Krise bei den Tiroler Höhlenzeichnern

4. November 2025
1 Minute Lesezeit
(c) Helmuth Schönauer

Stifte und Papier siedeln aus Österreich ab.

1.
Nicht alle, die in Tirol scheinbar unbeschäftigt herumsitzen, sind Faulenzer. Manche sind Künstler, denen man es nicht ansieht, worin ihre Kunst besteht.

Eine relativ handfeste Ausformung unter diesen klandestinen Künsten gibt sich geheimnisvoll und zeitlos. Unter der Hand wird diese Tätigkeit Eremitismus oder Cave drawing genannt.

Dabei entstehen schlichte Zeichnungen, die sich als Interpretation der Gegenwart lesen lassen. Indem sie nichts Bestimmtes aussagen, treffen sie jedes Thema auf den Punkt.

Als Idealzeichnung gilt daher ein gezeichneter Punkt, der soeben das Thema auf den Punkt gebracht hat.

Im Alpenfeuilleton sind regelmäßig Höhlenzeichnungen abgedruckt, weil sich diese elegant unter der digitalen Oberfläche wegducken und eine Art Reinheitsgebot von Graphit auf Papier erfüllen.

2.
Dieser Tage freilich erreicht eine Hiobsbotschaft die hermetisch in den Alpen eingeschlossene Kompanie der Höhlenzeichner.

Ein weltberühmter Hersteller von Schreibgerät wird sich selbst aus Engelhartszell absiedeln und im fernen Peru seine Produktionsstätte aufschlagen.

Nun hat Peru gewisse Landschaftsteile, die mit dem alpinen Sound mithalten können. Der Großteil des Landes freilich liegt höher oder tiefer als das Mittelmaß der Alpen. 

Da das ideale Schreibwerkzeug immer von der Höhe über dem Meeresspiegel abhängt, auf dem es produziert und verwendet wird, kommt es vermutlich in Zukunft zu Verunreinigungen in den Höhlenzeichnungen, wenn diese mit schlecht kalibrierten Graphitstiften ausgeführt werden.

Die Text-Stifte Fabrik soll nämlich direkt am Meer liegen, damit die Massenware zur Kunstproduktion gleich nach Europa verschifft werden kann. Auf der Strecke bleibt die wohltemperierte Konsistenz der Stifte, die für hochwertige Höhlenzeichnungen Voraussetzung ist.

Gerade als die ersten Versuche mit Stiften aus peruanischer Produktion angelaufen sind, trifft die Zeichner eine andere Hiobsbotschaft. ‒ Das Zellulose-Werk Laakirchen (eine ferne Gründung der Nazis) wird wesentliche Teile seiner Produktion irgendwohin verlagern, wo kein Österreich mehr ist. 

Das hochwertige Papier aus dem Land der Vergesser und Verdränger, das für historische Aufzeichnungen seit Jahrhunderten in Gebrauch steht, wird für tiefgehende Skizzen und Zeichnungen nicht mehr zur Verfügung stehen.

Fehlt gerade noch, dass auch die Höhlen, in denen die Tiroler ihre seltenen Gedanken spielen lassen, ins Ausland gehen, weil die heimischen Höhlen schon massig als Zweitwohnsitze genutzt werden.

STICHPUNKT 25|80, geschrieben am 22.10. 2025

Geboren 1953. Ist seit Gerichtsverfahren 1987 gerichtlich anerkannter Schriftsteller, bis 2018 als Bibliothekar an der ULB Tirol. Als Konzept-Schriftsteller hält er sich an die These: Ein guter Autor kennt jeden Leser persönlich.

Etwa 50 Bücher, u.a.:
* BIP | Buch in Pension | Fünf Bände (2020-2024)
* Anmache. Abmache. Geschehnisse aus dem Öffi-Milieu. (2023)
* Austrian Beat 2. [Hg. Schneitter, Schönauer, Pointl] (2023)
* Verhunzungen und Warnungen. | Geschichten, entblätterte Geschichten, verwurstete Geschichten. (2022)
* Outlet | Shortstorys zum Überleben (2021)
* Antriebsloser Frachter vor Norwegen | Austrian Beat (2021)
* Tagebuch eines Bibliothekars | Sechs Bände (2016-2019)

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