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Die Innsbrucker Drogenszene

14 Minuten Lesedauer

Weil hier eine Einschränkung nötig ist, beschränke ich mich auf sogenannte „harte“ Drogen, also z.B. Opiate, Metamphetamine oder Heroin. Nicht, weil es sich nicht lohnen würde, über Alkoholismus oder substanzungebundene Abhängigkeiten, wie Spielsucht oder Kaufsucht zu schreiben, sondern weil wir zumindest unbewusst mit einem Drogenjunkie jemanden assoziieren, der von einer „harten“ Substanz abhängig ist; weil wir, wenn wir als Stadt ein Problem mit Drogen haben, es mit diesen Drogen haben. Gibt es eine solche Drogenszene in Innsbruck? „Ja, sicher“ meint Kathrin Schneider vom Innsbrucker Z6, und ich bin etwas überrascht von der Klarheit, mit der sie antwortet. Aber sie spricht lieber von einzelnen Szenen, die sich sehr stark voneinander unterscheiden. Nicht alle Szenen sind aber in gleichem Maß sichtbar. „Es gibt eine Partyszene, das sind etwa die Goa-Leute. Dort werden vor allem Amphetamine oder andere Substanzen konsumiert, die einen länger wach halten, um durchzufeiern. Dann gibt es die Opiatszene, die in der Öffentlichkeit deshalb stark sichtbar sind, auch weil sie den Anschluss an die normale Bevölkerung nicht verlieren wollen. Andere Szenen gibt es zwar auch, aber die sind viel weniger in der Öffentlichkeit präsent, sondern verstecken sich eher.“
Ein Treffpunkt der Innsbrucker Opiatszene ist vor dem Kommunikationszentrum für Drogenabhängige KomFüDro, an der Ecke Ingenieur-Etzel Straße – Museumsstraße. Jeder und jedem, der schon einmal vom Sillpark in Richtung Innenstadt gegangen ist, sind die Menschen vor dem leicht herunter gekommenen Hauseingang schon einmal aufgefallen, die dort vor der Haustüre stehen, rauchen, trinken, warten, scheinbar sinnlos, jeden Tag. Es sind Leute wie Armin, die dort ihre Zeit verbringen und dabei den Blicken der vorbeigehenden normalen Menschen ausgesetzt sind, wobei es Zufall ist, dass ich Armin dort treffe, er ist nur selten dort. Auch Armin bekommt von mir die Frage gestellt, ob Innsbruck ein Drogenproblem hat, und worin es aus seiner Sicht besteht. Armin war insgesamt zwei Jahre in der Szene in Innsbruck, von 2007 bis 2009. Er ist seitdem im Substitutionsprogramm, „weg von der Nadel“, wie er sagt und hat schon andere Szenen in anderen Städten gesehen. Drogenproblem hat Innsbruck keines, weil es eine richtige Drogenszene in Innsbruck, meint er, hier eigentlich nicht gibt: „Richtig gutes Zeug, gutes Heroin, findest du in Innsbruck nicht. Du bekommst es entweder gar nicht oder wenn, mit irgendeinem Scheiß gestreckt.“ Er erzählt mir dann von früheren Bekannten, die sich in aufgedunsene „Meth-Junkies“ verwandelt hätten, mit gebücktem Gang, glasigen Augen und fettiger Haut. „Sowas interessiert mich gar nicht“. Armin bleibt clean.
[nextpage title=“Am Rand der Gesellschaft“]
Wir kommen auf das Loskommen von den Drogen zu sprechen. Von Kathrin weiß ich, dass zwar gute Programme da sind, aber dass die Betroffenen nur schwerlich Zugang zu Wohnungen und Jobs haben, und Rückfälle an der Tagesordnung sind. All diese Dinge würden den Übertritt in einen geregelten Alltag schwer machen. Armin meint, dass er das nicht so sieht; wenn man sich anstrengt, würde man gute Unterstützung von der Sozialhilfe erhalten.
Während unserem Gespräch vor dem KomFüDro beobachte ich die Passanten, die bei uns vorbeigehen, und versuche, zu einigen Augenkontakt aufzubauen. Es gelingt mir kaum. Ich frage Armin, ob er sich von der Gesellschaft ausgegrenzt fühlt; ob manchmal Passanten übergriffig würden. „Sicher gibt’s ein paar, die stehen bleiben und schreien: ‚Ihr Scheiß Giftler‘. Aber das geht bei mir da rein und da wieder raus.“ Armin nimmt diese Ablehnung sehr locker. Doch man erfährt die Ablehnung, auch wenn man wie ich nur wenig Zeit vor dem KomFüDro verbringt. Was sind die Motive dafür?

