den progressiven Rock-Alben und zweifellos eines der  besten Alben, die seit Jahren in diesem Bereich veröffentlicht wurden.


Zum Reinhören



Titelbild: (c) Johan Klovsjö, flickr.com

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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