Bilderbuch: Die große Pop-Geste als glamouröse Hülle

7 Minuten Lesedauer

Man muss es sich vorstellen. Ein Konzert, bei dem man mit dem penetranten Geruch von Popcorn begrüßt wird. Selbstverständlich alles gebrandet. Markenbildung und Kohärenz sind schließlich alles. Das Logo von FM-Riese  zieht sich durch. Von den T-Shirts der Mitarbeiter des Abends bis hin zu dem Popcorn, das klarerweise in formschönen und ästhetisch ansprechenden FM-Riese-Tüten verpackt ist.
„Pop Here. Pop Now“ – so lautete immerhin das Motto! Was läge somit näher als Popcorn, das man dem Publikum vor dem Konzert kredenzt? Dass sich dann womöglich ein ganzer Putztrupp am nächsten Tag mit Bierlacken und darin liegenden Popcorn herumschlagen muss: Geschenkt. Schließlich geht es darum, dass dem Publikum klar gemacht wird, wo es ist und worum es geht. POP! FM-RIESE! Das muss eindeutig Vorrang haben.

Bilderbuch: Die Pop-Götter aus Wien? (Bild: Christoph Poll)
Bilderbuch: Die Pop-Götter aus Wien? (Bild: Christoph Poll)

Begrüßt wurden die Zuschauer dieses Abends, überwiegend bestehend aus Bilderbuch-Fans, neben Popcorn auch von einem überdimensionierten Stand mit Bilderbuch-Merchandise. „Feinste Seide“ wurde angeboten. Daneben durfte auch noch ein paar Platten, CDs und Stofftaschen der „Vorband“ „Schmieds Puls“ herumliegen. Ein Gnadenakt sozusagen. Schön, wenn eine unbedeutende Band wie Schmieds Puls ein wenig vom Glanz der zurzeit schwer angesagten Band Bilderbuch abbekommen darf.
Im Konzertsaal zeigte sich dasselbe Bild: Bilderbuch hatte geklotzt, nicht gekleckert. Technik und Bühnenausstattung vom Feinsten. Pop im Hier und Jetzt wollte, zumindest im Fall von Bilderbuch, bestens und glamourös in Szene gesetzt werden. Etwas verloren hingegen lagen auf der Bühne der Kontrabass und die Gitarre von Schmieds Puls. Ganz rechts war außerdem ein bescheidenes Schlagzeug der Band aufgebaut.
Charismatische Frontfrau der Band "Schmieds Puls": Mira Lu Kovacs (Bild: Maximilian Meergraf)
Charismatische Frontfrau der Band „Schmieds Puls“: Mira Lu Kovacs (Bild: Maximilian Meergraf)

Vielleicht war es mit dem Popcorn am Eingang schon grundgelegt. In diesem Jahr ging es um Unterhaltung. Um Entertainment. Um Stimmung und um Party. POP eben. Dieser Pop, zu dem man am besten tanzt und ausgelassen feiert. Dieser Pop, der einen Sänger als Frontmann präferiert, für den sich ganze Heerscharen von Mädchen und jungen Frauen in der Toiletten hübsch machen. Schließlich sind sie nur hinter seinem Hintern her.
Schmieds Puls boten nichts davon. Sie hatten eine zwar durchaus attraktive, aber (zu) schüchterne Frontfrau zu bieten. Definitiv keine Person, bei der Männer in den ersten Reihen scharenweise in Ohnmacht fallen. Statt Entertainment, Licht-Show und der großen Geste boten Schmieds Puls etwas, das im zeitgenössischen Pop gar nicht mehr so häufig zu finden ist: Gute Songs. Reduziert und auf den Punkt gebracht.
Vermutlich war das aber gar kein Pop, denn die Sängerin und Gitarristin Mira Lu Kovacs streute auch den einen oder anderen „jazzig“ anmutenden Akkord ein. Powerchords und Dur-Akkorde, welche die Bilderbuch-Show beherrschen sollten, gingen irgendwie anders. Als das Schlagzeug auch noch dezent vertrackte Rhythmen spielte wurde klar: Zu dieser Musik lässt sich weder gut Biertrinken noch Popcorn-Essen. Folglich wurde das Publikum immer lauter und schaffte es nicht, in etwa 40 Minuten zuzuhören oder bei Desinteresse den Raum zu verlassen. Die Folge war eine zunehmend frustrierte Frontfrau, die ihre fragilen und hochmusikalischen Song-Gebilde im Tratschen der Masse untergehen sehen musste.
Ganz anders dann bei den folgenden Bilderbuch. Die Lautstärke war intensiviert, die Leerstellen und leisen Passagen in der Musik auf ein Minimum reduziert.
Bisher tat ich mir schwer damit, die Entwicklung von Bilderbuch von einer eher nichtssagenden Indie-Pop-Band zu den neuen österreichischen Pop-Göttern nachzuvollziehen.