Das KomFüDro in Innsbruck. Hier wird die Szene sichtbar. © Michael Brandmayr
Das KomFüDro in Innsbruck. Hier wird die Szene sichtbar. © Michael Brandmayr

Passanten, die man darauf anspricht, reagieren auf die Frage, ob sie die Süchtigen stören und wenn ja, was an ihnen genau, teils sehr abwehrend oder sogar ungehalten. „Das ist doch logisch, die sind schlechte Vorbilder für die Kinder, die Spritzen, an denen man sich infizieren könnte. Außerdem sind sie aggressiv, sie stören, sie sollen das ‚woanders machen‘“ – das sind typische Aussagen. Aussagen, die aber selten im Konjunktiv formuliert sind; die Befragten sind sich mit ihrer Meinung recht sicher. Spannend ist aber, mit welcher Impulsivität oft auf meine Fragen reagiert wurde. Ich hatte oft den Eindruck, als hat sich so mancher durch meine Frage, warum diese Personen hier stören, in die Defensive gedrängt gefühlt, womöglich sogar ertappt. Es schien, als hätte ich an einer Art Tabu gerührt, als ich für die „Junkies“ dieselben Regeln einer rationalen Betrachtung einfordere, als für die „normalen Menschen“ auch.
Ich will von Rudi Federspiel wissen, was er über Drogensüchtige denkt. Federspiel ist Abgeordneter im Landtag für die FPÖ. Da er in den Medien des Öfteren eine strenge Law & Order Politik vertritt, denke ich, dass er für Drogensüchtige – und ich fragte ihn dabei explizit nach den Menschen vor dem KomFüDro – nicht viel übrig haben wird. Ich liege falsch. Drogenabhängige sind für ihn „arme Menschen“, denen man helfen muss. Er meint, er hätte schon einigen durch seine Kontakte geholfen, in Therapieprogramme aufgenommen zu werden, und kritisiert, dass es zu wenig Sozialarbeiter gibt.
Die Passanten auf der Straße sprechen von sich aus über den Zusammenhang von Drogen und Kriminalität, der unbestreitbar besteht, einfach schon deshalb, dass Drogen illegal sind und entsprechend illegal beschafft werden müssen. Rudi Federspiel kommt in unserem Telefonat nicht von selbst darauf zu sprechen. Ich frage ihn danach, und er meint, den Zusammenhang zwischen Drogen und Kriminalität sieht er nicht zwingend, sondern wird hauptsächlich durch Drogendealer zum Problem. In einem Bezirksblatt von 2014 formulierte er, die Exekutive habe, ganz allgemein, die Situation nicht mehr im Griff, was die ausufernde Kriminalität in Innsbruck anbelangt. Er bestätigt, dass sich dieser Zustand nicht wirklich verbessert habe. Die Polizei würde sich zwar bemühen, habe zu wenig Unterstützung von eigenen Offizieren, und zeige zu wenig Präsenz. Das neue Landespolizeigesetz bezeichnete er als „zahnlosen Tiger“, ein Kompromiss, der nichts bringt. Besonders die mobile Überwachungsgruppe MÜG brauche mehr Befugnisse, und bei Drogendealern müsse man härter durchgreifen.
Die beiden Experten für Sicherheit, mit denen ich gesprochen habe – Elmar Rizzoli vom städtischen Amt für Sicherheit und Martin Kirchler, Stadtpolizeikommandant von Innsbruck, sehen die Situation anders. Kirchler pocht darauf, dass die Polizei die Situation sehr gut im Griff hat. Gemessen an dem, was in Innsbruck wirklich passiert, gibt es keinen Grund, in Innsbruck Angst zu haben meint Kirchler. Rizzoli meint, dass die vorhandenen Befugnisse – der MÜG einerseits und der Polizei andererseits –ausreichen würden. Es bestünden Probleme, aber sie würden – je nach politischem Lager – entweder aufgebläht oder klein geredet; die Wahrheit liegt für ihn in der Mitte.
[nextpage title=“Gibt es Hot-Spots und sind sie gefährlich?“]
Aber was passiert nun wirklich in Innsbruck? Sind die Hot-Spots- wie der Bahnhof – gefährlicher? Und gibt es einen Zusammenhang zwischen Drogen und Kriminalität? Ja, sagt Rizzoli, es gibt die Hotspots und es gibt einen Zusammenhang. Aber besonders bei Bahnhöfen ist das kein Spezifikum von Innsbruck, sondern sie sind in vielen Städten für die Szene ein Anziehungspunkt. Kirchler betont, dass die Polizei in den letzten Monaten die Präsenz am Bahnhof massiv erhöht habe und dadurch die Szene am Bahnhof eigentlich zerschlagen wurde. Das bedeutet aber nicht, dass sie verschwunden ist, sondern sich nur verlagert hat; es sei, so auf meine Nachfrage, ein bisschen wie bei einem Katz-, und Maus Spiel.
Und wie viele Straftaten passieren in Innsbruck? „Etwa 16.000 Straftaten waren es 2004, bis 2010 ist die Zahl auf ca. 13.000 zurückgegangen. Seither ist wieder ein leichter Anstieg auf etwa 14.000 im Jahr 2014 festzustellen. Heuer ist der Trend wieder leicht rückläufig. Ein Teil dieser Straftaten, ca. 1.000 bis 2.000 pro Jahr sind jedoch Drogendelikte“. Drogendelikte sind, so Kirchler weiter, ein Kontrolldelikt, das heißt, die Anzahl der gemeldeten Verstöße hängt relativ direkt damit zusammen, wie viel von Seiten der Polizei kontrolliert wird und dabei liegt Innsbruck Österreichweit an der Spitze. Man darf daher nicht davon ausgehen, dass mehr Anzeigen automatisch bedeuten würden, dass mehr Drogen konsumiert werden: „Die Zahlen sind kein reales Abbild der Szene“. Kirchler ist es aber wichtig, mir im Detail die Kriminalitätsstatistik zu erläutern, denn aus ihr geht hervor, dass sie „alles andere als ansteigt“, wie er formuliert. Tatsächlich stagniert sie zwischen 2005 und 2014 mit ca. 14.000 Straftaten – bei zunehmender Bevölkerung in der Stadt. Auch Rizzoli meint, das nach seiner Erfahrung das subjektive Bedrohungspotential immer höher sein werde als objektiv dazu Berechtigung besteht. Federspiels Aussage, dass die Situation in Innsbruck eskalieren würde, trifft sich eher mit einem dumpfen Gefühl mancher Menschen, als mit den tatsächlichen Fakten.
Die letzte Viertelstunde meines Gespräches mit dem Stadtpolizeikommandant dreht dann mehr um die Frage, wie das Bild, wir würden in einer gefährdeten Stadt leben, denn entsteht. Dazu haben wir, wie sich zeigte, ähnliche Theorien – ein anderes Medienverhalten, insbesondere soziale Medien, eine komplexer werdende Gesellschaft, eine andere Bevölkerungszusammensetzung und andere soziologische Dinge. Obgleich das so nicht geplant war, bin ich in jeder einzelnen Unterhaltung, die ich im Rahmen dieser Recherchen geführt habe, früher oder später bei einer soziologischen Ursachenforschung gelandet. Das kann an mir liegen; doch vielleicht besteht ein Problem in unserem gesellschaftlichen Umgang mit Randphänomenen wie Drogen, das wir dazu neigen, komplexe Themen auf scheinbar klare Aussagen zu reduzieren zu wollen. Ob einfache Lösungen – wie sie der User in seinem Kommentar im Forum einer Tageszeitung vorgeschlagen hat – dann tatsächlich greifen? Oder ob wir uns daran gewöhnen sollten, dass die Zeiten der einfachen Lösungen vorbei sind, und sich normative Vorstellungen eines ganz normalen, gesitteten Lebens, das alle führen sollen, einfach nicht mehr verwirklichen lassen? Wenn das so wäre, müssten wir an Armin und seinen Kollegen ganz entspannt vorbei gehen können und sie so akzeptieren, wie sie sind. Doch diese Akzeptanz kann auch leicht in Teilnahmslosigkeit umfallen, zu einer Haltung, der das Schicksal von Menschen egal ist, die unsere Unterstützung dringend brauchen. Ein Weg zwischen Bevormundung, Akzeptanz und Anteilnahme: Er wirkt nicht nach einer einfachen Lösung. Wenn es dieser Weg sein soll.

