Austropop 3.0.: Der Austropop ist tot, es lebe der Austropop!

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10 Minuten Lesedauer

Ich habe mir lange überlegt, was mich genau an der Platte „Unser Österreich“ von Nino aus Wien und Ernst Molden stört. Langsam wird es mir klarer und klarer. Es ist die Selbstbezüglichkeit und die relative Rückschrittlichkeit, die von dieser Platte ausgeht. Ganz so als habe man hier die Songs „entkleiden“ wollen um zu zeigen, dass das absolut großartige Songs sind.
Die Interpretation ist dabei betont nachlässig und mit dem typisch österreichischen „Wurscht-Gefühl“ versehen. Damit einher geht die Tatsache, dass die Platte nicht auf die Lebensrealität im Heute Bezug nimmt, sondern sich eben in nostalgisch gefärbter Neu-Interpretation des Damals versucht. Zum Glück habe ich in den letzten Wochen auch Gegenbeispiele gefunden: Stefan Sterzinger und Özlem Bulut!
Was ist aber eigentlich überhaupt Austropop? Auf ganz basaler Ebene kann darunter wohl Popmusik verstanden werden, die in Österreich produziert wurde. Diese Definition ist aber nur sehr unzureichend. Ich würde behaupten, dass unter Austropop vor allem auch Musik verstanden wird, die sich mit der Identität Österreichs auseinandersetzt.
Ein Popsong, der in Österreich produziert wurde, dabei aber nicht die österreichische Seele thematisiert, kann daher auch kaum als Austropop bezeichnet werden. Lieder, die ohne Abgründe, Depressionen, Alkohol, Kaffeehäuser oder ähnlichem auskommen sind schlicht und einfach nicht im Diskurs und Kontext des Austropop zu verorten.
Was genau machen Nino aus Wien und Ernst Molden mit dem Austropop?
Wie lässt sich das „Verfahren“ aber beschrieben, das Nino und Molden auf „Unser Österreich“ anwenden? Es ist zunächst einmal ein Verfahren der bewussten Selektion und der bewussten Einschreibung des eigenen Geschmacks. Die Lieder werden nach konkreten Kriterien selektiert, um sie in die musikalische Welt der beiden integrierbar zu machen. Dabei konzentrieren sich die beiden auf die eher düsteren Aspekte des Austro-Pop.
Dennoch ist es klar ein Rückgriff. Die Behauptung, dass diese „Klassiker“ im Kern großartige Lieder sind und diese eigentlich nur von allem Überflüssigem befreiten werden müssen, lässt diese Lieder im Licht der Nostalgie erscheinen. Es ist ein Zurückschau, die keine wirklichen eigenen musikalischen Mittel findet, sondern das bereits Vorhandene anders betont und anders in den Fokus nimmt.
Kurzum: „Unser Österreich“ spielt auch mit dem Nostalgie-Empfinden der Österreicherinnen und Österreicher und fügt dem Ganzen auch noch eine Brise FM4-Lässigkeit hinzu, damit diese Lieder wirklich von dem vielleicht bereits vorhandenen Mief befreit werden. Musikalisch passiert aber nichts, das diese Lieder ins Heute holen würde.

Stefan Sterzinger (Bild: Robert Feichtenschlager)
Stefan Sterzinger (Bild: Robert Feichtenschlager)

Kürzlich fielen mir, aus meiner Sicht als Kontrastprogramm, Özlem Bulut und Stefan Sterzinger auf. Sterzinger ist wahrlich ein Urgestein der Wiener-Musikszene und hat zweifellos auch so einiges zum Thema Austro-Pop beigetragen. Auf seiner aktuellen Platte „Ashanti Blue“ macht er aber eines anders als die beiden von mir hier als Beispiel vorgestellten Musiker: Er suhlt sich nicht in der Neuinterpretation der Vergangenheit, sondern setzt Aspekte wie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des „Austropop“ völlig neu zusammen und findet andere Zusammenhänge.
Seine Lieder sind voller Brüche, Verklärung der Vergangenheit findet sich bei ihm, zumindest auf der aktuellen Aufnahme, definitiv nicht. Seine Lieder spielen mit Fragmenten des Wiener-Liedes, seine Texte nehmen auf „typische“ Situationen in Wien Bezug. Er kennt die Seele des Wieners und der Wienerin wie seine eigene Westentasche. Aber er transzendiert dieses „Wienertum“, führt es vor und umschifft musikalisch bewusst und gekonnt jede Nostalgie- und Verklärungs-Falle.
Musikalisch ist das nicht immer Pop. Pop wird hier weniger als Einschränkung der musikalischen Mittel verstanden, sondern als Musik, die potentiell populär sein könnte. Die Mittel um sich auszudrücken sind bei Sterzinger allerdings vielfältig: Jazz, Chanson, Rock, Blues und was weiß ich noch alles. Es ist ein stilistisches Gebräu, das sich nur schwer beschreiben und festlegen lässt.
Auch Einflüsse aus der afrikanischen Musik lassen sich verorten, genauso wie Afrika auf der Platte auch textlich thematisiert wird. Der Umgang mit den afrikanischen Mitbürgern in Wien ist Sterzinger generell ein Dorn im Auge. Für ihn ist dieser Ausdruck einer zutiefst ambivalenten Stadt, die ihn zugleich inspiriert als auch verstört.
Klar ist: Seine Lieder schulden Wien sehr viel. Aber seine Lieder sind so gut, weil er sich nicht von Wien einengen lässt und musikalisch definitiv einen Blick auf die weite Welt hat. So erneuert sich der „Austropop“ auf „Ashanti Blue“ streckenweise ganz ungeheuerlich und auf überaus faszinierende Weise. Er benutzt die musikalischen Möglichkeiten der großen weiten Welt um seine Heimatstadt musikalisch und textlich zu beleuchten. Er injiziert dem „Austropop“ die notwendige Öffnung um ihn musikalisch beweglich und spannend zu halten.
Özlem Bultut Jazztime
Exakt dieser Stefan Sterzinger brauchte mich auf die Idee, mir Özlem Bulut anzuhören. Eine aus der Türkei stammende und in Wien lebende Sängerin, von der er behauptete, dass sie den Austro-Pop weiterbringen würde. Natürlich sagt er das nicht ohne einen leicht provokanten Unterton. Aber: Er hat Recht.
Welches Recht hat der „Austropop“ im Heute Einflüsse türkischer Musik ganz einfach außen vor zu lassen? Muss die Tradition des Austro-Pop sich nicht auch mit der kulturellen Lebensrealität in Wien auseinander setzen? Tut er es nicht fällt er der Gefahr anheim, nur Folklore zu sein und eine alte, vergangene Zeit zu beschwören. Abermals ist die Nostalgie-Falle dann wieder voll zugeschnappt.

