Hulapalu

Herbert übernimmt das Bierzelt.
Start

Sowie die ersten Takte von „L´amour toujours“ aus der Musikanlage des Festzelts ertönten, stürmte Herbert K. zum Pult des DJs und riss wahllos zwei, drei Stecker heraus. Schlagartig verstummte die Musik, nur die bunten Discolichter erhellten mit ihren Scheinwerfern die verdutzten Gesichter der Mädels und Burschen auf der Tanzfläche. Tiefes Atemholen der ländlichen Entrüstung.

„Hey! Was soll das!“ und die ersten hemdsärmeligen Gabalierverschnitte stolzierten breitbeinig in seine Richtung. Wer die Lautstärke hat, der hat das Sagen: Bierzeltregel Nummer 1! Aus den Augenwinkeln sah Herbert K. wie der DJ hektisch seine Anlage wieder hochfuhr, schnappte sich das Mikrophon, klopfte probeweise zweimal mit dem Finger drauf und rief begeistert: „Hallo Dorfhausen! Es lebe die Dorfjugend!“ Gejohle, Applaus und rhythmische Herbert-Rufe.

Hip hip – Hurra; Zigge-Zagge; Berg Heil! Das funktioniert immer. Die blinde Solidarität der Masse. Vereint in der rauschhaften Glückseligkeit einer dampfenden Herde. Nachlegen, nachladen. Die Kontrolle bewahren. Die Zügel führen. Hulapalu und die Lederhosen und Dirndln wirbeln wieder über die Tanzfläche. Verstohlen wischte sich Herbert K. den Schweiß von der Stirn und ging, mit beiden Armen dirigierend zum Mischpult. „Wann wird´s mal wieder richtig Sommer!“ schrie er dem DJ ins Ohr. „Was?“ „Rudi Carell! Wann wird’s mal wieder richtig Sommer – die nächste Nummer!“

Der DJ beugte sich über seinen Laptop, tippte herum und gab nach wenigen Augenblicken Herbert K. einen Daumen nach oben. Geschafft!

Das hätte ihm gerade noch gefehlt: „L´amour toujours“, Ausländer-raus-Rufe und er mittendrin! Ein mediales Desaster. Da nützt dann die Jetzt-erst-recht-Mentalität seiner Getreuen auch nichts mehr. Man gewinnt so keine neuen Stimmen.

Hulapalu. Die letzten Takte. Man hörte wieder den Regen aufs Bierzelt prasseln. „Meine Freunde! Danke, dass ihr alle gekommen seid! Danke für eure Hilfe bei all den Überflutungen, beim Keller auspumpen, beim Aufräumen! Danke! Eine Runde Freibier für alle! Prost!“ Die Stimmung war am Explodieren. „Vier Wochen Regen im Juli! Klimawandel!? Da kann ich nur lachen!“ Herbert K. trat an den Rand der kleinen Bühne.

„Wollt ihr den totalen Sommer?“

„Ja!“

„Wollt ihr den totalen Sommer?“

„Jaaa!“

Auf das Zeichen von Herbert K. schob der DJ die Regler ganz nach oben und in voller Lautstärke schnarrte Rudi Carell bis in die Ohren der hintersten Bierbänke: „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer, ein Sommer wie er früher immer war …“

Bereits beim zweiten Refrain grölte die Hälfte des Bierzelts mit und brachte am Ende schunkelnd die Tische zum Schwanken. Die Nacht war gerettet.

Herbert K. gab die Order das Lied im Laufe des Abends noch zwei, dreimal zu spielen und stürzte sich mit einem versteckten Seufzer in die Menge. Wie er das hasste. Selfies, grinsen, Hände schütteln, grinsen, Prost, grinsen, der Apfelsaft kam ihm schon beinahe aus den Ohren. Das Martyrium des Führens. Unnahbarkeit verlangt nach Diktatur. Solange es noch so etwas wie Demokratie gibt, muss wohl oder übel Volksnähe praktiziert werden. Nicht einmal Handschuhe konnte er anhaben.

Müde und erschöpft kam er nach Hause, eilte aufs WC: die 1 ½ Liter Apfelsaft im Bierkrug verlangten ihr Tribut. Gründlich schrubbte sich Herbert K. mit zweimal „Happy Birthday“ die Hände – wenigstens auf dem Gebiet der Hygiene hatte Corona etwas gebracht – und ging in sein Büro. Abschalten, ausspannen. Kühl war der Raum. Zu kühl. Kalt. Und das im Juli. Zum Glück hatte er einen Schwedenofen einbauen lassen. Mit Glasfenster. Da beobachtete er im Winter gerne das Spiel der Flammen. Die Macht des Feuers. Herbert K. öffnete die Ofentür, nahm drei Scheiter aus dem Holzkorb, legte sie auf den Rost und schichtete darüber Späne und Astwerk. Er pulte einen Anzündwürfel aus der Schachtel, schob ihn unter die Späne und zündete ihn an. Flackernd schleckte die bläuliche Flamme am Holz. Herbert K. schloss die Ofentür. Dichter Rauch quoll gegen das Sichtfenster und drückte sich zunehmend durch die Ritzen der Tür. Verdammt! Das Feuer drohte zu ersticken. Hastig öffnete Herbert K. die Ofentür und sofort füllte dickschwadiger Qualm den Raum. Prustend, hustend und mit tränenden Augen tastete sich Herbert K. zum Fenster, riss es auf und sog begierig die frische Luft ein. Scheiß Holzofen! Er würde auf Gas umsatteln!

Dann konnten alle mal sehen, was er damit noch machen würde.

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.

AFEU mit ChatGPT 7
Vorheriger Artikel

Silberstreif

Latest from Literatur

Haiku für Franz H.

Haikuist Markus Stegmayr widmet seine neusten Haikus einem Tiroler, der in New York Fuß fassen konnte.

Könnte auch spannend sein

AFU.at mit ChatGPT 5

Herbert allein zu Hause

Über ein echtes Dilemma.
Herbert K. via ChatGPT

Vergebliche Liebe

Herbert K. und das Fernsehprogramm.

Sie schaut aus wie eine Puppe

Maksym hält die leblose Puppe in seinen Händen. Ihr rosarotes Kleid ist