Tatsächlich ist „Schick Schock“ nämlich eine zumindest im Österreich-Kontext herausragende Pop-Platte, die eine gewisse „Sexiness“ in den sich streng im Dilettantismus und Understatement gefallenden Indie-Pop brachte. Eine Leistung, die man honorieren musste. Mit „Maschin“ brachte die Band außerdem in diesem Zusammenhang einen Gassenhauer hervor, der in die (österreichische) Musikgeschichte eingehen wird.
Live wurde es aber nur allzu schnell sicht- und vor allem hörbar: Die Musik von Bilderbuch hat gar nicht den Sprung gemacht, den man annehmen könnte und auf den ersten Blick vermutet. Fällt die Produktion des Albums weg und sieht man die Band leibhaftig auf der Bühne agieren, so wird vielmehr die Kontinuität der Kompositionen von Bilderbuch deutlich. Vieles ist nur oberflächliche Veränderung.
Nimmt man Beats, Sounds-Effekte, Samples und Stimm-Verfremdungen aus den Tracks, dann bleibt eine Musik zurück, die im Kern den Anfängen der Band noch immer sehr ähnlich ist. Womöglich zwar mit mehr Show, mehr Inszenierung, mehr affektierter Sexiness des Sängers. Aber letzten Endes musikalisch nicht weit über den Anfängen der Band stehend.
Das ist solide Pop-Musik, die auch gerne mal Prince zitiert und durch die Falco-Brille verfremdet wird. Letzen Endes aber nichts, das weit über den deutschsprachigen Raum hinaus Resonanz finden wird. Nicht nur wegen der Sprache, sondern auch wegen mangelnder musikalischer Innovationskraft. Mit anderen Worten gesagt: Die große Pop-Geste dient hier als schöne, glamouröse Hülle für mangelnde musikalische Substanz.
Dass die tatsächlich mit durchgehender musikalischer Substanz auftrumpfenden Schmieds Puls vom Publikum weitestgehend ignoriert wurden ist bedauerlich und eigentlich unverständlich. Denn Schmieds Puls haben das Zeug dazu, weit über die deutschsprachigen Grenzen hinaus eine Rolle zu spielen.
Aber was soll´s. Noch vor dem Gassenhauer „Maschin“ begab ich mich, etwas gelangweilt von dem mangelnden Variantenreichtum von Bilderbuch, nach draußen und nahm mir noch eine Tüte Popcorn mit. Vielleicht hatte ich ja Pop nicht verstanden und sollte weg von der Pop-Traditions-Linie Björk, Joni Mitchell oder Portishead und hin zu Oberfläche, Glamour, gepaart mit musikalischer Tristesse. Da half nur abwarten, nachdenken und dazu noch ein paar Popcorn essen.

Titelbild: Niko Ostermann

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

3 Comments

  1. Erstmal danke für die Verlinkung! Den abfällig-ironischen Unterton akzeptiere ich mal so, mein Beitrag sollte ja auch nicht allzu ernst rüberkommen 😉
    Das mit Schmieds Puls hast du gut auf den Punkt gebracht – war wirklich sehr schade, weil es von vorn herein klar war, dass Bilderbuch das zentrale Interesse war. Sollten Schmieds Puls wieder in Innsbruck spielen, werde ich mit Freude das Konzert besuchen. Leider ist mir das auch schon auf mehreren Konzerten unangenehm aufgefallen, dass das Getratsche und Gesaufe wichtiger zu sein scheint als die Musik.
    Ich finde aber, Bilderbuch haben sich den Ruhm verdient, da sie ihren Stil in eine Richtung entwickelt haben, die es zumindest im deutschsprachigen Raum nicht so gibt. Und die Texte sind auch nicht (immer) banal, halt auch nicht jedermanns Sache.
    Ich werde deinen Beitrag bei mir noch Zurückverlinken!
    LG Jasmin

  2. hmmm..?? stimmung war super bei bilderbuch !!
    die band gibts ja bereits seit 10 jahren und 3 alben. also nicht so ein zufall, dass es läuft bei denen und wenn als beispiel auflagenstarke deutsche recording studio magazine tutorials zum bilderbuch sound machen, dann kann man schon davon ausgehen, dass es sich dabei um international anerkannte qualität made in austria handelt.
    was die band jetzt für den timetable/lineup und/oder lautstärke der vorband kann ist mir ein rätsel?
    publikum respektlos?
    ja es waren nicht alle 40+ und sind im anzug erschienen und ja es soll ja noch menschen geben, die zum feiern auf ein konzert gehen, wenn dann so eine vorband mit der lautstärke spielt und keiner soll reden, dann braucht es halt nächstes jahr für jede 5er gruppe eine aufsichtsperson.
    wenn alle zum reden rausgegangen wären, hätte es draußen im gang eine massenpanik gegeben.
    mainact hat bis jetzt allen sehr gut gefallen mit denen ich gesprochen habe (weiter so fm riese) und auch der band machte der auftritt offensichtlich spaß
    nur einem scheint der act nicht gepasst zu haben, der stand allerdings auch das ganze konzert über regungslos neben dem ausgang ganz hinten.
    soll hier auch einmal erwähnt sein.
    beste grüße .. emi

    • Hallo Emi, über die Performance lässt sich nicht streiten. Die war tatsächlich sehr gut. Über die musikalische Qualität schon eher. Aber das habe ich schon in meinem Text ausgeführt. Faktisch falsch ist es aber, dass ich neben dem Eingang gestanden sei. Ich war bei Bilderbuch relativ weit vorne zu finden. Habe alles also genau miterlebt. Ansonsten würde ich mir kein Urteil anmaßen.

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