Nudelgericht im Touristenslum

20. Mai 2025
2 mins read
(c) Helmuth Schönauer

In der Altstadt ist es so voll, dass man vom Pflaster nichts sieht!

Professionell Innsbruckende erkennt man daran, dass sie zu gewissen Monaten oder Wochentagen nicht in die Altstadt gehen.

So ist es an einem Sonntag im Mai in Innsbruck ein absolutes No-Go, to go Downtown.

Wer es dennoch tut, hat meist einen triftigen Grund.

a) die Person ist bei einer freiwilligen Einrichtung und muss Gestrandete und in ihrem Erbrochenen Zusammengebrochene in der Altstadt versorgen

b) die Person hat momentan kein Geld, um sich einen Städteflug nach Barcelona leisten zu können

c) die Person ist dienstlich für das Alpenfeuilleton unterwegs und recherchiert, wie das neue Altstadtpflaster so ankommt

Unterwegs im Segment c, als Pflaster-Journalist, lässt sich der erste Eindruck am besten damit zusammenfassen, dass man das Thema verfehlt.
In der Altstadt ist es so voll, dass man vom Pflaster nichts sieht!

Natürlich könnte man kurz einen Regenschirm vor sich hertragen und in seinem Schatten kurz zu Boden blicken, wo sich etwas Graues auftut, das wahrscheinlich das vielgerühmte Innsbrucker Altstadtpflaster sein wird.

Aus der wabernden Masse, die einen durch die Altstadt trägt, stechen drei Eindrücke hervor.

– Es gibt keine Fremden-Führenden mehr, statt dessen sind vor jedem Gebäude QR-Codes angefügt, über die man zu Hause nachlesen kann, was man gesehen hat.
Da die Codes über den Köpfen montiert sind, hält die Masse ihre Smartphones in die Höhe und macht ein Bild. 
Wer weiter hinten steht und keinen direkten Blick auf das Denkmal mit dem Code hat, braucht nur das Display des Vordermanns abzuknipsen und hat zu Hause ungestörten Zugang zur Sehenswürdigkeit.

– Gefühlt jede zweite Person hat einen Hund, den man aber nicht sieht, weil er von der Masse der Staunenden verschluckt wird.
Ab und zu schlägt ein Schwanz oder Beißkorb an die eigenen Waden und lässt vermuten, dass sich unter einem ein Hund befindet. 
Die Hauptaufgabe des Hundes, nämlich gesehen zu werden und den Besitzer stolz zu machen, geht freilich verloren, weil in den Gesichtern der Masse nicht mehr erkennbar ist, wer einen Hund mitführt und wer nicht.

– An den Kanten des Massenparcours sind Tischchen aufgestellt, auf denen massig vorfabrizierte Nudelgerichte serviert worden sind.
Die Portionen sind so klein, dass man nicht erkennen kann, ob sie schon jemand verzehrt hat und es sich um die Überreste handelt, oder ob sie missmutig serviert worden sind. 

Manch einer steckt beim Umkurven der Tischchen seinen Finger in den Teller, um zu testen, ob die Nudeln noch warm sind.

Das alles ergibt einen desaströsen und frustrierenden Eindruck. Zwischendurch fühlt man sich in einem Downtown-Film aus Philadelphia versetzt, wo alle am Boden hocken und für ein paar Augenblicke einen Flash aus Fentanyl genießen.
Die Innsbrucker Altstadt ist glücklicherweise sehr klein, sodass man zu Lebzeiten aus ihr hinaus geschwemmt werden kann, wenn man sich relaxed gehen lässt.

Draußen dann die nächste Überraschung. ‒ Quer über die Maria-Theresien-Straße ist eine endlose Doppelkolonne aufgestellt.

Die einen schauen nach Osten, wo es einen berühmten Gelati-Laden gibt, welcher der einzige Grund ist, nach Innsbruck zu kommen.

Die anderen schauen nach Westen, knapp an der Spitalskirche vorbei, und erweisen stumm dem Hard Rock Cafe die letzte Ehre, das wieder einmal Konkurs gemacht hat.

Wenn am Abend die Nachbarn aus Barcelona zurückkommen, werden sie berichten, dass es dort genauso zugegangen ist wie in der Innsbrucker Altstadt. 

Sogar die Nudeln sind dort kalt wie bei uns, der Nachbar hat extra in sie hineingegriffen, um die Temperatur zu testen.

STICHPUNKT 25|42, geschrieben am 13.05.2025

Geboren 1953. Ist seit Gerichtsverfahren 1987 gerichtlich anerkannter Schriftsteller, bis 2018 als Bibliothekar an der ULB Tirol. Als Konzept-Schriftsteller hält er sich an die These: Ein guter Autor kennt jeden Leser persönlich.

Etwa 50 Bücher, u.a.:
* BIP | Buch in Pension | Fünf Bände (2020-2024)
* Anmache. Abmache. Geschehnisse aus dem Öffi-Milieu. (2023)
* Austrian Beat 2. [Hg. Schneitter, Schönauer, Pointl] (2023)
* Verhunzungen und Warnungen. | Geschichten, entblätterte Geschichten, verwurstete Geschichten. (2022)
* Outlet | Shortstorys zum Überleben (2021)
* Antriebsloser Frachter vor Norwegen | Austrian Beat (2021)
* Tagebuch eines Bibliothekars | Sechs Bände (2016-2019)

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