Neben Fremdgehen und Fremdschämen ist Fremdfreuen die dritte Möglichkeit, mit geringen Ressourcen glücklich zu werden.
1.
Ein Geheimtipp aus der Glücksforschung geht dahin, dass der indirekte Weg oft der bessere ist, um sein Ziel zu erreichen.
Seit es leicht zugängliche Massenmedien gibt, wird die Parole ausgegeben: Kauf, und du bist glücklich.
Selbst die mittlerweile vermehrt auftretenden Hundertjährigen geben zu Protokoll, dass sie ein Leben lang der Werbung, dem Konsum und dem Kaufzwang ausgesetzt worden sind.
Und selbst wer kein Geld hat, kriegt etwas Almosen als Mindestsicherung, damit er sich „in Würde“ etwas kaufen kann.
Von diesen noch raren Hundertjährigen kann man freilich lernen, wie man dem Konsum entkommen kann. Indem man nämlich aus dem Glücksbild aussteigt.
Hier kommt das Fremdfreuen ins Spiel.
2.
Wenn also der direkte Weg, durch Kaufen glücklich zu werden, nicht funktioniert, so gelingt es vielleicht über Umwege, indem man andere was kaufen lässt und sich an deren Freude erfreut.
Als Musterbeispiel für Fremdfreuen wird oft die Szene zitiert:
Der Nachbar hat sich endlich ein E-Auto gekauft, er weiß zwar nicht, wo er es aufladen wird, aber zum Vorführen reicht es. Die ganze Hausgemeinschaft strömt ins Freie und beglückt den E-Driver. Die Freude will kein Ende nehmen.
Und alle sind froh, dass sie nicht selbst diesen Unfug haben ausführen müssen.
Ähnliches wird aus der Sportbranche berichtet, wo sich Leute seltsame Geräte aus Karbon kaufen, um sich damit in die Tiefe zu stürzen oder in die Höhe treiben zu lassen.
Andere sitzen auf dem Karbon-Rahmen und lassen sich von einem Akku auf die Alm treten.
Wieder andere pudern sich die Hände ein und klettern an Karbongriffen in die Höhe, ehe sie einen erlösenden Schrei ausstoßen und gesichert in die Tiefe schwingen.
Die Fremdfreuer bestaunen diese Sportarten. Einerseits wundern sie sich, dass alles aus Karbon ist, wo wir doch die Dekarbonisierung ausgerufen haben, anderseits freuen sie sich mit den Sportlern, dass etwas los ist.
Und beim Fremdfreuen blüht der Körper geradezu auf, als ob man selbst Sport betrieben hätte.
3.
Das Fremdfreuen wird längst schon therapeutisch eingesetzt, wenn etwa lärmgeplagte Flughafenanrainer dazu animiert werden, sich bei jeder plärrenden Maschine in die Rolle der Passagiere zu versetzen. Man fliegt dann geistig irgendwohin und freut sich, dass man nicht mit dem eigenen Körper abfliegen muss.
Und siehe, es wirkt. Plötzlich hört man die Düsen nicht mehr, weil man sich ja ins Innere der Maschine hineingesteigert hat.
Ehrensache, dass man sich freut, wenn jemand eine neue Herzklappe oder Hüfte eingepflanzt kriegt. Man freut sich über die Genesungen und ist froh, nicht selbst den Fortschritt der Medizin konsumieren zu müssen.
Ein Hundertjähriger zitiert einen Spruch aus ferner Kindheit, als ihm gesagt wurde:
„Freu dich, wenn der Bösewicht in die Hölle kommt, dann steht dir der Platz im Himmel offen.“
STICHPUNKT 25|69, geschrieben am 16.09. 2025