Der Welttag der Poesie am 21. März …
… ist für die Allgemeinheit ein ungefähr so besonderer Tag wie der Welttag der Katze. Dabei besitzen 28% der Österreicher eine Katze, das sind sicher mehr als Lyrikbände-Besitzer. Um im Aufmerksamkeitswettlauf irgendwie zu punkten, musste also dringend etwas unternommen werden.
Die Tiroler Autorenschaft beschloss, ein Zeichen zu setzen. Nannte es offiziell Lyrik-Flashmob, um der Meldepflicht für Demonstrationen zu entgehen, obwohl es eigentlich ja eine solche sein sollte. Und um nicht von der MÜG, die ja in Poesie bisher keine Schulungen bekommt, missverstanden zu werden, wurde auch auf eine Straßenlesung verzichtet.
Natürlich war für Lyrik sowieso keine aufsehen- oder furchterregende Teilnehmerzahl zu erwarten, also entging die Veranstaltung dann tatsächlich der Aufmerksamkeit der patrouillierenden Staatsorgane, als wir uns zu fünft (betreuungspflichtige Kinder in Begleitung nicht mitgerechnet) unterm Goldenen Dachl einfanden und die Innsbrucker Altstadt mit der Verteilung von Gedichten belästigten.
Die wichtigsten Erkenntnisse aus der Aktion, nach Nationalitäten geordnet:
Die Tiroler interessierten sich kaum für ein poetisches Geschenk. Das entspricht auch der Wahrnehmung im Buchhandel. Zudem sind in der Innenstadt an einem Freitagnachmittag wenig Einheimische unterwegs, und wenn doch, sind diese grantig am Weg von oder zur Arbeit.
Unter den Touristen erwiesen sich Deutsche als fast zu 100 Prozent Poesie-resistent. Ihre Gesichter verrieten, dass sie sich keinesfalls etwas gratis andrehen lassen würden, wofür sie am Ende sicher doch bezahlen müssten. (Vielleicht vorgewarnt von Usancen im Tiroler Tourismus?)
Von den Chinesen erwarteten wir zwar nichts, versuchten es aber trotzdem. Man will ja niemanden benachteiligen. Doch diese Reisegruppen-Teilnehmer huschten sofort angsterfüllt in den Schutz ihres staatlich bestellten (und sie sicher beaufsichtigenden) Führers. Fürchteten offenbar (vielleicht gar nicht zu Unrecht), die invasive Gefahr von Poesie. Es steht bloß zu hoffen, dass sie nicht, weil wir ihnen einen bedruckten Zettel anboten, zuhause Minuspunkte auf ihrem staatlichen social score-Konto aufgebrummt bekamen!
Durchwegs freundlich reagierten italienische Gäste und junge Amerikaner*innen. Sie zogen meist voller Neugier die poetische Katz-im-Sack aus dem Korb. Und junge Verliebte diverser Nationalitäten scheinen, wie in alten Zeiten, Gedichte zu mögen. Ein Pärchen lehnte zwar zuerst freundlich ob der Störung ab, holte sich später aber doch noch ein Gedicht. Ob sie enttäuscht wurden? Denn „richtig schöne Liebesgedichte“ befanden sich, soweit mir bekannt, nicht in der Sammlung.
Als völlig für die Katz erwies sich das Poesie-Angebot jedoch bei einem (möglicherweise obdachlosen) älteren Herrn und bei sämtlichen Menschen in bunter Sportbekleidung, die sich mit ihren Fahrrädern eine Rast an der Annasäule gönnten. Klar, ein Gedicht kann man weder essen noch trinken, und man kommt damit auch nicht schneller den Berg hinauf.
Privatstatistisches Fazit: Deutsche sparen sicherheitshalber im Urlaub an allem und jedem. Tiroler fahren lieber Rad, als ein paar Zeilen zu lesen. Und ein paar Prozent der Menschen sehen in Poesie tatsächlich ein Geschenk.
Hallo,
ich musste ähnliche, schmerzhafte Erfahrungen machen. Den Menschen geht offensichtlich Lyrik und Poesie „am Arsch vorbei“, wie man tirolerisch sagt. Ich schreibe nicht nur Lyrik, sondern auch Belletristik. Habe ich noch vor fünfzehn Jahren einen Lyrikband von 250 aufgelegten Exemplaren, innerhalb zwei Jahren 120 – 140 Stück verkauft. In den letzten Jahren habe ich innerhalb von einem Jahr nur mehr 10 bis 20 Exemplare verkauft. Außerdem einen Verlag zu finden, der Lyrik oder Poesie verlegt, ist weitaus schwieriger als Lyrik zu schreiben.
Wir leben in einer Zeit der Äußerlichkeiten und der Selbstdarstellung, wo Social-Media die Gedanken der Menschen übernommen hat. Dennoch schreibe ich weiter, denn es ist wichtig. Lyrik ist der Balsam der Seele.
Herzlich grüßt aus Innsbruck
Günther Peer