Frömmelnde Buchhandlung. Ein literarischer Seufzer.

18. Juni 2024
2 mins read
(c) Helmuth Schönauer

Wahrscheinlich sind Vasen die besseren Bücher.

Eine Buchhandlung in Sichtweite der Annasäule ist selbst für Außenstehende sofort als Ort geheimer Religiosität wahrnehmbar.

Wer also die Buchhandlung mit dem Ypsilon betritt, erwartet sich am ehesten etwas wie einen japanischen Schrein, den man mit aufgestellten Patschen geräuschlos umkreisen kann.

Der Vormittag gilt für Pensionierende als ideales Zeitfenster, um nichts zu erleben. Viele vom Leben Ausgereifte fahren um diese Zeit in die Stadt, weil sie gewiss sein können, dass nichts los ist.

O. k. – ein wenig Ladetätigkeit in der Fußgängerzone gibt es, und die Durchfahrt für Lastenfahrräder ist nicht nur erlaubt, sondern sogar erwünscht.

Im Parterre der Y-Buchhandlung ist gut Platz, um dem Körper die Zügel schießen zu lassen.

Dem Buchhandel soll es wieder schlechter gehen, sagt jemand, – weil so viel im Netz, sagt wer anderer, und blabla. 

Das Ambiente ist mittlerweile dem Netz angepasst, die Papierhandlung im Keller ist herauf gerückt ins Erdgeschoss und hat die Bücher verdrängt, die früher wie in einer Buchhandlung aufgestellt waren.

Zwei Buchregale sind noch übrig, über einem steht „fiction“, über dem anderen „nonfiction“, so wie es im vorigen Jahrhundert das Fachpersonal gelernt hat.

Zwei Buchhändlerinnen reden im Hintergrund miteinander zeitlose Themen ab und sehen dadurch selbst zeitlos aus.

– Ja, Bücher machen jung, sagt später ein Autor, der noch immer nicht mit dem Schreiben aufhören kann, obwohl ihn niemand mehr liest.

Die Gesprächsfetzen des Personals wirken ohne Hörgerät wie dumpfes Hintergrundrauschen von TikTok-Filmchen. 

Das ist der Schlüssel zum Ganzen: Geräusche, Bücher, Regale, Gespräche – alles ist TikTok.

Anstelle der Buchregale sind jetzt Keramikgestelle in Pose gebracht, Pose statt Poesie.
Überall lagern Vasen, Schalen und „Veganien“ herum, mit denen sich vegane Zeremonien bestreiten lassen.
Selbst eine vegane Bibel ist ausgelegt, in welcher der Satz gestrichen ist, der früher Schriftsteller hat zittern lassen: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“

Zwei Pensionierende kommen draußen ins Gespräch, weil um diese Zeit alles so easy ist. Jetzt lässt sich auch der Stoff längst vergangener Jahre unkompliziert besprechen.

– In den 1980er Jahren wurden wir Innsbrucker Autoren noch Regal-weise aus der Y-Buchhandlung geworfen, sagt der eine. Begründung: „Ihre Literatur entspricht nicht dem Geist des Hauses!“
– Mich haben sie hinausgeworfen, als ich den Gaismair-Kalender vorzeigen wollte. „Wir haben unseren Reimmichl-Kalender und jetzt raus!“
– Ja, gefrömmelt haben diese geistigen Y-Fetischisten schon immer.
– Ich habe gebetet, lieber Gott, lass diese Y-Buchhandlung eingehen. Und dann bin ich aus der Kirche ausgetreten.

Der Abschluss ist wie bei jedem Rentner-Talk versöhnlich.
– Jetzt im Alter wünschen wir dieser Vasen-Boutique noch ein bisschen Geschäft, damit man mit den Schälchen die Tränen aus der Anna-Säule auffangen kann. Diese soll ja bei Regen wie bei einem Wunder oben an der Statue ausrinnen.

STICHPUNKT 24|53, geschrieben am 14. Juni 2024

Geboren 1953. Ist seit Gerichtsverfahren 1987 gerichtlich anerkannter Schriftsteller, bis 2018 als Bibliothekar an der ULB Tirol. Als Konzept-Schriftsteller hält er sich an die These: Ein guter Autor kennt jeden Leser persönlich.

Etwa 50 Bücher, u.a.:
* BIP | Buch in Pension | Fünf Bände (2020-2024)
* Anmache. Abmache. Geschehnisse aus dem Öffi-Milieu. (2023)
* Austrian Beat 2. [Hg. Schneitter, Schönauer, Pointl] (2023)
* Verhunzungen und Warnungen. | Geschichten, entblätterte Geschichten, verwurstete Geschichten. (2022)
* Outlet | Shortstorys zum Überleben (2021)
* Antriebsloser Frachter vor Norwegen | Austrian Beat (2021)
* Tagebuch eines Bibliothekars | Sechs Bände (2016-2019)

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