Foto von Vladimir Fedotov auf Unsplash
Foto von Vladimir Fedotov auf Unsplash

Neulich im AQUA DOME – willkommen auf Social Media!

Wenn laszive Posten das echte Leben ersetzen.
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Unlängst war ich im AQUA DOME, für jene, denen das nichts sagt, das ist eine Tiroler Therme.  

Kaum hatte die Therme geöffnet, hüpfte ich ins Wasser und zog bereits am frühen Morgen alleine meine Bahnen. Ich genoss die herrliche Stille, die mir leider nicht lange erhalten blieb. Schon bald drängten immer mehr Personen in die Richtung des kühlen Beckens. „Wollten plötzlich so viele in das kühle Nass?“, fragte ich mich. Nein, das wollten sie nicht, stellte ich bald darauf fest, sie suchten nur nach einer perfekten Inszenierung ihres Thermenbesuches.

Irgendwie erinnerte ich mich daran, dass an meinem Spind ein kleiner Kleber mit einem Handy angebracht war und dass es kurz nachdem ich den Wasserbereich betreten hatte, eine Durchsage gab, in der darauf hingewiesen wurde, dass fotografieren und filmen nur an den dafür ausgewiesenen Plätzen erlaubt ist.  

Dennoch drängten an diesem Morgen fast die Hälfte der Besucher nicht ins Wasser, sondern rund ums Handy. Menschen unterschiedlicher Nationalitäten folgten dabei einem imaginären, universalen Skript. Sie traten paarweise auf und begannen einen eigenartigen „Social-mMdia-Tanz“. Dabei ließen sich typische Tanzstile erkennen:

  • Bevorzugt: Der „Pfau“, bei dem mit erhobenem Haupt der Blick von der Kamera weg ins Leere wandert, während die Kehrseite möglichst gut zur Geltung gebracht wird. Das Ergebnis: Eine Rückseite, die scheinbar träumerisch in die winterliche Kulisse blickt. Natürlich bedarf es für den Blick ins Leere einer Leere. Also einer Perspektive, bei der Ganze so wirkt, als sei da niemand, außer eben dieser einen Person, die selbstvergessen in die leere Therme blickt.
  • Gerne und vielfach genutzt der „Samba-Move“. Eine seitliche Pose, in der das Becken ein wenig nach außen gekippt und ein Bein angewinkelt nach vorne geschoben wird. Maximal die Zehen dürfen dabei den Boden berühren. Kopf nach hinten, Kinn hochgehoben und eine Hand im Rücken. Gerne spielt die Hand auch einmal mit den langen Haaren oder wird in das schmale Bändchen des Badehöschens gesteckt.
  • Wenige sind so mutig und steigen wirklich ins Wasser. In diesem Fall wird die Leiter zum Begleiter. Maximal bis zum Bauchnabel geht es ab ins kühle Wasser, die Leiter fest im Griff, als hätten sie Angst, noch mehr in Kontakt mit dem Wasser zu kommen.
  • Nur ahnungslose Neulinge oder weniger Versierte gehen „all in“ ins kühle Nass. In diesem Fall kommt der „Rückwärtstango“ zum Einsatz. Beide Arme werden dabei in einer Siegerpose nach oben geworfen, während rückwärtsgelaufen wird. Bevorzugt in Kollisionskurs mit der Bahn, in der ich gerade schwimme.

Vielleicht meinem Alter und dem damit einhergehenden Bewusstsein geschuldet, dass das Leben endlich ist, mache ich ein Foto. In der Social Media Version nimmt dieses Geschehen einen anderen Verlauf.

  • Menschen werfen sich in „Pose“.
  • Kaum wird das Handy abgelegt, wird überhastetet zum Fotografen geflitzt – bei „Platzhirschen“ flitzt der Fotograf zum Hirsch.
  • Es folgt eine gestrenge Begutachtung, die zu einer unzureichenden Bewertung führt.
  • Abermals springen sie auseinander, um erneut die in meinen Augen gleich wirkende Pose einzunehmen
  • und der Reigen beginnt von vorne.

Bei meinem letzten Thermenbesuch habe ich das erste Mal den Unterschied zwischen einem Social Media Profi und einem Laien gesehen. Da hatte ich es mit einer versierten Instagrammerin zu tun, die dieses Metier wirklich beherrschte. Gestylt wie ein Modell und ausgestattet mit ihrem Equipment stürmte sie ins kühle Freie. Dort legte sie ihr Handy ins Stativ und breitete ihre Utensilien aus. Jeder Griff saß, als hätte sie das schon hunderte Male gemacht. Noch schnell die Kamera zu ihrer Zufriedenheit ausgerichtet und schon ging es los. Langsames Rückwärtsschreiten, während sie sich lasziv aus ihrem Bademantel schälte.