Özlem Bulut wohnt seit ca. 7 Jahren in Wien. Davor hat sie in der Türkei Gesang studiert und sich ganz früh bereits als Straßensängerin etabliert. Ein Stipendium brachte sie schließlich nach Wien, wo sie später auch im Chor der Wiener Volksoper sang.
Das gute an der Musik, ihren Texten und ihrem Gesang ist: Alles ist so gut, dass man niemals auf die Idee käme, sie auf das Thema Migration und Integration festzulegen und zu reduzieren. Ich würde mich niemals trauen sie zu fragen, ob sie sich als Brückenbauerin zwischen den verschiedenen Kulturen sieht. Ich finde es vielmehr interessant anzuhören, welchen musikalischen Welten und Möglichkeiten sie in die Welt des „Austro-Pop“ einschleust und noch einschleusen könnte.
Ihre Musik spielt mit Ethno-Einflüssen, mit Jazz, mit Rock und mit Pop. Ihr Gesang ist mal jazzig, dann zuckersüß poppig nur um im nächsten Moment ihre eigene musikalische Herkunft wieder mehr als nur durchklingen zu lassen. Noch ist die Musik von Özlem Bulut relativ unberührt von Einflüsse des sogenannten „Austropop“.
Deshalb müssen wir uns ihre brillante neue CD „Ask“ als einen Vorschlag vorstellen, wie sich der „Austropop“ in Zukunft gekonnt und auf interessante Weise erweitern und erneuern ließe. Ich könnte mir keinen besseren zukünftigen Austropop vorstellen: Eine Musikrichtung, die im allerbesten Sinne grenzenlos ist und die musikalische und kulturelle Lebensrealität von Wien, von Österreich und von der ganzen Welt auf virtuose Weise aufsaugt und auf den Punkt bringt.
Keine Frage: Es ist noch viel zu tun. Noch ist der „Austro-Pop“ nicht über den Berg und es kann auch sein, dass er mit Nino und Ernst Molden im Moment nur einen kurzen, wenig nachhaltigen Impuls bekommen hat.
Persönlich würde ich mir wünschen, dass er weniger auf die nostalgisch-verklärende Lässigkeit von Nino und Molden setzt, sondern die musikalische Grenzenlosigkeit und Wahrhaftigkeit von Özlem Bulut und Stefan Sterzinger verstärkt zum Leitdiskurs wird. Dann ließe sich bald wirklich sagen: Der Austro-Pop ist tot, lang lebe der neue Austro-Pop!

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

1 Comment

  1. so. jetzt aber. ich war gedanklich die letzten tage mehr rund ums mittelmeer. deshalb die lange reaktionszeit. schoener artikel markus. danke fuer die auseinandersetzung. laß mich ein paar worte aus meiner sicht dazu anmerken:
    pop ist wohl eher eine statistik als ein musikalisches genre. der begriff austropop im jahr 2015 ist mir sehr willkommen als ordnendes element im „plattengeschaeft“. dort will ich musik finden aus einer bestimmten region in europa in all ihrer vielfalt. dort will ich meine cd´s angeboten wissen neben denen vom ernst molden, von özlem bulut, vom nino, dem hmbc und allen anderen.
    moeglicherweise hat der begriff pop aus seiner geschichte heraus so einen beigeschmack von fortschrittlich, bzw „progressive“. das ist mittlerweile wohl folklore bzw gleitmittel fuer die verkaufszahlen.
    moeglicherweise hat der begriff austropop aus seiner geschichte heraus so einen beigeschmack von peinlich. nicht ohne grund eventuell, wie auch beim schlager oder beim wienerlied oder der volksmusik im allgemeinen. fuer mich kann ich dazu nur sagen, ein tolles lied ist ein tolles lied ist ein tolles lied, egal aus welcher historischen momentaufnahme, aus welchem kontext es daherkommt.
    ernst molden und der nino haben unendlich viel getan fuer die zeitgenoessische popular musik hier bei uns im osten. ein gueltiges angebot formuliert gegen coca cola und mc donalds. der ernst als romantischer zauberer und der nino als personifiziertes gesamtkunstwerk.
    die aktuelle cd „unser oesterreich“ ist meines wissens nach nicht als richtungsweisendes album fuers 3.jahrtausend konzipiert und auseinandersetzung mit der geschichte hat noch nie geschadet.
    womit ich wieder beim mittelmeer waer. 2 dinge zum anschauen zur lage:
    http://tvthek.orf.at/program/Weltjournal/5298609/WELTjournal-Superreiche-Willkommen-in-Grossbritannien/9633228
    http://tvthek.orf.at/program/Das-radikal-Boese/9604777/Das-radikal-Boese/9602135

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