Depression, Alkoholismus, Erschöpfung: Nino aus Wien und Ernst Molden in der P.M.K.

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Ernst Molden und der Nino aus Wien gastierten gestern in der Innsbrucker P.M.K. und gaben sich erst gar keine Mühe aufgeräumt, glücklich oder mit sich irgendwie im Einklang stehend zu wirken. Stattdessen klampften sie sich durch die depressiven Aspekte des sogenannten Austro-Pop. Ernst Molden erzählte bereitwillig von seiner damaligen Zeit der Erschöpfungs-Depression, Nino aus Wien wirkte betrunken oder spielte zumindest seine Rolle sehr gut. Das zahlreich erschienene Publikum dankte ihnen all das. Aber was gab es eigentlich zu danken?
Die erste Frage ist zumindest einmal einfach zu stellen: Warum eigentlich bitte der Austro-Pop? Vielleicht weil man ja doch irgendwie mit dieser Musik aufgewachsen war und sich der eigenen Heimat und der sozialen und kulturellen Prägung ohnehin nicht entziehen kann? Warum dann nicht gleich seinen ureigenen Weg durch die österreichische Musikgeschichte finden und diese zu seinen eigenen Gunsten umdeuten?
Nino aus Wien und Ernst Molden suchten jedenfalls ihr Österreich und fanden es offenbar für sich auch auf ihre Aufnahme „Unser Österreich“. Zum Glück hat das österreichische Liedgut dieses Zuschnitts auch allerlei depressive Liedchen zu bieten, die dann auch gleich mal mit den eigenen inneren Befindlichkeiten perfekt in Einklang gebracht werden können. Ein Glücksfall für die beiden. Aber hatten wir es am gestrigen Abend auch mit einem Glücksfall für das Innsbrucker Publikum zu tun?
Meine Antwort darauf ist nicht eindeutig. Das Setting das Konzertes funktionierte jedenfalls schon einmal nicht wirklich. Eine so gut wie ausverkaufte P.M.K., kaum mehr Platz im Konzertraum, viele große Menschen die einem den Blick auf die Bühne verstellten. Denn selbstverständlich stehen Nino aus Wien und Ernst Molden nicht auf der Bühne, sondern sie sitzen. Wie es sich bei der Interpretation dieser Art von Musik auch gehört. Anpassung an Setting und Ort? Nein, muss nicht sein. Lieber die gute alte Tradition des Spielens dieser Musik bewahren. Austro-Pop lebt!

Nino aus Wien und Ernst Molden entdecken den Austro-Pop wieder für sich neu. (Bild: Martin Senfter)
Nino aus Wien und Ernst Molden entdecken den Austro-Pop wieder für sich neu. (Bild: Martin Senfter)

Es ist für mich ja generell ganz erstaunlich, dass sich plötzlich so viele Menschen für Austro-Pop interessieren. Zumal auch sehr viele junge Menschen im Publikum waren. Wann ist das eigentlich passiert und was genau ist da passiert? Wer ist für das alles verantwortlich? Ist es die leicht penetrante Coolness und Lässigkeit von Nino aus Wien? Oder die Verlebtheit und die anklingende Altersweisheit von Ernst Molden? Ja, vielleicht. Aber so ganz erklärbar wird diese Tendenz und dieser Trend dann doch nicht. Zumal die Leistung und der Beitrag von Ernst Molden und Nino aus Wien nicht so ganz klar wird, wenn es um die Interpretation von Austro-Pop geht.
Nino aus Wien und Ernst Molden: Ein interessantes Zwiegespräch, das musikalisch nicht immer überzeugte. (Bild: Martin Senfter)
Nino aus Wien und Ernst Molden: Ein interessantes Zwiegespräch, das musikalisch nicht immer überzeugte. (Bild: Martin Senfter)

Ja, Nino aus Wien spielte Falco in einer Art Country-Version. Und ja, die Stimmen harmonierten stellenweise sehr gut miteinander. Und durchaus: Der rote Faden, den die beiden durch die Musikgeschichte des Austro-Pop anboten war meist interessant. Ob die Betonung der depressiven Aspekte dieser Musik hingegen originell ist, wäre eine andere Frage. Zumindest schien dieser Fokus dem anwesenden Publikum sehr entgegenzukommen. Austro-Pop für den Weltschmerz liebende Indie-Hörer quasi.
Wie auch immer. Das könnte man natürlich alles mögen. Und so ganz konnte ich mich der suggestiven Wirkung dieser Musik natürlich auch nicht entziehen. Aber vor allem ein Aspekt irritierte mich: Warum wurden die Lieder teilweise so dilettantisch vorgetragen, warum so hörbar schlecht gespielt? Vor allem Nino aus Wien griff trotz einfachster Akkorde und Melodien auf seiner Gitarre immer mal wieder dezent daneben. Pose? Spiegelung des eigenen Hangs zu Erschöpfung, Alkoholismus und Depression? Wer trinkt und depressiv ist kann natürlich auch nicht gut Gitarre spielen. Dem ist schon der Lagerfeuer-Akkord von nebenan und eine einfache Dur-Melodie zu anstrengend.
Ob man das charmant finden darf? Ja, vermutlich. Zumal ja auch eine Haltung dahinter steckt, die sehr vielen anwesenden Leuten sympathisch zu sein schien. Von wegen einer von uns. Das könnten wir auch. Ein Hauch von Punk-Attitüde wehte durch die Hallen der P.M.K.!
Vielleicht muss man dem Austro-Pop aber auch einfach nur eine gute Dosis Punk injizieren? Ihn vielleicht nur von der poppig-glatten Oberfläche befreien, die er oftmals hatte? Dann wäre er wieder cool und auch für durchschnittlichen Indie-Hörer wieder akzeptabel und hörbar. Außerdem kommt eine gute Portion leicht ironisiertes Heimatgefühl auch bei so manchem Hipster nicht schlecht an.
Wenn das die Intention des gestrigen Abends war und ganz generell des Projektes von Ernst Molden und dem Nino aus Wien, dann würde ich sagen, dass diese durchaus erfüllt wurde. Auf der rein musikalischen Ebene bleibt aber ein schales Gefühl zurück. Zumal die Umsetzung nicht konsequent, sondern fast schon beliebig wirkte. Wenn schon dilettantisch, dann richtig. So wirkte es oft, als wären die beiden den großen Fußstapfen der Songs nicht gewachsen.

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

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