Warum noch mehr ILS?

24 Minuten Lesedauer

Liebe Verantwortliche an der School of Education,

nun wurde also auch das Lehramtsstudium auf Bachelor und Master umgestellt. Es dauert nun drei Semester länger, hat viele zusätzliche Kurse und ziemlich viel mehr ECTS-Punkte als vorher, besonders im ILS (Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung)-Teil der Ausbildung. Es hat sich einiges verändert, aber man hat das Gefühl, nicht unbedingt zum Besseren. Daher möchte ich wissen: Warum diese Umstellung, warum der Bachelor, warum diese neuen Kurse, warum so und nicht anders?
Ein Beispiel: die Kurse GLL  (Grundlagen des Lernens und Lehrens) und BK1 (Basiskompetenzen 1). Ich habe die beiden Lehrveranstaltungen im selben Semester besucht und ich kann mich noch daran erinnern, dass es extrem viel Arbeit war und mir kaum Zeit für andere Kurse blieb. Ich erinnere mich an unglaublichen Stress, übertriebenen Arbeitsaufwand für die Anzahl der ECTS und eine große Belastung. Meine Fächer kamen während dieses Semesters ziemlich zu kurz und das wird wohl auch in Zukunft so sein, wenn man diese beiden Kurse besucht. Ansonsten ist mir von diesen Lehrveranstaltungen leider nicht sehr viel in Erinnerung geblieben. Ich habe unglaublich viel Zeit investiert und kann beim besten Willen nicht sagen, dass es sich gelohnt hat. Natürlich glaube ich schon, dass ich das eine oder andere gelernt habe, bestimmt habe ich mir auch vieles gemerkt und mitgenommen, das mir nur gerade nicht einfällt. Aber was sagt es denn über einen Kurs aus, wenn er mir hauptsächlich so schlimm und arbeitsintensiv und so wenig gewinnbringend in Erinnerung bleibt? Sicher nichts Gutes.

Neue Kurse – braucht man die?

Ein weiteres Beispiel sind die vielen neuen Kurse und die Frage nach deren Sinnhaftigkeit. Es kommt z.B. ein ganzes Modul zum Wissenschaftlichen Arbeiten. Natürlich ist es wichtig, das zu beherrschen. Da aber auch in den Fachstudien sehr viele Arbeiten zu verfassen sind, wird man bereits ab dem ersten Semester in fast jedem Kurs über korrekte Zitierweisen, Möglichkeiten zur Recherche und Forschungsmethoden aufgeklärt. Das neue Modul klingt also nach etwas, in dem man sich bereits zu oft Gehörtes noch ein weiteres Mal anhören darf und Übungen zu etwas machen kann, das man schon längst beherrscht und anwendet.
Durch die Umstellung auf den Bachelor und die Erhöhung der Kurszahl sowie der Anzahl der zu absolvierenden ECTS-AP nimmt das Lehramtsstudium immer mehr schulische Züge an. In den meisten Kursen herrscht Anwesenheitspflicht, wenn sich Kurszeiten also untereinander oder mit etwas Anderem überschneiden, kann man die Lehrveranstaltungen nicht besuchen und muss dann manchmal bis zu einem Jahr warten, bis diese wieder angeboten werden.
Ebenfalls neu sein wird das Tagespraktikum. Einmal ganz abgesehen von der Tatsache, dass sich Universität und Schule schon sehr schwer vereinbaren ließen, als noch viel weniger Zeit in der Schule zu absolvieren war, stellt sich die Frage, inwiefern dieses Praktikum dabei helfen soll, eine bessere Lehrerin/ein besserer Lehrer zu werden. Diese Zeit in der Schule ist eine Zeit, von der nur ein verschwindend geringer Anteil auf wirkliches Unterrichten entfällt. Die restliche Zeit, die es in der Schule abzusitzen gilt, um alle Anforderungen des Praktikumsplans zu erfüllen, verteilt sich dann auf absolut „gewinnbringende“ Tätigkeiten wie die Anwesenheit bei einem Elternsprechtag (aber nur in den Gängen der Schule denn die Gespräche sind vertraulich), das In-der-Ecke-Sitzen bei einer Konferenz (in der fünf Minuten lang Unterricht und Schulbücher und dann Schüler, die man nicht kennt, Exkursionen, auf die man nicht mitfährt und Insiderwitze, die man nicht kapiert, besprochen werden) und last but not least, die Hospitation. Darunter versteht man das Hinten-in-der-Klasse-sitzen-und-jemanden-beim-Unterrichten-beobachten. Da nur die eigenen Betreuungslehrer für den Aufwand der Studierendenbeschäftigung entschädigt werden und sich andere Lehrende meist außerdem nicht allzu gern beim Unterrichten über die Schulter schauen lassen, sitzt man also Stunde um Stunde bei den immer gleichen Lehrenden in der Klasse und beobachtet den immer gleichen Unterricht, der geprägt ist vom Stil und den Vorlieben der Betreuer. Diese entsprechen vielleicht den eigenen Vorstellungen, vielleicht aber auch nicht, auf jeden Fall spiegeln sie aber keinesfalls die verschiedensten möglichen Varianten des Unterrichtens wider. Ich frage mich nun also, was soll ich dabei lernen, außer alles höflich abzunicken, mit offenen Augen zu schlafen und aufmerksam auszusehen, obwohl ich mich in Gedanken in die Südsee träume? Was soll mir diese Zeit bringen und was haben andere Studierende davon, dass es jetzt sogar noch mehr von diesen Stunden geben wird? Und vor allem, was hätte ich lernen können in all der Zeit, die ich in der Schule verbracht habe?

