(c) Helmuth Schönauer

Abgemeldet

8 Minuten Lesedauer

In diesem Herbst sind vermehrt Kinder vom Schulunterricht abgemeldet. Was mit ihnen zu Hause geschieht, können wir nur vermuten, wir sehen sie ja erst wieder, wenn sie bei einer Externistenprüfung vorstellig werden.

Im kleinen Sketch zwischen Enkelkind und Großvater sind die Eltern auf der Arbeit, während die beiden Unterricht machen. Das Enkelkind will nichts lernen, weicht ständig vom Stoff ab und fragt den Alten lauter dumme Sachen. Dieser hat irgendwie den Blick auf die Welt verloren und gibt schräge Antworten.
Achtung: Beide Figuren und ihre Ideen sind reine Erfindung!
Also nichts dazu posten, es ist Literatur.


(1)
– Großvater, warum warum hast du die Erde kaputt gemacht mit deinem SUV?
– Den habe ich doch nur für dich gekauft, damit ich dich sicher zur Schule bringen kann und du nicht von einem Fahrrad-Pulk überfahren wirst.
– Aber jetzt bin ich doch von der Schule abgemeldet und werde zu Hause unterrichtet.
– Ja, aber bei den Prüfungen muss ich dich wieder in die Schule bringen, du glaubst doch nicht, die Externisten-Prüfer kommen ins Haus? 

(2)
– Großvater, warum wird Ötzi eigentlich nicht gegendert, sie hat ja keine Eier und sollte wohl Ötza heißen.
– Das wäre eine teure Angelegenheit, versuche einmal deinen Pass auf ein anderes Geschlecht umschreiben zu lassen.
– Aber wenn du Aufmerksamkeit erwecken willst, musst du doch ein LGBTIQ*Typ sein.
– Mehr Aufmerksamkeit hätte die Ötza wohl erlebt, wenn sie woanders gefunden worden wäre, und nicht im verrammelten Ötztal.
– Das heißt, man hätte neue Wortbildungen nach Fundorten machen können?
– Genau. Inni, Silli, Lechi, Pitzi, Zilli und Loisi sind längst schon eingetragene Markenzeichen für eine eierlose Leiche. 

(3)
– Großvater, warum kann ich aus der Kirche austreten, aber nicht aus dem ORF?
– Weil der ORF jetzt das Neue-Testament reloaded vertritt.
– Dann wäre ja die Zeit im Bild ja das neue Hochamt?
– Genau, und Armin Wolf ist der Moses, der mit seinen zwei Tablets aus dem Studio-Nebel tritt und die neuen zehn Gebote verkündet. 

(4)
– Großvater, warum schicken die Frauen nicht einfach Bodentruppen nach Afghanistan, so wie es einst die Männer getan haben, um ihre Rechte zu sichern?
– Die Menschenrechte verbieten es, dass fromme Männer gegen ungläubige Frauen kämpfen müssten. Und die Menschenrechte sind nun mal höher bewertet als die Frauenrechte. 

(5)
– Großvater, wenn die Tiroler schon so gegen den Transit sind, warum lassen sie dann die Brücken nicht einfach verfallen, statt sie aufwändig zu restaurieren oder neu zu bauen?
– Weil die Tiroler im Prinzip auf den Transit angewiesen sind. Wenn nicht ständig ein Korridor offen ist wie der Panamakanal, wird das Land von den Nato-Truppen im Namen der EU okkupiert, damit es keine Störung im Warenverkehr gibt.
– Wir Tiroler wären dann gezwungen, wie die Taliban im Untergrund zu kämpfen?
– Im Prinzip ja, aber die Tiroler sind mittlerweile so international geworden, dass sie gar nicht mehr wissen, wie wertvoll dieses Stück Geröll im Gebirge den Vorfahren einst gewesen ist. Und wer kämpft schon für Geröll?
– Echte Taliban zum Beispiel! 

(6)
– Großvater, warum schreiben alle über die Nazi, aber niemand über den Ständestaat?
– Weil der Ständestaat noch in Kraft ist, denke bloß an das Konkordat.

