Raus aus der Hängematte! Aber aus welcher?

16. Juni 2025
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Foto von Angelina Kichukova auf Unsplash

Der Mensch ist ein bequemes Tier. Körperlich unterlegen, behilft er sich gern mit Exo- Kräften. Und wird dabei immer noch bequemer, zugegeben.

Das begann schon beim Ackerbau. Riesenmaschinen und Chemiedünger, patentierte Neuzüchtungen und Unkrautvernichter ersparen dem Menschen die körperliche Anstrengung des Jätens und Grabens. Mit Gummistiefeln mitten in einer Permakultur zu stehen und den Salat herauszupflücken, ist mühsamer, als oben am Traktor zu sitzen, und erst recht anstrengender, als im Supermarkt dem Regal entlang zu schlendern und Verpacktes in den Einkaufswagen zu legen. Für diese Faulheit wurden die Äcker immer größer, der nötige Kapitaleinsatz ebenfalls. Sollte jedoch der Diesel ausgehen oder das Geschäft mal geschlossen sein, ist man aufgeschmissen. Aber das kann bei uns ja praktisch nie passieren …

Den Menschen zieht es seit Jahrtausenden in die Städte. Dort liegen Arbeit und Konsum näher beisammen als am Land. Man muss nicht weit gehen oder alles selber machen, wie noch zu vorzivilisatorischen Urzeiten. Man kann unbegrenzt konsumieren. Man lässt sich allseits bedienen. Nur wenn die allseitige Bedienung halt mal ausfallen sollte, ist man aufgeschmissen. Aber sowas kann in unserer hochzivilisierten Welt ja gottlob nie passieren …

Die tausend Maschinen, mit denen wir uns das Leben und die Fortbewegung, überhaupt das ganze Leben leicht machen, verbrauchen Öl, Kohle, Strom anstatt unserer eigenen Kalorien, der Rest verpufft in die Luft. Wenn die Maschinen kaputt sind, schmeißen wir sie irgendwo auf Deponien. Alles ganz anstrengungslos. Die Reste aus Schornstein, Auspuff und Materialien lagern wir bequem irgendwo ab. Die verschwinden dann eh irgendwie …

Mitmenschen sind mühsam. Sich mit ihnen zu verständigen ist mühsam. Da greift man lieber zu vorgefertigten Lachmännchen oder Waffen, die das für einen erledigen. Nach einiger Zeit kommen die Lachmännchen oder Drohnen zurückgeflogen. Und so fort. Irgendwer entwickelt dann den nächsten vorgefertigten Wort-Ersatz oder die nächste Drohne, die sich mit noch weniger Anstrengung handhaben lassen. Weshalb also sich noch den Mund fusslig reden … ?

Ins Handy zu tippen und sich von der KI alles ansagen zu lassen ist bequemer, als zu überlegen, Landkarten zu studieren, Sprachen und Formeln zu lernen. Die KI weiß alles auf Fingerwisch. Wenn das Internet mal ausfällt, sind wir halt dumm und blöd. Aber das passiert ja praktisch nie …

Ja, das Leben wird immer einfacher. Anstrengungsloser. Wofür soll man sich überhaupt noch Mühe geben? Sogar das Sterben wird demnächst ganz mühelos und immer schneller gehen. Versprochen.

Nur wird uns jetzt täglich von Politikern mit perfekt manikürten Händen gepredigt*, alle Braven und Fleißigen müssten nun wirklich, endlich, endgültig aus der Hängematte raus! Aber aus welcher? Und natürlich müssen sich auch nicht alle angesprochen fühlen. – Die braven und fleißigen Investoren, die es sich hinter Stiftungen und Gesellschaften ohne Haftung gefahrlos bequem gemacht haben, die dürfen selbstverständlich liegenbleiben. Die arbeiten schließlich fleißig von ihrer Hängematte aus.

Ganz anders der Arbeiter, der sich trotz Wochenendschichten keine Wohnung mehr leisten kann;  die kranke Pensionistin, deren karge Pension zwar gleich bleibt, die aber jetzt mehr an die Krankenkasse zahlt; die alleinstehende Mutter, die sich zwischen Halbtagsjob, Kinderbetreuung und Mindestsicherung 24/7 bis zur Selbstauflösung durchstrampelt; der 60jährige Installateur, dessen Rücken auf zugigen Baustellen rheumatisch aufgibt und für den es keinen gesünderen Job mehr gibt; Die alle können jetzt ruhig bis 70 auf die Hängematte namens Pension warten.

Also, ihr faulen Großerben, ihr körperschonend fleißig rechnenden Wirtschaftsfunktionäre und Professoren! Arbeitet, wie ihr es für euch selbst ja explizit wünscht, ruhig bis 70! Erbringt selbst die von euch eingeforderte Leistung, aber bitte nicht gemütlich am Schreibtisch, sondern am Bau, als Verkäufer, Pfleger, Lehrer, auf dem Familienbauernhof oder auch „nur“ in der unbezahlten Kinder- und Altenbetreuung, wo immer halt die Arbeitskräfte fehlen werden. Erkundigt euch auf „Willst du. Kannst du. Karriere.at“. Und dann redet weiter von Hängematten! Ihr seid die Avantgarde! Lebt uns vor, wie Brave und Fleißige das Erwerbsleben bis 70 freudig überstehen!

*) Unser Wirtschaftsminister erklärt im TT-Interview vom 24.6.25:

Es gehe „darum, Leistung und Wettbewerb in Österreich zu steigern, um den Wohlstand und den Sozialstaat zu retten. „Dafür müssen wir als Gesellschaft heraus aus dem Wellness-Modus und brauchen wir wieder mehr Leistung, Fleiß, Erfindergeist und Exzellenz.“ Laut Hattmannsdorfer seien da gerade auch in der Corona-Zeit sicher „einige falsche Anreize“ gesetzt worden, was verstärkt zu einer Art „Vollkasko-Mentalität“ geführt habe.

Mit dem beschlossenen Leistungspaket seien erste Anreize für Leistung und Mehrarbeit gesetzt worden (…)“

Geboren 1954 in Lustenau. Studium der Anglistik und Germanistik in Innsbruck Innsbruck. Lebt in Sistrans. Inzwischen pensionierte Erwachsenenbildnerin. Tätig in der Flüchtlingsbetreuung. Mitglied bei der Grazer Autorinnen und Autorenversammlung Tirol, der IG Autorinnen Autoren Tirol und beim Vorarlberger AutorInnenverband. Bisher 13 Buchveröffentlichungen.

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