Ganz Tirol ist eine einzige Kultstätte. Was immer nämlich in Tirol geschieht, es gilt international als hervorragende Kultur.
Kultur-theoretisch betrachtet ist es so, dass ununterbrochen Kultur passiert, dass aber aus Gründen der Unterhaltung, des Marketings und der Lebenslust immer wieder kleine Tageskulturen darin implementiert werden müssen.
Nach dieser These passiert schon seit Jahrhunderten in Tirol die Grundkultur, aber ab und zu wird etwas Kultiges darauf gesetzt.
Zum Beispiel wird plötzlich für eine Nacht ein Rave-Event gemacht, an anderer Stelle findet ein göttliches Bouldern statt, und an einem dritten Ort siedelt sich ein Poetryslam auf der nächstbesten Bühne an.
In früheren Zeiten musste man für alle diese Kult-Ereignisse eine eigene Halle bauen. Jetzt aber inspiriert die Kraft des Quernutzens die Szene, wenn ein Gebäude für eine Nacht einem speziellen Nutzen zugeführt wird.
Als die drei Parade-Quernutzungen gelten:
1.
Rave-Wave
Das Wörgler Ex-Schwimmbad wird als Rave-Gelände genutzt.
Aus dem Wortspiel Wave und Rave ergibt sich eine Kultur, die beinahe kalifornische Züge aufweist.
2.
Bouldern digital und dignital
Die Innsbrucker Kirche Petrus Canisius ist als Boulder-Pyramide erbaut. Gebrechliche Gläubige müssen ihren Körper die Stiegen hinaufquälen, um oben auf Gott zu treffen, der während der Zeremonie die Hände mit Talk eingeschmiert hat.
Um Jüngeren im fitten Körper dieses Gotteserlebnis zu ermöglichen, sollen jetzt Bouldersteine aufgestellt werden, so dass man ohne auf Gott achten zu müssen seinen digital ausgerechneten Boulderkurs absolvieren kann.
Die Vermischung von digital und dignital gilt als sakrale Erfindung aus Tirol, die durchaus das Zeug zu einem Wallfahrtszentrum in sich trägt.
3.
Slam-Klassiker
Das große Haus am Landestheater musste jahrelang ziemlich entleert spielen, weil man keine passenden Stücke finden konnte. In die „großen Stücke“ geht in Tirol niemand, wenn der Saal so groß ist, dass man darin den Faden verliert.
Erst seit „poetryslam“ am großen Haus gespielt wird, ist dieses wieder voll, weil für diese „Kunst der Tagesform“ der Saal nie groß genug sein kann.
Freilich steckt auch ein kleiner Trick dahinter. Wenn man zu einem Stück poetryslam sagt, werden die Leute sofort nachsichtig und entspannt, und lassen sich so allerhand Sprachwitze aufs Auge kleben.
Das gilt übrigens für alle drei Kult-Kulturen. Die Nachnutzungen sind immer humoriger als die Originalnutzungen.
Das Rave-Festival ist entspannter als das Schwimmbad, der Boulderkurs ist lockerer als der Gottesdienst, und der Poetryslam ist unterhaltsamer als Warten auf Godot.
Sogenannte Kult-Scouts sind Tag und Nacht unterwegs, um noch andere Events für Tirol zu erfinden.
Seit im Land so ein großer Druck an Bodenversiegelung besteht, muss alles sofort nachgenutzt werden, was keinen Sinn mehr hat.
Das ORF-Studio Tirol etwa schreit nach einer Nachnutzung.
Aber auch diverse Eishallen werden im Klimawandel bald ohne Eis auskommen müssen und warten auf eine Nachnutzung, die nicht so energiefressend ist.
Ein interessanter Vorschlag geht in Richtung Schlaf-Labor.
Wenn man alle Tirolernden über Nacht zum Einschlafen bringen könnte, wäre das eine große kulturelle Leistung.
„Kultur als Schlaf“ wird im Land schon seit Ötzis Zeiten gepflegt.