Reflexion, Reflexion, Reflexion

Auch zu den Kursen am Institut stelle ich mir immer wieder die Frage, ob es nicht mehr hätte sein können, das ich mitnehmen und lernen hätte können. Wenn ich mich an die Lehrveranstaltungen erinnere, fallen mir vor allem Wissenschaftler ein, die quasi als Institutsheilige gelten und deren Ideen und Ansichten man keinesfalls laut in Frage stellen darf. Und vor allem denke ich dann an das Reflektieren. Reflexion – man hat das Gefühl es handelt sich hierbei um das Lieblingswort aller Lehrenden am ILS. Fast alle Kurse, die ich bis jetzt im Rahmen des Lehramtsstudium an der SoE (School of Education) besucht habe, waren geprägt und bestimmt von Reflexionen. Ich habe über meine eigene Schulzeit nachgedacht und geredet: über die Praktikumsstunden, über die Lehrveranstaltung selbst, über andere Kurse an der Universität, über mein Privatleben, meine Kindheit, meine Vorstellungen von der Zukunft, vom Unterrichten, von der Schule, vom Leben.
Mir ist natürlich klar, dass es wichtig ist, sich seiner eigenen Handlungen und auch deren Tragweite bewusst zu werden, über belastende und inspirierende Faktoren aus der eigenen Vergangenheit Bescheid zu wissen und angemessen mit seinen Mitmenschen kommunizieren zu können. Aber ganz ehrlich, man kann alles übertreiben und meiner Meinung nach haben die Lehrveranstaltungen am ILS diese Übertreibung perfektioniert. Oft musste nach jeder Einheit ein Lernjournal verfasst werden, eine Art Tagebucheintrag, in dem ich meine Erkenntnisse und Gedanken festhielt. Dieses musste allerdings abgegeben werden, also schrieb ich dieses Lernjournal in erster Linie für die lesenden Professoren. Allzu private Gedanken und Erkenntnisse – sofern diese durch die oft trivialen Übungen und Gespräche überhaupt zustande kamen – sollte keiner lesen und was ich oft wirklich von den Kursen und Übungen hielt wollte keiner lesen (und im Hinblick auf die Note, die am Ende der Lehrveranstaltung zu vergeben war, war das wohl auch besser so). Ich habe vielleicht die Fähigkeit erworben, alle Aussagen, Gesten und Taten sowohl von mir als auch meinen Mitstudierenden bis ins kleinste Detail zu analysieren, darüber zu reflektieren und vor allem jede kleinste Kleinigkeit für gefühlte Ewigkeiten zu diskutieren. Ich erinnere mich sogar an Videoaufnahmen, die anschließend im Plenum vorgeführt und diskutiert wurden, inklusive Zeitlupe, Zurückspulen und Wiederholen von bestimmten Stellen, public humiliation sozusagen.
Obwohl also fast alles, was uns Studierende betraf, zu Tode reflektiert wurde, manchmal auch in einer Weise, mit der wir keinesfalls einverstanden waren und der wir niemals zugestimmt hätten, wenn uns denn jemand gefragt hätte, erhielten wir nur äußerst selten die Gelegenheit, zu den Übungen, Methoden und Kursen sowie unseren Lehrveranstaltungsleitern Stellung zu nehmen. Entweder geschah dies im Rahmen eines Gesprächskreises, wo es doch ziemlich schwer fällt angemessene Worte für die Kritik zu finden, die man gerne äußern würde -vor allem im Hinblick auf die Benotung die noch aussteht- oder es geschah einfach gar nicht. Und wozu das alles? Macht mich das zu einer besseren Lehrerin? Vielleicht. Aber ein Hundertstel dieser Reflexionstätigkeit hätte ganz sicher die gleiche Wirkung erzielt. Und in der restlichen Zeit hätte ich unglaublich viele andere wertvolle und nützliche Erkenntnisse für meine Zukunft im Bildungswesen gewinnen können. Wenn ich nun also höre, dass durch die Umstellung das Studium länger dauern wird, mehr Kurse zu absolvieren sind und auch mehr ECTS erreicht werden müssen, frage ich mich, inwiefern diese Zeit und diese Kurse (wenn sie so ablaufen, wie das, was ich vom ILS kenne) die Studierenden zu besseren Lehrenden machen sollen. Und ich kann keine Antwort finden, die mir gefällt.
Marina Schmidt studiert im elften Semester Deutsch und Geschichte auf Lehramt – im Diplomstudium.
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[nextpage title=“Die Antwort von Michael Brandmayr“]

