"Assassin's Creed Syndicate" – Zwillinge in London

12 Minuten Lesedauer

Alle Jahre wieder: Wie Geburtstag und Christkind bringt Spielehersteller Ubisoft jedes Jahr einen neuen Teil der Serie „Assassin’s Creed“ auf den Markt. Was vor acht Jahren mit einem der besten Trailer aller Zeiten begann, in „Assassin’s Creed II“ seinen Höhepunkt feierte und letztes Jahr mit „Assassin’s Creed Unity“ beinahe an die Wand gefahren wurde, findet nun seinen Weg ins viktorianische England. Zugegeben, die Erwartungen an den neuen Teil wurden von gemischten Gefühlen begleitet. Viele Fans der Serie wurden von „Unity“ verscheucht, zu viele Bugs schlichen sich ein (Personen verschwanden, steckten in Objekten fest, ließen sich nicht mehr steuern) – der Teil wurde einfach zu früh auf den Markt gebracht. Eben immer im Oktober, man schielt ja aufs Weihnachtsgeschäft.

Bugs und andere Kleinigkeiten

Und tatsächlich gibt es einige eklatante Unterschiede zwischen „Unity“ und „Syndicate“. Einerseits ist da der logisch-unterschiedliche Schauplatz: wir tauschen das revolutionäre Paris mit dem viktorianischen London – man tauscht also französische mit industrieller Revolution. Wie im echten Leben sind auch hier Paris und London nicht vergleichbar. Durch zig Änderungen bestach „Unity“ mit einer sehr aufwendigen aber eben auch sehr fehlerhaften Grafik. Die Details der Backsteinhäuser, die Massen auf den Straßen, die speziellen Lichteffekte, wurden in „Syndicate“ wieder reduziert. Das stört nur das kritische Auge, Spieleliebhaber begeistert die Grafik immer noch. Gut, einige Gesichter glänzen auffällig mehr und die Straßen Londons wirken merklich grauer, aber das schiebt man eher Londons Wetter als der schwächeren Grafik zu. Also bleibt man auch beim Wetter realistisch. Wer denkt „Sydicate“ ist frei von Bugs, denkt falsch. Kleine Fehler schleichen sich auch hier ein, im Gegensatz zum Vorgänger haben diese aber keine Auswirkungen auf das Gameplay sondern stören nur grafisch:

Assassin's Creed® Syndicate_20151022144129
Holzteile schweben in der Luft. Herrenlos und alleine.

Auf den Multiplayer verzichtet „Syndicate“ gänzlich. Ein Rückschritt wie ich finde, da gerade das die (einzige) Stärke von „Unity“ war. Es war eben einfach zu groß und zu schnell umgesetzt. Um sich dieser Schmach zu entziehen wird im neuesten Teil allein durch die Straßen, Gassen und Dächer Londons gezogen. Straßen und Gleise spielen eine zentrale Rolle im Gameplay und der Geschichte: London entpuppt sich als Kutschenmekka. Wer schnell von A nach B will, holt sich in GTA-Manier die nächste Kutsche und jagt das „brave Mädchen“ (so nennt jeder Charakter im Spiel sein Pferd) durch die Straßen. Wohlgemerkt auf der linken Seite – nach circa zwei Stunden spielen ist auch mir das aufgefallen, die vielen Geisterfahrer auf der rechten Seite kamen mir irgendwann wirklich komisch vor. Als Lager der Assassinen dient ein fahrender Zug. Eine wirkliche Innovation!

Doppelt hält besser

Erstmals lässt uns „Assassin’s Creed“ in die Rolle von zwei Charakteren schlüpfen. Die Zwillinge Jacob und Evie Frye könnten unterschiedlicher nicht sein. Jacob ist der grobe Gangleader der keinem Konflikt aus dem Weg geht und den brachialen Weg bevorzugt. Evie geht es gern mit Köpfchen an, bevorzugt Strategie, steht aber im Zweifel ihrem Bruder in Sachen Brutalität um nichts nach. Zwei Charaktere bringen auch zwei Handlungsstränge mit sich: Mit Jacob wollen wir die Straßen Londons von den Templern befreien und eine eigene Gang etablieren. Evie widmet sich der Suche nach einem mächtigen Edensplitter. Beide haben aber ein gemeinsames Ziel für das sie kämpfen: die Macht der Templer zu zerstören.

