Diese fünf Sängerinnen retten die heutige Popmusik!

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Gehen wir einmal davon aus, dass es so etwas wie Popmusik überhaupt gibt. Nicht als Genre und nicht als Zuschreibung, sondern vielmehr als Gefängnis, als obsolet gewordener ästhetischer Rahmen. Popmusik, also populäre Musik die eine breitere Masse an Musikhörern problemlos rezipieren kann, ist in den letzten Jahrzehnten langweilig und schal geworden. Einige, mehr oder wenige seriöse, Studien behaupten, dass die Anzahl der verwendeten Akkorde und Harmonien über die Zeit immer geringer geworden sei.
Popmusik ist über die Jahre schlichter und schlechter geworden und die Tendenz zeigt im Moment noch weiter nach unten. Schablonenhaftigkeit wohin man hört. Gibt es ein Gegenrezept? Ich behaupte ja! Und schicke einfach kurzerhand mal 5 Sängerinnen ins Rennen, die diese künstlerische Ödnis beenden könnten. Natürlich nicht, ohne zuvor ein wenig weiter auszuholen.
Ich bin kein Nostalgiker. Aber hören wir uns einfach mal die Beach Boys, sagen wir die „Pet Sounds“, an und wundern uns, was für eine reichhaltige, komplexe, hintergründige und doch eingängige Musik auf diesem Album zu hören ist. Nehmen wir auch noch „Smile“ von Brian Wilson dann sind wir endgültig verwirrt, dass die die damalige „Popmusik“ gar mit Strukturen und Ideen flirtete, die eher der klassischen Musik zugeordnet werden könnten. Das Album wirkt wie eine Suite, macht in Sachen Harmonik wahrlich keine Gefangenen und klingt wie Musik, die mit Selbst-Limitierung und Schablonen-Denken wenig bis gar nichts am Hut hat.
Wenn wir dann noch die späten Beatles hören, Jahrzehnte später vielleicht noch Grizzly Bear – oder was weiß ich noch alles –  dann wüssten wir eigentlich, was Popmusik sein könnte: Eingängige und massentaugliche Musik, die sich aber nicht mit immergleichen Harmonien und Akkorden „schmückt“. Popmusik ist dann die Übung, das Schwierige und durchaus Anspruchsvolle federleicht klingen zu lassen. Popmusik ist ein Verfahren, das die breite Masse an Hörern im Blick hat.
Ein Verfahren, das sich nicht im vermeintlichen Elfenbeinturm abspielt, sondern am „freien Markt“. Popmusik, die keine Wirkung auf ihr Publikum hat ist keine Popmusik, sondern irgendetwas anderes. Nennt es wie ihr wollt. Wer es als Popmusiker nicht schafft, seine eigenen Ideen, und seien sie auch noch so abwegig, so zu kanalisieren, dass sie einer breiteren Masse verständlich werden, der ist kein Popmusiker.

Eine Musikerin, die eine neue Art von "Radiomusik" im Kopf hat: Esperanza Spalding (Bild: Valery Hache/AFP/Getty Images)
Eine Musikerin, die eine neue Art von „Radiomusik“ im Kopf hat: Esperanza Spalding (Bild: Valery Hache/AFP/Getty Images)