Titelbild: Hannes Senfter
Weitere Informationen zur Serie findet man hier.

1 Comment

  1. Immer wenn ich an der erwähnten Ecke des KomFüDro vorbeikomme und in den Gesichtern der dort wartenden Menschen blicke, kommt ein bedrückendes Gefühl in mir auf. Nein, ich wünsche mir diese Menschen nicht weg. Nein, ich denunziere sie nicht. Es kommt ein Mitgefühl in mir hoch, als mir bewusst wird dass diese Menschen krank sind. Sie scheinen bemüht einen Ausweg aus ihrer Krankheit zu finden. Sie scheinen die Angebote einer akzeptierenden Drogenarbeit in Anspruch zu nehmen und somit Schritte auf dem Weg in eine neue Freiheit zu setzen. Eine drogenabhängige Person kann sich nämlich nie frei fühlen, denn sobald der „kick“ nachlässt brennt das schmerzende Gefühl in einem bis zu einer erneuten Zufuhr einer bestimmten Substanz.
    Ich wünsche mir eine vermehrt akzeptierende Drogenarbeit, eine Drogenpolitik die das Verständnis dafür aufbringt, dass drogensüchtige Menschen würdig behandelt gehören und ich wünsche mir eine Gesellschaft die an all dem einen konstruktiven Beitrag leistet und sei es nur, dass solche Menschen nicht als ein Übel unserer Gesellschaft gesehen werden, sondern als Menschen denen geholfen werden muss.

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