Liebe Marina,

Ja – das Lehramtsstudium wurde umgestellt. Es dauert nun deutlich länger, und künftig werden Studierende deutlich mehr Zeit am ILS verbringen. Das ILS ist ein Institut, von dem wir beide wissen: Es ist nicht das Lieblingsinstitut angehender Lehrer. Trotzdem glaube ich, dass die Umstellung insgesamt schon sinnvoll ist, und werde im Folgenden versuchen, dich davon zu überzeugen.
Ich bin für das neue Curriculum, weil es gar nicht genug pädagogische Inhalte im Studium geben kann, vorausgesetzt, man bereitet sie spannend auf. So wie ich dich verstanden habe, sprichst du dich nicht gegen diese pädagogischen Teile generell aus, sondern bist skeptisch, welche Inhalte konkret besprochen werden und wie diese umgesetzt sind. Darüber können wir diskutieren, aber manche deiner Kritikpunkte möchte ich im Folgenden entkräften bzw. einen Hinweis darauf geben, dass die ganze Sache nicht so leicht reformierbar ist, als du vielleicht meinst.
Nicht nur mit dem Blick an unsere Schulen, sondern auch mit Blick in meine Seminare wird ja schnell klar, warum ich für pädagogische Inhalte im Studium plädiere. Ich habe schon eine Menge Studierende gesehen, denen würde ich mein Kind (hätte ich eins) niemals anvertrauen wollen. In Seminaren kommen oft Wortmeldungen, das glaubst du nicht. Aber es gibt auch eine Menge sehr kluger Studierender und viele, die einfach von Haus aus schon gut unterrichten können. Bei denen entsteht womöglich der Eindruck, den du auch schilderst, nämlich: Man macht immer dasselbe. Aber das braucht es, weil bei manchen der Groschen eben erst spät fällt, und ich den Leuten die Zeit geben muss, die es braucht. Wenn wir sie zu früh in die Schulen schicken, haben wir geschädigte Kinder und krankgeschriebene bzw. frühpensionierte Lehrer. Da ist es mir lieber, ich gehe Leuten wie dir während deines Studiums ein bisschen auf die Nerven.