Bewundernswerte Koordination, dachte ich mir während des Schwimmens. Mit der Kamera am Boden flirtend, rückwärts am Rande des Schwimmbades zu balancieren und sich dabei auch noch aufreizend zu entkleiden – mir wäre wahrscheinlich mein Gesicht entgleist, während ich unschön ins Wasser geplumpst wäre. Nun kam der Moment, als sie sich umdrehte, um ins Wasser zu gleiten. Plötzlich hielt sie inne.

In der Zwischenzeit war ich aus dem dunstigen Nebel, der sich zwischen der kalten Luft und dem etwas wärmeren Wasser geformt hatte, aufgetaucht und somit auch für sie sichtbar geworden. Verwegen wie ich war, hatte ich doch tatsächlich ihre schöne leere Szenerie gecrasht. Streng und bestimmend wurde ich von ihr zurechtgewiesen und darauf hingewiesen, dass ich verschwinden solle!

Mein Einwand, dass dies kein erlaubter Platz zum Filmen sei, verhallte ungehört. Verwundert und verärgert über diese Dreistigkeit schwamm ich schlussendlich weiter.

Zugegeben, nicht alle sind so übergriffig wie diese Dame. Fast schon entzückend finde ich beispielsweise die Crew des „Social Media Teams“. Häufig handelt es sich dabei um einen Mann, der statt ins Wasser zu gehen, seiner Frau folgt. Manchmal lässt sich auch eine Liebesgeschichte mit der Crew beobachten. Dabei wird die klassische Pärchenhaltung eingenommen. Nahe beieinander, während der Arm mit dem Handy möglichst weit von sich gestreckt wird. Dem folgt der Kuss! Aber so richtig küssen, also richtig für das Bild zu küssen, dauert eine ganz schöne Weile. Gute zehn Minuten können so locker in der Eiseskälte vergehen, bis der perfekte Kuss auf ein abgewandtes Gesicht gelingt.

Zeitweise verspüre ich den starken Impuls, den Mann zu fragen, was ihn dazu motiviert mitzumachen? Aber mittlerweile scheinen sich immer mehr Männer für dieses Spiel zu begeistern.

Leise, kaum verstehbar, verhallt eine neuerliche Durchsage, dass es nur erlaubt sei, in den dafür gekennzeichneten Zonen zu fotografieren. Ich frage mich, warum niemand darauf reagiert? Werden solche Durchsagen aus Prinzip ignoriert? Oder liegt es an der schlechten Verstehbarkeit, vielleicht auch daran, dass viele Besucher Deutsch oder Englisch gar nicht zu verstehen scheinen?

Erst jetzt fällt mir der ein wenig verzweifelt anmutete Kampf eines Bademeisters auf. Bewaffnet mit einer Trillerpfeife, versucht dieser das Social Media Treiben in geordnete Bahnen zu lenken. Sobald er sich jedoch wegdreht, flitzen bereits die nächsten Social Media Infizierten um die Ecke.

Während der Bademeister also am Rande des Beckens steht und einem Schiedsrichter gleich vor sich hin pfeift, geht das Social Media Treiben im zweiten Stock ungeniert weiter. Fast nackt wirkende Hintern pressen sich dort an die Glasfront. An der Fensterfront wird geräkelt oder lasziv entlang gekrabbelt, was das Zeug hält. Fast so, als gäbe es niemanden, der dies sehen könnte.

Das gehört zu jenen Dingen, die ich einfach nicht verstehe.  Ich vermute zwar, dass all diese Fotos für irgendwelche Social Media Kanäle gedacht sind, also dazu dienen, dass andere Menschen sie sehen und bewundern. Doch die meisten, die sich in Szene setzen, verhalten sich so, als gäbe es gar keine anderen Menschen auf dieser Welt, als gäbe es nur sie.

Wird der „Schein“ wichtiger als das „Sein“,
das Foto wichtiger als die Erfahrung,
bleibt das, worum es wirklich geht, nicht nur bei den Social Media Infizierten,
sondern auch bei den restlichen Besuchern zunehmend auf der Strecke.

So interessant solche Beobachtungen auch sein mögen, die enorme Zunahme dieses Verhaltens nervte mich und so habe ich die Therme vorzeitig verlassen.

Im Hauptberuf selbstständige Psychotherapeutin mit freier Praxis in Innsbruck. Langjährige Erfahrung in der Begleitung von Menschen. Mehrere Publikationen in diesem Bereich. Erste Buchveröffentlichung: Das Buch des bewusst seins (ISBN-10: 3743101572, Book on Demand). Nebenbei Bloggerin und AFEU-Autorin.

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