Die Herzerln sprießen wieder allüberall. Auf Weihnachtskarten und Geschenkpapier, als Weihnachtsbeleuchtung und Christbaumschmuck, auf den Bettelbriefen und Erlagscheinen für allerlei Einrichtungen, die uns auffordern, unser Herz und unsere Geldbörse doch ein wenig zu öffnen. Und nun steht, zu allem Überfluss, seit neuestem auch noch ein riesiges, über 2 Meter hohes Herz aus Holz an einem viel begangenen Spazierweg in Sistrans, und fordert — zumindest schmal gebaute oder sehr verliebte — Menschen auf, trotz Kälte und Nässe auf dem kleinen Querbrett in diesem großen Herzen Platz zu nehmen. Oder ist es als Fotopoint gedacht, um sich hier großherzig der Welt zu präsentieren? Allerdings ist dieses Herz so ausgerichtet, dass, will man davor posieren, im Bildhintergrund ausgerechnet das nicht gerade schönste Reihenhaus des Dorfes ins Blickfeld gerät, anstatt einer makellos unverbauten, weiß verschneiten Nordkette …
Aber egal. Hauptsache, es ist immer und überall viel Herz dabei. So wie bei den unzähligen Gemeinderatslisten, die zu jeder Wahl unter dem Listennamen „Ein Herz für …“ antreten. Denn wer Herz beweist, braucht weiter nichts zu denken, nichts zu tun, nichts zu hinterfragen, und deshalb auch keinen Shitstorm zu befürchten. Wer ein Herz im Leibe hat, ist per Definition ein guter Mensch. Und somit sind wir das dann eh alle.
Dabei wüsste man inzwischen, dass unsere Emotionen und unsere Empathiefähigkeit nicht im Herzen, sondern im neuronalen System beheimatet sind, also in jenen Arealen, die mit unserem Denken, Wahrnehmen, Sprechen verknüpft sind. Aber ein Hirn auf einem Spendenaufruf abzudrucken oder in die Landschaft zu stellen, das hat bisher noch keiner gewagt. Denn das würde ganz andere Anforderungen an uns stellen …