Reflexion – die Basis des Unterrichtens

Auch auf die Nerven gingen wir dir mit dem Reflektieren. Du schreibst: „Reflexion – man hat das Gefühl es handelt sich hierbei um das Lieblingswort aller Lehrenden“. Das stimmt nicht ganz, eins meiner Lieblingswörter ist beispielsweise „Bananenrepublik“. Das Wort Reflektieren gehört sicher nicht dazu, aber ich halte es für trotzdem wichtig, aus naheliegenden Gründen: Einerseits, weil es uns noch mehr als die Vermittlung von Wissen um die Vermittlung eines pädagogischen Ethos geht, wie Hartmut von Hentig das nennt. Also um Einstellungen zu Erziehung und zum Lehrberuf. Wie du weißt, liest man im Praxissemester das Buch „Was ist guter Unterricht“. Ein großes Fazit dieses Buches ist ja, dass die Antwort auf die Frage in der eigenen Perspektive besteht: Was willst du mit deinem Unterricht denn erreichen? Geht es dir um die Vermittlung von Wissen? Oder um Kompetenzen, um ein Können? Oder um Erziehung, wie im Volksschulunterricht? Soll dein Unterricht eher selbst gestalten oder soll er eher auf der Mitgestaltung von Schülern basieren? Wie du dich und deine Rolle siehst, wird dein Handeln anleiten. Also sprechen wir viel darüber, wie du dich siehst und warum aus deinem Erleben heraus bestimmte Sichtweisen entstanden sind.
Zweitens – und ich merke, dass Lehramtsstudierende hier oft eine merkwürdige Erwartungshaltung haben – weil euch das ILS ja keine fertige didaktische Bauanleitung für die Praxis geben kann. Im Studium heißt es nicht „Malen nach Zahlen“, weil wir kein Verständnis von Pädagogik haben, das auf einer einfachen Wenn-Dann-Logik basiert. Ihr sollt genau nicht das einfach wiederholen, was wir sagen, sondern lernen, wie eine pädagogische Situation zu beurteilen ist und für euch Prinzipien herausfinden, nach denen ihr in einer spezifischen Situation handeln möchtet. In unserem (oder zumindest meinem) Verständnis ist Pädagogik nicht normativ, es gibt weder allgemeinen gültige Erziehungsziele noch Handlungsprinzipien, und schon gar keine Unterrichtsmethoden, die „immer gehen“. Aber wie erkenne ich meine Handlungsprinzipien? Wie merke ich, welcher Unterrichtsstil zu meinen Überzeugungen und meiner Person passt? Eben.

Neue Möglichkeiten durch Umstellung

In der Umsetzung sollte Reflexion aber weder Kaffeeklatsch, Psychotherapie oder das Diskutieren des Privatlebens einer Studentin sein. Schon gar nicht wollen wir, dass ihr irgendetwas erfindet (nebenbei: wir wissen, dass das fast schon die Mehrheit tut, also wenn es schon sein muss, erfindet zumindest was witziges!) oder einfach das schreibt, was wir hören wollen. Wenn du meinst, dass du das mit deinem Lernjournal so gemacht hast, hast du den Sinn der Übung echt verfehlt. Andererseits geht es uns aber mehr darum, einen Prozess des Reflektierens zu initiieren, das haben wir vielleicht ja trotzdem geschafft. Und das ist schon eine wichtige Sache. Wie wichtig, siehst du in deinem nächsten ILS-Seminar selbst: Dreh deinen Kopf nach rechts und nach links und stell dir die Frage, wie oft manche deiner Mitstudierende wohl über sich nachdenken.
Ich habe ja selbst nicht Lehramt studiert, und als Erziehungswissenschaftler finde ich didaktische Probleme eher langweilig, aber wie man Reflexionen, Unterrichtstrainings, Methoden und andere pädagogische Fragestellungen nun gut aufbaut, dass es für niemanden langweilig wird und trotzdem keiner mit zu wenig Vorbereitung in die Schule geht: Ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Ich kenne Leute, die hätten meiner geringen Meinung nach nicht einen einzigen Kurs bei uns besuchen müssen und wären an ihrem zweiten Schultag bessere Lehrer, als manche es mit zwanzig Jahren Berufserfahrung sind. Ich kenne aber auch andere Leute, die würde ich am Ende der Ausbildung niemals unterrichten lassen und stelle mir die Frage, mit welcher Ausbildung sie es je werden können. Aber ich kenne auch kein Testverfahren, das valide die eine Gruppe von der anderen trennt; ich kenne aber auch Studierende, die eine wirklich ausgezeichnete Entwicklung während ihres Studiums durchgemacht haben und würde einen solchen Test, wenn es ihn gäbe, aus diesem Grund auch nie einführen wollen. Aber sind diese Entwicklungen von alleine passiert?
Ich denke, das neue Lehramtsstudium schafft durch dieses Mehr an Präsenz mehr Gelegenheiten, dass wir Lehrende, aber auch Studierende untereinander solche Lernphasen initiieren können. Dazu sind leider all diese Dinge nötig, die dir nicht gefallen, und viele langweilen, die das nicht bräuchten. Ich gebe dir aber Recht, dass das neue Studium zum Anlass genommen werden sollte, das bestehende Workload-Problem, die Überfrachtung vieler LV’s, in Angriff zu nehmen. Aber durch ein Mehr an Stunden, könnte sich das bewerkstelligen lassen. Viele Lehrveranstaltungen – etwa auch das Modul wissenschaftliches Arbeiten – sind noch nicht genau geplant. Hier können wir deine Anmerkungen sicher aufnehmen.