So haben also beide ihre speziellen Missionen, zwischendurch kann man problemlos die Charaktere im Menü wechseln. Mit der Zeit wachsen auch die Fähigkeiten der beiden, die man in einem eigens angelegten Fähigkeitenbaum freischalten kann. „Mit der Zeit“ heißt in diesem Fall, dass man auch wirklich viel Zeit zum Spielen hat. Denn leider schleicht sich auch in „Syndicate“ der neueste Gamingtrend ein: Mikrotransaktionen, also schnelleres Freischalten von Dingen mit Hilfe von echtem Geld. Habt Geduld liebe Gamer und spendet den großen Konzernen nicht euer hart erspartes Taschengeld, ihr kommt auch locker ohne aus.

Erobere London Schritt für Schritt

Londons Karte ist rund dreißig Prozent größer als Paris in „Unity“. Wie immer steht am Beginn jedes „besetzten“ Viertels ein Besuch am Kirchturm um sich einen Überblick zu verschaffen. Im Gegensatz zu den vergangenen Teilen ändert sich in „Syndicate“ aber das weitere Vorgehen. Es herrscht ein nostalgischer Hauch von „AC I“: durch mehrere Nebenmissionen erobert man Stadtviertel. Nicht um in der Hauptstory weiterzukommen, sondern um eine gute Alternative zu schaffen. So müssen Personen entführt und in Kutschen verfrachtet werden, Kinder aus der Kinderarbeit befreit werden, Gangquartiere überfallen und vernichtet werden und schließlich in einem finalen Gangviertel-Krieg, das Viertel erobert. Hier findet man viel Zeit sich die Stadt genauer anzusehen und kennenzulernen. Gut, an diesem Punkt trennt sich die Spreu vom Weizen: einige Spieler sind von diesen Missionen genervt, sehen immer den gleichen Ablauf vor sich und werden diesen Handlungsstrang länger aufschieben. Andere sehen darin eine Stärke, abseits des Hauptstrangs eine spannende Alternative zu bekommen. Mir persönlich gefällt dieses neue Missionsdesign sehr gut, obwohl sich auch der ein oder andere Bug einschleicht:

Die gesuchte Person in der Kutsche untergebracht, sollte Jacob diese eigentlich in den Knast bringen. So macht er aber erst einmal eine Sitzpause auf den Straßen Londons.
Die gesuchte Person in der Kutsche untergebracht, sollte Jacob diese eigentlich in den Knast bringen. So macht er aber erst einmal eine Sitzpause auf den Straßen Londons.

Die Hauptmissionen spielen sich gänzlich anders als im Vorgänger. Missionen unterscheiden sich massiv und wiederholen sich nicht! Gut, mit Jacob wird’s gern lauter und auch explosiver, aber das macht nichts. Flüssig läuft das Gameplay, die Steuerung ist zwar immer noch nicht perfekt, aber besser balanciert. Für den Parcour nach unten wird jetzt eine eigne Taste gedrückt – gewöhnungsbedürftig aber mit guter Intention. Bittere Fehlsprünge sollten also erspart bleiben.

