Von Wilten an die Spitze der (Musik)welt

18 Minuten Lesedauer

Kann man sagen, dass die „Wiltener Sängerknaben“ schon eine breitere Masse erreichen möchten? Soll heißen: Lieber solche Stücke in „normale“ Programme einbauen als einen reinen Abend mit Arvo Pärt machen?
Durchaus. Ich kenne zum Beispiel ausgebildete Kirchenmusiker, die sich sehr schwer mit dieser Musik tun. Erstaunlicherweise. Dann gibt es ganz „einfache Gemüter“, vielleicht auch ältere Leute, die sich gar nicht als Fachleute der Musik bezeichnen aber sagen, dass sie diese Musik einfach gerne hören würden. Weil sie dabei ruhig werden.
Die Musik von Arvo Pärt kommt relativ gut an, sie ist aber unserer Erfahrung nach nicht einfach. Ein Stück dauert ja schon um die 8 Minuten. Es sind relativ große Stücke. Wenn man zwei Stücke in einem Konzert präsentiert, dann ist das gerade noch angemessen. Das ganz normale Konzertpublikum ist bereit sich darauf einzulassen. Das ist schon mal was! Im Programm haben wir da auch noch Schütz oder Bruckner oder passende, alpenländische Volkslieder. Diese 15 Minuten Arvo Pärt nehmen die Menschen aber sehr interessiert auf.
Die Musik hat also nicht nur eine „erziehende“ Funktion bei den Kindern, sondern auch beim Publikum? Kann man das sagen? Muss man das Publikum auch an solche Werke heranführen?
Ich sehe es ehrlich gesagt eher aus der Sicht der Knaben. Kinder und Jugendliche sind diesbezüglich sicher noch wesentlich lernfähiger als Erwachsene. Ich glaube, dass es eine unglaubliche Bereicherung ist, wenn Kinder im Volksschulalter, in der Unterstufe oder auch noch während der Pubertät oder als Teenager bis hin zur Matura hinauf, die Musik von Bach, Pärt oder ähnliches singen, lieben, verstehen oder zumindest akzeptieren.
Dann spielt man ihnen einen anderen Chor oder irgendwelche Schlagermusik vor und sie lachen und verstehen die Welt nicht mehr. Sie merken, dass das ganz anders ist. Vor allem auch qualitativ. Ich sage dann immer, dass wir natürlich tolerant sein müssen.
Es ist aber wichtig, dass wir lernen, gerade in der heutigen Zeit, Qualität auch zu erkennen. Das ist ja nicht nur auf die Musik beschränkt, das ist grundsätzlich so. Egal ob es Architektur, Literatur oder Politik ist. Wir müssen lernen und kritisch sein, was wirklich Inhalt und Gehalt hat. Man muss erkennen, was Qualität hat und was Augenauswischerei ist. Wenn man mit Kindern und Jugendlichen gute Musik macht, dann kann man vielleicht auch einen kleinen Beitrag in Richtung der Persönlichkeitsbildung dieser Menschen leisten.

(Bild: Rupert Larl)
(Bild: Rupert Larl)

Es bewegt sich alles also eher auf der pädagogischen Eben bei den Kindern und Jugendlichen. Es ist ja auch schwer, Erwachsene zu „erziehen“. Ich nehme bei Konzerten mit klassischer Musik immer wieder wahr, dass alles sehr ritualisiert abläuft, mit wenig emotionaler Beteiligung. Wie ist das bei euren Konzerten?
Bei uns ist das, glaube ich, eher weniger so. Wir sind ja nicht in einem Konzert-Zyklus drinnen bei dem man hingeht und wo eine bestimmte Gesellschaftsschicht ist. Unser Publikum ist ganz breit gestreut. Das sind bei uns Familien, Eltern oder auch Verwandte der Kinder und Jugendlichen, die dort singen. Es sind aber auch viele Touristen! Touristen sind ein wichtiger Faktor für uns. Es gibt aber außerdem Gott sei Dank relativ viele Fans der Sängerknaben. Ganz normale Leute, die es mögen, wenn die Sängerknaben singen. Unser Publikum geht quer durch alle Altersschichten, quer durch alle Gesellschaftsschichten. Wir haben viele FreundInnen und Fans, die immer wieder mal bei unseren Konzerten auftauchen.
Man geht ja bei uns auch ganz normal gekleidet in die Hofkirche, ins Muttertags-Konzert, zur „Weihnacht in Tirol“ oder zum Weihnachtsoratorium, das wir jedes Jahr aufführen. Vielleicht ein wenig festlicher, aber nicht total „aufgemascherlt“. Es mag sein, dass das Weihnachtsoratorium oder „Weihnacht in Tirol“ ein bisschen was von einem Ritual hat. Viele sagen, wenn ich das Weihnachtsoratorium höre, dann beginnt für mich Weihnachten.
Für mich ist aber spannend, dass solche Konzerte eben niederschwellig sind. Von wegen: Ich gehe hin, weil das Weihnachtsoratorium gesungen wird, weil Weihnachten ist oder ähnliches. Ein Arvo Pärt Abend wäre hingegen eine viele größere Hürde, oder?
Das stimmt vermutlich. Aber wenn man sieht was wir da zum Teil singen, dann war da auch zum Beispiel Arvo Pärt dabei! Wir hatten das „Ave Maria“ von Bruckner oder auch Bach generell dabei. Das sind hochwertigste Stücke und Komponisten. Natürlich darf bei solchen Konzerte aber auch ein schönes Volkslied nicht fehlen wie z.B. „Es wird schon glei dumpa“ oder ähnliches. Warum auch nicht? Das ist ja auch in Ordnung. Aber vielleicht sollten wir einen reinen Arvo Pärt Abend ausprobieren?
Ich fände das schön. Aber widerspricht das nicht dem Konzept, solche Stücke eher zu integrieren und in „normale“ Konzertabende einzubetten?
Es gab und gibt ja auch schon Bach-Abende. Generell setzen wir immer wieder auf hochwertige Programme. Ich glaube es gibt zwei Schienen: Es gibt die Schiene, die vielleicht ein wenig niederschwelliger ist aber bei der natürlich auch Hochwertiges geboten wird. Das ist mir einfach wichtig. Ich fühle mich sonst nicht wohl. Die Musik muss einfach gut sein. Andererseits gibt es aber spezielle Projekte, bei denen von vorne herein nur ein ganz spezielles Programm gemacht wird. Ein reiner Arvo Pärt Abend ist durchaus denkbar. Schauen wir mal, wer weiß!
Vielen Dank für das Gespräch!

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Artikelbild: (c) Wiltener Sängerknaben (Pressebilder)

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

1 Comment

  1. Das außerordentliche, weitreichende Repertoire der Wiltener Sängerknaben muss viel mehr gewürdigt werden.
    Vielen Dank für diesen wunderbaren Artikel.

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