„Ja und Amen“ bringt uns auch nicht weiter

Noch ein P.S.: Kritik ist wichtig – aber so lange Kritik nicht in konkrete Handlungen münden, die eine ernsthafte Verbesserung herbeiführen könnten, ist Kritik nicht mehr als jammern. Für mich als Lehrender ist es schon immer wieder erstaunlich, dass (nur als Beispiel) immer der hohe Workload kritisiert wird, ich aber in der ersten Seminareinheit so viel Gleichmut und Unterwürfigkeit begegne, dass ich das Gefühl habe, ich könnte jede Aufgabe verlangen, alles, egal wie umfangreich, und wahrscheinlich würde sogar noch irgendjemand Danke sagen. Und das ist der Punkt, wo ich manchmal zynisch werde und mir denke, die wollen es wohl so. Ich kenne viele Lehrende, und ich zähle mich auch selbst dazu, die in Wahrheit nichts weniger mögen als Studierende, die immer Ja und Amen sagen. Diese Unterwürfigkeit ist meiner Meinung nach keine Charaktereigenschaft, die eine Universität bestärken (oder gar vermitteln) sollte. Sudern kann jeder – aber echte Verbesserungen erwirkt man so nicht, sondern durch Partizipation, Mitsprache und Engagement, durch Vorschläge und Forderungen, für die man schon einmal den Mund aufmachen muss. Aber keine Furcht davor – man kann dabei nur gewinnen!
P.P.S: Das gilt auch bezüglich der Lehrinhalte! „Heilige“ (auch Institutsheilige) gibt es in der Wissenschaft keine; eine Theorie, ein Modell bewahrheitet sich im Diskurs, und den könnt/sollt ihr auch mit eurer Lehrveranstaltungsleitung führen.
Wenn der „lesende Student“, wie Brecht das sagen würde, die fünf Dimensionen von guten Unterricht lesen würde, hätte er beispielsweise sicher einige Fragen: Zum Beispiel, wie man zu diesem Modell kommt; warum ausgerechnet fünf Dimensionen; warum genau diese theoretischen Referenzen (z.b. Bloom)? Wie man einzelne Dimensionen genau voneinander abgrenzen kann? Wie genau dieses Modell normativ sein kann, oder, warum bsp. ethische Dimensionen (z.B. Abgrenzung gegen Rechtsextremismus) in diesem Modell keine Rolle spielen? Und wie das Modell im wissenschaftlichen Diskurs rezipiert wird – wurde es weiterentwickelt, kritisiert oder gut aufgenommen?
Wissenschaft lebt von kritischen Fragen und vom Austausch. Was man aber nicht darf: Von vorhinein davon überzeugt sein, dass es Blödsinn sein muss, weil es aus Innsbruck kommt. Nicht alles, was wir machen, ist Blödsinn, ganz im Gegenteil. Der lesende Student lässt sich auch überzeugen, wenn die Argumente plausibel sind.
Michael Brandmayr ist seit 2012 am Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung (ILS) angestellt und lehrt dort in der Orientierungseinheit (im neuen Curriculum heißt sie: Schule als Bildungsinstitution) sowie Grundlagen des Lehrens und Lernens.
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Titelbild: Wikipedia