Rauf, rauf, immer schön die Wände rauf

Assassin’s Creed lebt von der Mischung aus Fiktion und Historie. Auf das England der industriellen Revolution umgemünzt heißt das namentlich: Alexander Graham Bell, Charles Darwin und Charles Dickens. Jeder findet auf seine eigene Art und Weise in die Geschichte, jeder ist von unterschiedlichem Nützen. Bell lässt uns neue Erfindungen ausprobieren und schenkt uns das wichtigste Gadget in „Syndicate“: den Greifhacken. Jetzt werden eingefleischte Spieler laut aufschreien: Was schon wieder ein Hacken? Keine Sorge, lasst die Angstperlen nicht auf die Stirn kommen, „Syndicate“ ist KEIN neues „Revelations„, auch wenn auch dort schon so ein Spielzeug zur Verfügung stand. Mehr ist dieser neue Greifhacken wirklich ein Segen und eine Bereicherung. Die mit der Zeit mühsamen und nervenden Parcourgänge werden mit einem Mal zunichte gemacht.

Generell gilt: neues Kampfsystem. „Syndicate“ verbannt Schwert und Degen in den historischen Schrank und lässt mehr die Fäuste, Gehstöcke oder Messer sprechen. Ein Combosystem lässt Schläge härter ausfallen, Betäubungen und Schlagkombinationen sind jetzt an der Tagesordnung. Vorbei sind also die Zeiten des reinen Konterns und der leichten Auseinandersetzung. Jeder Stadtteil wird von unterschiedlich schweren Gegnern kontrolliert. Mit dem Combosystem hat man die Chance, höher gelevelte Gegner zu besiegen, wenngleich das kein Zuckerschlecken ist. Richtig fies sind die Mitglieder der „Queens Guards“ die einen mit ihren Knüppel regelrecht windelweich klopfen.
Hilfe findet man in Form seiner eigenen Gang, den „Rooks“. Befreit man einen Stadtteil, schließen sich vorherige Gegner Jacobs Gang an und stehen optional zur Verfügung. Das funktioniert besser als in den Vorgängern. Im Menü kann man die Gang erweitern, Späher beschaffen, Kutschen rekrutieren oder ihnen ein Pub kaufen. Im Kampf auf den Straßen genügt ein Knopfdruck und sie eilen zu Hilfe.

Sinnlos erscheinen die Sequenzen in der Gegenwart. Ohne Bezug wird wieder irgendeine Geschichte über Abstergo erzählt, die keinerlei Relevanz für das restliche Spiel hat. Das könnte und sollte man einfach weglassen, niemand wird dieses Element vermissen.

Fazit

„Syndicate“ kann viel. Zwar ist London nicht Florenz und Jacob nicht Ezio, dennoch erinnert „Syndicate“ stark an „AC II“. Die Charaktere sind spannend, das FreeRunning ist vermutlich besser denn je. Das Setting ist ansprechend, wenn auch die Grafik leichte Abzüge gegenüber „Unity“ vorweist. Die Basis im fahrenden Zug macht richtig viel Spaß, die abwechslungsreiche Geschichte und die verschiedenen Missionen motivieren sehr. Der Piratenteil „Black Flag“ der Serie wurde von der Presse sehr gefeiert, vor allem wegen dessen offener Welt. In „Syndicate“ finden sich viele Elemente davon. Als AC-Fan der ersten Stunde befürchtete ich, dass „Syndicate“ ein besseres „Revelations“ wird – ein Graus diese Vorstellung, dieses Spiel war abgesehen von Istanbul der schwächste Teil der Serie.
Einzig der fehlende Multiplayer nervt mich, das macht „Unity“ wirklich speziell und würde sich gerade in einem Spiel mit zwei Charakteren anbieten. Aber das ist jammern auf hohem Niveau. Traditionell ist AC ein beliebtes Weihnachtsgeschenk. Auch heuer werden wieder Tausende unterm Baum liegen – diesmal wieder einmal zurecht. Wer eine Zahl verlangt, wir vergeben eine starke 87.

"Assassin's Creed Syndicate" ist ab heute, 23. Oktober für Playstation 4 und Xbox One erhältlich. Die PC-Version erscheint am 19. November. Altersfreigabe ab 18 Jahren.
Beitragsbild: Screenshot / Youtube

 

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.