In der heutigen Popmusik sieht es in dieser Hinsicht düster aus. Popmusik hat zum Teil wenig mit dem von mir hier beschriebenen „Verfahren“ zu tun. Nicht das Anspruchsvolle und Interessante wird so verpackt, präsentiert und organisiert, dass es verständlich wird, sondern die Banalität und Trivialität wird verwaltet. Einfach gesagt: Offenbar traut man dem Hörer und der Hörerin nicht mehr zu, sich mit Musik zu beschäftigen, die sich außerhalb von vorgefertigten Strukturen und Schablonen bewegt.
Präsentiert wird ein stimmlicher und ästhetischer Einheitsbrei, den auch noch der uninteressierteste Musikhörer als Popmusik wahrnimmt. Popmusik ist Konvention, ist Limitierung, ist das Gegenteil von Freiheit. Leider. Für mich höchste Zeit ein paar Sängerinnen zu präsentieren, die das ändern könnten. Und der „Popmusik“ wieder ihre schillernden und grenzenlose Kraft zurückgeben, die sie einst hatte.
Ich weiß nicht exakt warum. Aber als allererstes fällt mir in dieser Sache Esperanza Spalding ein. Sie ist primär Musikerin, nicht „nur“ Sängerin. Ihr Spiel am Bass gehört zum absolut Besten, was man weit und breit hören wird. Nur: Wer sich ihre Alben anhört, der wird auf ihre Virtuosität nicht hingewiesen. Ihre Musik ist unaufdringlich, leicht, strotzt aber nur so vor interessanten harmonischen Einfällen und ungewöhnlichen Melodien.
Ihre Stimme ist direkt, Schnörkel und Angeberei braucht es hier nicht. Sie stellt ihre gesanglichen Fähigkeiten ganz im Dienste der Songs. Wie kaum eine andere Musikerin entspricht sie der Definition von einer möglichen, noch nicht verwirklichten Popmusik im Heute: Sie macht das „Schwierige“ federleicht und zugänglich, ist für den R n B Hörer ebenso hörbar wie für den amerikanischen oder europäischen Radiohörer. Mehr noch: Sie hat es sogar explizit im Sinne, die „Radiomusik“ zu verändern und von innen her wieder interessanter und abwechslungsreicher zu gestalten. Ich gehe davon aus, dass ihr Album „Radio Music Society“ genau eine solche noch utopische Musik ausformulieren möchte.
Auch im Heute noch hoch relevant: Kate Bush (Bild: Pi-Dag.nl)
Auch im Heute noch hoch relevant: Kate Bush (Bild: Pi-Dag.nl)

In einer Aufzählung von Sängerinnen, die der Popmusik im Heute Impulse geben können, darf natürlich auch Kate Bush nicht fehlen. Ihr werdet sagen: Kate Bush, ist das nicht die mit diesem einen großen Radio-Hit in den 80er? Ich werde antworten: Ja, schon. Aber da habt ihr definitiv verpasst, was diese Frau sonst noch kann und ist. Der Grund warum sie hier in der Liste ist, ist leicht benannt: Die 1958 geborene hatte gestern Geburtstag.
Aber auch neben all dem: Sie ist eine Musikerin, Komponistin und Sängerin, der einfach so gut wie alles gelingt. Mit „Hounds Of Love“ schuf sie für mich das prototypische Album einer möglichen, noch exakt auszuformulierenden Popmusik im Heute. Das Album beginnt bombastisch mit „Running Up that hill“ und haut auch im ersten Teil noch ein paar weitere wahre Gassenhauer raus. Dann aber nimmt es, völlig stringent und völlig logisch argumentiert, die bereits angefixten HörerInnen in eine andere, fremde und deutlich komplexere und schrägere Welt mit. „Hello Earth“ ist dabei möglicherweise Ausdruck einer seltsam mystischen Popmusik, die auch mal mit Elementen aus dem Progressive-Rock kokettiert. Und das ist erst der Anfang.
Eine originelle Musikerin in Sängerin in der heutigen Popmusik: Annie Clark alias St. Vincent (Bild: MTV.com)
Eine originelle Musikerin in Sängerin in der heutigen Popmusik: Annie Clark alias St. Vincent (Bild: MTV.com)

Kann es eine solche Liste geben, ohne dass St. Vincent alias Annie Clark genannt wird? Meiner Meinung nach nicht. Spätestens mit ihrem selbstbetitelten Album „St. Vincent“ von 2014 hat die Sängerin klar gemacht, dass sich auch so Popmusik machen lässt. Interessante und tatsächlich originelle Gitarren-Licks, schräge und außergewöhnliche Gesangsharmonie und Melodien sind hier an der Tagsordnung. Ihre Musik ist deutlich an der, ebenfalls etwas neben der Spur stehenden und hochoriginellen, Popmusik von David Byrne und den Talking Heads geschult.
Sie denkt diese Musik aber weiter und durchsetzt sie mit schwer angesagten jetzigen Sounds, die möglicherweise gar einer Lady Gaga gut zu Gesicht stehen würden, wenn sie ein wenig geschmackssicherer und origineller agieren würde. Es ist eine Freude, ihren verwinkelten Melodien und dezent eingestreuten Gitarren-Ausbrüchen zu folgen. Es ist Musik, die nicht irritiert, den durchschnittlichen Popmusik-Hörer nicht vergrault, aber immer mal wieder sanft irritiert. Diese Irritation wäre meiner Meinung nach wichtig, weil sich dann wieder sanft die Grenzen hin zur Offenheit verschieben würden.
Warum ignoriert Popmusik im Heute eigentlich weitestgehend die "Weltmusik"? Sofia Rei macht es anders (Bild: Cindy Byram)
Warum ignoriert Popmusik im Heute eigentlich weitestgehend die „Weltmusik“? Sofia Rei macht es anders (Bild: Cindy Byram)