1 Comment

  1. Lehramtsstudium Kritik von Martina Schmidt
    Ich möchte Ihnen für Ihren Kommentar meine Hochachtung aussprechen. Es geht gar nicht darum, ob ich alle Ihre Positionen teile, sondern dass Sie den Mut haben, überhaupt eine Position, klar und unmissverständlich, zu beziehen, sie zu argumentieren und öffentlich zu ihr zu stehen. Das ist es, was ich in meinem Verständnis von StudentInnen und angehenden GSP-LehrerInnen erhoffe und das ist es, was mich in meinem Bemühen in der Lehre selbst stärkt. Danke.
    Stichwort Arbeitsanhäufung: Persönlichkeitsentwicklung und Bildung benötigen das sich Abarbeiten, viel Mühe, aber eben auch Muse, in der wir innehalten und nachdenken können. Eine freie Zeit, in der wir nicht völlig verplant und vernutzt werden, um das Erworbene ins Eigene zu übersetzen, um das Buch lesen zu können, für das wir keine ECTS-Punkte bekommen. Das permanent Beschäftigtwerden ist eine Herrschaftstechnik, die wahrlich an das heranführt, was heute in vielen Betrieben die Anforderung an die ArbeitnehmerInnen darstellt, mit den entsprechend negativen Folgekosten für sie. Dieses Zuschütten mit Arbeit fördert allzu oft Unmündigkeit, eine Haltung, mit der man wie ein Eichhörnchen die Bologna-Pünktlein und die vielen, vielen erforderlichen Scheine sammelt. Als Lehrende beschweren wir uns dann, dass es den StudentInnen an Engagement mangle statt zu erkennen, dass wir mit unseren Rahmenbedingungen des Studierens, in die wir sie hineinstellen, wesentlich daran beteiligt sind.
    Leider reflektieren wir zu wenig darüber, wir diskutieren auf der Uni über eine ernst zu nehmende Kritik, wie Sie sie verfasst haben, fast gar nicht; wir sudern höchstens und das meist in kleinen Zirkeln und erfüllen brav, was von oben verordnet wird. Seien Sie versichert, wir Lehrende und Studierende spiegeln uns, im Guten wie im Kritikresistenten.
    Vor wenigen Jahren haben StudentInnen in der Bewegung Uni brennt versucht, Kritik öffentlich zu machen, eine andere Universität zu denken. Diese Bewegung hat den hohen Grad an Unzufriedenheit mit den Studienverhältnissen offengelegt, die StudentInnen haben viele Vorschläge unterbreitet, von utopischen bis höchst pragmatischen. Von rühmlichen Ausnahmen abgesehen kann ich mich nicht erinnern, dass die Studierenden damals nennenswerte Unterstützung von Lehrenden bekommen hätten. Passivität, Angst, sich zu exponieren, strategische Schlauheit, Gleichgültigkeit und Ignoranz hinderten zahlreiche Lehrende, ob sie nun in der Hierarchie unten oder oben standen, daran, jene Haltung an den Tag zu legen, die sie so gerne bei den Studierenden einfordern.
    Hier haben Sie auch jene Antwort auf die Frage, was gute „LehrerInnen“ ausmacht in der Realität der Schule wie der Universität, über die wenig gesprochen wird: ihre Anpassungsbereitschaft.
    Und dagegen wollen wir ankommen, dieser Verfasstheit von Ausbildungs„betrieben“ wollen wir etwas entgegenhalten, in unserer persönlichen Haltung, über die wir reflektieren, und in unserem Unterricht, in dem wir uns bemühen, mit relevanten Inhalten, zu denen wir geeignete Methoden suchen, unsere SchülerInnen zu stärken.
    Sprechen Sie weiterhin offen an, was Sie als kritikwürdig erachten. Daraus entstehen Widerstände, manchmal werden Ihnen sicherlich Nachteile erwachsen, doch Sie öffnen Räume der Diskussion, in denen Veränderungen möglich werden, sie ermutigen andere, ebenfalls das zu sagen, was sie sich immer schon gedacht, aber nie getraut haben zu entäußern. Und nicht zuletzt: Auch wenn dies der mühseligere Weg ist, sie werden auf sich stolz sein, sich ihres Anblicks im Spiegel erfreuen und ihre SchülerInnen merken und spüren: Das ist Autorität, die sich hinterfragen lässt, an dieser Lehrerin möchte ich mich reiben, der geht es um etwas.
    Und ja: Zur Direktorin werden sie mit diesem Verhalten wohl schwerlich aufsteigen. Aber auf irgendetwas muss man ja im Leben verzichten können, oder?
    PS.: Anbei ein alter und neuer Text von mir zur Reflexion über Schule
    http://www.gaismair-gesellschaft.at/images/icons/2007_H._SCHREIBER_Furs_Leben_lernen_-_lebenslang._Warum_SchulerInnen_trotz_eingenverantwortlichen_Lernens_fremdbestimmt_bleiben.pdf
    http://www.erinnern.at/bundeslaender/tirol/schulprojekte/schule-bewegt.-70-jahre-abendgymnasium-innsbruck/Abendgymnasium%20Innsbruck.%20Fur%20eine%20Schule%20der%20Freiheit%20und%20Selbstbestimmung5488_Schreiber_Innenteil_2015-07-27.pdf
    Horst Schreiber, habilitiert am Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck, ist Fachdidaktiker für GSP, Lehrer am Abendgymnasium Innsbruck, Netzwerkleiter von erinnern.at und Vorstand der Michael-Gaismair-Gesellschaft.

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