Die Jalousie ist ein alltäglicher Gegenstand, doch in ihr spiegelt sich ein Grundprinzip unserer Gegenwart. Sie trennt das Innere vom Äußeren, den Raum der Kontrolle von der Unberechenbarkeit der Welt. Mit einem Handgriff lässt sich der Lichteinfall steuern, das Draußen dosieren. So entsteht eine Dunkelheit nach Wunsch: nicht das chaotische Schwarz der Nacht, sondern eine geordnete Finsternis, gestaffelt hinter Lamellen.
Im Französischen bedeutet „jalousie“ Eifersucht oder Neid. Auch hier liegt eine Wahrheit verborgen: Die Jalousie entscheidet, was gezeigt wird und was verborgen bleibt. Sie ist eifersüchtig auf den Blick, den sie zugleich ermöglicht und verwehrt. Wer über Sichtbarkeit bestimmt, übt Macht aus – im Privaten ebenso wie im Politischen. Im Alltag wirkt das unscheinbar. Wir ziehen die Jalousie herunter, wenn uns die Sonne blendet, wenn wir die Straße aussperren oder den Nachbarn auf Distanz halten wollen. Doch das Prinzip wiederholt sich in größerem Maßstab. Staaten, Konzerne und Medien arbeiten mit unsichtbaren Jalousien. Algorithmen filtern Nachrichten, sortieren Bilder, bestimmen, welche Katastrophen in den Vordergrund treten und welche im Halbdunkel bleiben.
Sichtbarkeit wird gesteuert, nicht durch Lamellen aus Kunststoff, sondern durch Ströme von Daten. Es entsteht ein Paradox: Wir bauen Fenster, um Verbindung zur Welt zu haben – und versehen sie sofort mit Vorrichtungen, die uns diese Welt wieder entziehen. Transparenz und Verhüllung gehören untrennbar zusammen. Das offene Fenster ohne Jalousie, ohne Vorhang, ohne Filter wirkt in unserer Zeit fast radikal: ein Symbol dafür, dass alles gesehen und alles zugelassen werden könnte. Doch die Gesellschaft ist eingerichtet auf Dosierung. Wir halten uns das Außen vom Leib, weil es zu viel sein könnte. Ungefilterte Bilder von Krieg, Armut, Zerstörung würden uns überfordern. Deshalb schließen wir die Jalousien des Geistes: wir überblenden Krisen, übersehen die langsamen Katastrophen wie den Klimawandel, verschieben den Blick von der eigenen Endlichkeit. So entsteht eine komfortable Blindheit.
Man könnte sich ganz naiv eine andere Architektur vorstellen: Häuser, deren Wände durchsichtig wären, Leben ohne Sichtschutz, in ständiger Konfrontation mit Tag und Nacht, mit Nachbarn und Fremden, mit dem Rhythmus der Jahreszeiten und dem stummen Lauf der Sterne. Vielleicht wäre das ein Verlust an Privatheit, vielleicht eine Zumutung. Doch es könnte auch ein Gewinn sein: die Rückkehr zu einem unmittelbaren Verhältnis zur Welt, ohne die tröstliche Barriere der Lamellen. Die Jalousie ist mehr als ein Stück Technik. Sie ist Metapher für eine Kultur, die sich ihre Wahrnehmung portioniert, die das Unerträgliche ausblendet und das Erträgliche inszeniert. Doch draußen bleibt die Wirklichkeit bestehen, unabhängig davon, ob wir sie sehen wollen oder nicht. Kriege enden nicht, weil wir die Schlagzeilen nicht lesen. Das Klima beruhigt sich nicht, weil wir die Nachrichten über Hitzerekorde überblättern. Die Jalousie schützt nur den Blick, nicht das Leben.