Achja, warum maßt es sich die „westliche“ Popmusik eigentlich an, sich nicht oder kaum mehr mit der sogenannten „Weltmusik“ beschäftigen zu müssen? Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung. Draußen in der großen weiten Musikwelt liegen Versatzstücke, Ideen, Harmonien und Gesangsmelodien nur so herum. Die Möglichkeiten der Musik im Heute überschlagen sich förmlich. Nur: Die Popmusik ignoriert diese Möglichkeiten weitestgehend und suhlt sich lieber zufrieden in den selbst auferlegten Beschränkungen.

Sofia Rei hätte ein ernstes Wörtchen mitzureden, wenn es darum geht Rihanna & Co. zu zeigen, was so alles geht ohne dass es aufhört, eingängig und hörbar zu bleiben. Ihre Musik fließt, bewegt sich elegant. Über alle dem liegt ihre Stimme, die an den zahllosen Ausdrucksmöglichkeiten der „Weltmusik“ geschult ist. Eine im besten Sinne grenzenlose Musik entsteht dabei, die auf der ganzen Welt zuhause ist. Ihre Stimme strahlt dabei Klarheit und Unaufgeregtheit aus. Vielleicht ist das die Lässigkeit einer Sängerin und Musikerin die weiß, was musikalische so alles geht, es aber nicht ostentativ zur Schau stellen muss.
Hat in Köln ihre Heimat gefunden. Musikalisch ist sie aber in der ganzen Welt zuhause: Filippa Gojo (Bild: filippagojo.de)
Hat in Köln ihre Heimat gefunden. Musikalisch ist sie aber in der ganzen Welt zuhause: Filippa Gojo (Bild: filippagojo.de)

Etwas gewagt vielleicht, eine in Vorarlberg geborene und in Köln lebende Sängerin in diesen illustren Reigen von Weltklasse-Musikerinnen mit aufzunehmen. Dennoch behaupte ich, dass Filippa Gojo das Zeug dazu hat, sich hier einzureihen. Aus einer Vielzahl von Gründen: Ich kenne kaum eine Stimme, die so authentisch ist, so viel von der eigenen Persönlichkeit preisgibt. Ihre Stimme ist glasklar, intonationssicher und dabei so direkt, dass es einem manchmal den Atem verschlägt.
Ihre Musik und ihr stimmlicher Ausdruck wirkt so, als hätte sie Ideen wie beeindrucken-wollende Virtuosität, Ego und anderes mehr einfach mal kurzerhand abgeschüttelt. Übrig bleibt Musik, die vor allem auf ihrer Solo-CD „Vertraum“ auf das meiste verzichtet, was in der heutigen „Popmusik“ wichtig ist. Manchmal genügt eine klare Melodie, eine Schruti-Box und ihr Vorarlberger Dialekt, den sie in einer poetischen, klanglichen Funktion in ihre Musik einbringt.
Ja, diese Liste ist vermutlich nicht komplett. Nein, sie ist sogar ganz sicher nicht komplett. Sie ist lückenhaft und subjektiv. Aber sie ist ein Vorschlag, der gerne diskutiert werden kann. Für mich wäre es jedenfalls wünschenswert, wenn sich diese 5 grandiosen weiblichen Stimmen verstärkt in etwas einmischen würden, das denkbar und notwendig wäre: Eine interessante Art von Popmusik, die im Radio läuft und den interessierten Hörer dabei dennoch nicht langweilt und unterfordert. Ich habe einen Traum. Und wer weiß. Vielleicht geht dieser auch demnächst in Erfüllung.

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

3 Comments

  1. was für ein unglaublich schlechter Artikel. Der Autor hält sich für übergscheit. Mei, liab. Sie haben keine Ahnung von Popmusik, Herr Stegmayr. Verbitterter Idiot. Sorry not sorry.

  2. du makko iaz los amol galling no amol eini mogsch itta auhearn ummagrobschn da dr mottnkistn galling no amol eini sinscht ziach i dr die loeffl lang

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