Meine Mutter am Weltwirtschaftsgipfel

30. Mai 2022
1 Minute Lesezeit
Photo by Evangeline Shaw on Unsplash

Nur so eine Vorstellung: Was meine Mutter in Davos zu sagen hätte, würde sie noch leben und hätte man sie jemals zum Weltwirtschaftsgipfel eingeladen.

Da wäre zum Beispiel das von ihr erfundene Zwei-Metzger-Prinzip. Sie hatte die Erfahrung gemacht, dass sie nicht mehr die beste Ware bekam, nachdem sie jahrelang dem Dorfmetzger eisern die Treue gehalten hatte. Also ging sie schweren Herzens eine Zeitlang zu einem anderen Fleischauer, da wurde sie als Neukundin bestens bedient. Und später immer abwechselnd mal zum einen und mal zum anderen. Intuitiv hatte sie das Prinzip erkannt, dass du als Kunde von mehreren Lieferanten besser aufgehoben bist. Hätten das unsere hochbezahlten Manager beim Energie-Einkauf ebenso gehalten, säßen wir jetzt nicht in der Klemme.

Oder als alte Hausgärtnerin wusste sie, lange bevor das in Mode kam, dass man am besten Mischkulturen anpflanzt. So konnte der Sommer zu trocken oder zu nass werden, irgendwas gedieh immer. Mit Diversifizierung, Risikostreuung und den Gefahren der Monopolbildung hat sie sich sicher nie befasst. Diese Begriffe waren ja damals noch nicht in aller Munde. Heute wird darüber in Davos sicher wieder viel geredet und trotzdem nichts unternommen. Schließlich ist ja alles Mono-Kulturelle einfacher zu handhaben als Diversität, ob in der Landwirtschaft oder in der Politik, und bringt, wenn´s funktioniert, den größeren Gewinn.  Und wenn es nicht funktioniert, ja, dann ist´s auch kein Problem. Dann ist man eben too big to fail.  Alle zahlen drauf, nur einer Handvoll Aktionäre geht´s weiterhin prächtig.

Und über allem stand für meine Mutter auch noch diese altmodische Vorstellung, dass man auf Haus und Garten schauen müsse, damit die Kinder und Kindeskinder ebenfalls noch was davon hätten. Also wurde repariert und gepflegt und erneuert, wo immer nötig. Ein Leben lang. Man haute nicht sinnlos auf den Putz, wenn es galt, das Ererbte für die Zukunft, die man selbst nicht mehr erleben würde, zu erhalten. Und die Kinder wurden dazu erzogen, das später auch so weiterzuführen, auch wenn man dann schockiert war, wenn die auf einmal gegen Zwentendorf protestierten und die Grünen wählten. Das Wort Nachhaltigkeit war im Wortschatz eben nicht verankert, obwohl man unter konservativ damals so was Ähnliches verstand.

Und einmal im Jahr machte die Familie einen Tagesausflug nach Lenzerheide oder Davos, genoss die Berge und leistete sich eine Bündnerplatte und ein Glas Maienfelder Rotwein, und das alles ganz ohne Polizeischutz.

Und jetzt sitzen diese vielen gescheiten Männer ebendort, hinter Gitterzäunen in einer Art militärischem Sperrgebiet, und zerbrechen sich die teuren Köpfe, wie unsere Welt zu retten wäre, ohne dabei ihr Kapital oder ihre Wähler zu verlieren. Hätten sie vor Jahren meine Mutter als Referentin eingeladen, könnten sie jetzt unbewacht und mit gutem Gewissen eine Bündnerplatte und den Maienfelder Roten genießen — und wir alle auch.

Geboren 1954 in Lustenau. Studium der Anglistik und Germanistik in Innsbruck Innsbruck. Lebt in Sistrans. Inzwischen pensionierte Erwachsenenbildnerin. Tätig in der Flüchtlingsbetreuung. Mitglied bei der Grazer Autorinnen und Autorenversammlung Tirol, der IG Autorinnen Autoren Tirol und beim Vorarlberger AutorInnenverband. Bisher 13 Buchveröffentlichungen.

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