(7)
– Großvater, warum lässt man die Ungeimpften auf den Intensivstationen nicht einfach sterben? Mittlerweile hat ja selbst das Höchstgericht festgestellt, dass die Menschen ein Recht auf Sterben haben.
– Vermutlich braucht man die Sterbewilligen noch einmal für irgendeine Volksabstimmung, denn sonst könnte man sie ruhig ohne Impfung ins Jenseits ziehen lassen, die Leute wollen das ja so. 

(8)
– Großvater, warum fängt man nicht die Eisbären am Nordpol ein und fliegt sie zum Südpol, damit sie dort vielleicht den Klimawandel überleben können?
– Da gehen die Meinungen noch auseinander, wahrscheinlich frisst der Eisbär im Süden zuerst die Pinguine weg, ehe er dann doch selbst ausstirbt.
– Bei Menschen funktioniert ja auch die Verbringung von Hunderttausenden über die Kontinente hinweg, wenn es irgendwo Krieg und nichts zu essen gibt.
– Das mit der Menschenverbringung ist ja auch noch nicht geklärt, ob es funktionieren kann. Jedenfalls ist der neu aufgefüllte Kontinent politisch in Aufruhr, seit der Zustrom von Migrierten ziemlich unübersichtlich geworden ist. Womöglich fressen sich die Menschen zuerst selber auf, ehe sie zugrundegehen. 

(9)
– Großvater warum sind in Innsbruck alle Straßenschilder braun?
– Damit man sich beim Entnazifizieren leichter tut. Wenn alle braun sind, so können die echten Braunen vielleicht unerkannt durchschlüpfen, hofft man.
– Aber in der Exlgasse hat es nicht funktioniert, da hat man alle Straßenschilder schwarz eingefärbt, obwohl sie zuerst unauffällig braun gewesen sind.
– Das hängt vielleicht mit dem katholischen Verlag zusammen, der in der Exlgasse residiert. Die wollten nicht, dass sie mit den Nazis in Verbindung gebracht werden, zumal sie ja herausragende Widerstandskämpfer auf manchen Straßenschildern haben. 

(10)
– Großvater, warum widmen uns im Radio Tirol immer die Pitztaler Gletscherbahnen das Wetter, ich habe geglaubt, das gehört allen?
– Nein, das Land hat längst Grund und Boden, Wasser und Luft, und eben auch das Wetter verkauft.
– Aber ich brauche doch nicht eine Seilbahn, um zu meinem Wetter zu gelangen?
– Hast du eine Ahnung! In einer Touristokratie muss die Idee aus jeder Ritze hervorlugen, so wie das bei allen großen Systemen üblich ist.
– Aber vor dem Wetter kann ich ja nicht fliehen.
– Genau so, wie du vor den Gletscherbahnen nicht fliehen kannst. 

(11)
– Großvater, warum sagst du nichts zu den Ereignissen des Tages?
– Weil mir über Nacht die Welt über dem Kopf gewachsen ist.

STICHPUNKT 21|67, geschrieben am 21.09. 2021

Geboren 1953. Ist seit Gerichtsverfahren 1987 gerichtlich anerkannter Schriftsteller, bis 2018 als Bibliothekar an der ULB Tirol. Als Konzept-Schriftsteller hält er sich an die These: Ein guter Autor kennt jeden Leser persönlich.

Etwa 50 Bücher, u.a.:
* BIP | Buch in Pension | Fünf Bände (2020-2024)
* Anmache. Abmache. Geschehnisse aus dem Öffi-Milieu. (2023)
* Austrian Beat 2. [Hg. Schneitter, Schönauer, Pointl] (2023)
* Verhunzungen und Warnungen. | Geschichten, entblätterte Geschichten, verwurstete Geschichten. (2022)
* Outlet | Shortstorys zum Überleben (2021)
* Antriebsloser Frachter vor Norwegen | Austrian Beat (2021)
* Tagebuch eines Bibliothekars | Sechs Bände (2016-2019)

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