Herbert K. wusste, dass KZs falsch waren. Darüber brauchte er nicht zu diskutieren. Eine derartige Vernichtungsmaschinerie ist nicht nur absolut sinnentleert, sondern sowohl von einem christlich-abendländischen als auch ökonomischen Standpunkt aus voll und ganz abzulehnen. Ein toter Mensch ist einfach nur tot. Aus. Vorbei. Abgesehen von ein paar Vorzeigehelden die man für den eigenen Mythos und Ruhm benötigt, fällt die große Masse der Verstorbenen früher oder später dem kollektiven Vergessen anheim. Selbst in der eigenen Familie vermochte sich Herbert K. lediglich noch namentlich an seine Urgroßeltern zu erinnern – der Rest war Stammbaum und graue Ahnenforschung. Allerdings muss eine Volksgemeinschaft auch in der Lage sein Verbrecher, asoziale und dubiose Elemente unschädlich zu machen.
„So wie jede Hausfrau rigoros gegen jede Form von Ungeziefer ankämpft, so müssen auch wir darauf achten, sauber und rein zu bleiben!“ Herbert K. liebte diesen Vergleich. Diese ganze linkslinke Umarmerei führt letztendlich doch nur zu Sodom und Gomorrha: Genderwahnsinn, billigste Gleichmacherei, Überfremdung, Sozialschmarotzertum, Arbeitsverweigerung, Respektlosigkeit! Schon allein diese Aufzählung brachte Herbert K. regelmäßig in Rage. So wie man sein Haus pflegt, seinen Garten bestellt und – Herbert K. konnte es nur hoffen – seine Kinder zu anständigen und rechtschaffenen Menschen erzieht, so muss auch das Gemeinwesen organisiert werden.
Ein Hund gehört an die Leine, ein Pferd wird zugeritten, der Wildbestand von der Jägerschaft reguliert und in der Landwirtschaft wird mit Schädlingen kurzer Prozess gemacht. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.
Wer immer in der Festung Österreich leben will, der hat sich zu fügen. Und wer nicht spurt – Herbert K. war da durchaus ein wenig stolz auf seinen pädagogischen Ansatz – der sollte die einmalige Chance erhalten durch Arbeit der Gemeinschaft zu zeigen, dass er a) sich bessern möchte und b) gewillt ist, seinen Beitrag für den gemeinsamen Wohlstand beizutragen.
Einsperren alleine bringt nichts. Das kostet nur. Herbert K. schwebte da eher so eine Art von konzentrierter Zusammenfassung diverser, zwielichtiger Elemente vor. Einige hundert, vielleicht gar tausend – abhängig von Geschlecht und Vergehen – in einem abgegrenzten Bereich, um dort zu leben und zu arbeiten. Und mit einer subtilen Form von Selbstverwaltung aus internen Kapos und Stubenältesten, die über eine gewisse Sanktionskompetenz verfügen. Da braucht es dann gar nicht mehr so viel bewaffnetes Bewachungspersonal.
Das wichtigste dabei war für Herbert K. die sinnstiftende Wirkung von körperlicher Arbeit: zum einen für eine weitestgehende Selbstversorgung dieser Anhaltezentren (AZ – wie sie Herbert K. prägnant abkürzte), sprich: Landwirtschaft, Gartenbau, Vorratshaltung, Klärdienste, Bäckerei, Reinigung, Instandhaltung, Infrastrukturmaßnahmen und eventuelle Erweiterungsarbeiten. Zum anderen gezielte Einsätze in bewachten Außenzonen: Flurbereinigungen, Wildbach- und Lawinenverbauungen, Holzschlägerungen, Schneeräumung, Recycling, Wege bauen für den Alpenverein und den Tourismus, Beseitigung von Umweltschäden und dgl. mehr. Zum Nutzen von allen.
Und die ganzen Ausländer? Solange sie brav arbeiten, konnte Herbert K. sie durchaus tolerieren. Allerdings gehört vorher klargestellt, dass sie wieder mit Sack und Pack und Kind und Kegel zu gehen haben, ehe sie einen Rentenanspruch erwerben können. Wie hatte schon der Jörg Haider gesagt: „Jeder Asylant holt sofort seine Familie nach und lässt sie gesundheitlich sanieren. Auf Kosten der tüchtigen und fleißigen Österreicher.“
Zufrieden setzte sich Herbert K. an den Mittagstisch. Wer hart arbeitet bekommt auch etwas zu essen. So wie Ghandi mit seinem Spinnrad. Ein Revolutionär.
Lächelnd zog Herbert K. einen roten Edding aus der Tasche, malte einen roten Punkt auf seine Stirn und machte sich über das Linsencurry her.
Mahlzeit.