Vom Schummeln und Lügen — Zuhören oder Weghören, 6 Übungen

2. Juni 2025
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Wir werden, fürchte ich, wieder lernen müssen ganz genau hinzuhorchen, um – wie es Bürger in Diktaturen oder Kriegssituationen stets beherrschen mussten – hinter der Propaganda und Vernebelung die Wahrheit herauszufitzeln. Lügendetektoren sind bei trainierten Berufslügnern (Schauspielern und autoritären Politikern — zurzeit oft in einer Person vereinigt) leider wirkungslos. Wir Bürger sollten also unsere eigenen Sinne schärfen.

Beobachtungsübung 1: Eindeutigkeit und Zweideutigkeiten

Als z.B. Norbert Hofer auf die Frage nach seiner Haltung zum russischen Angriff auf die Ukraine befragt wurde, antwortete, er sei gegen JEDES Land, das Krieg führe*  — wie salomonisch! Auch die Ukraine führt ja — ungewollt — Krieg. Leider „vergaß“ der Interviewer ihn auch noch nach dem Krieg Israels im Gazastreifen zu fragen. Ich hätte gerne seine Antwort dazu gehört. Fazit: stellen wir selbst jene Fragen, die ausgelassen wurden.

Achten Sie auch auf schöne Sprachbilder, wenn etwa ein Vertreter einer gesichert rechtsradikalen Partei im deutschen Parlament verspricht: „Unsere Hand bleibt ausgestreckt!“ Man kann sich das schön bildlich vorstellen.

Auch unverständliche Wortneubildungen sind beliebt im Doublespeak, wenn z.B. Abschiebungen ins Taliban-Afghanistan als „technische Reisen“ deklariert werden. Oder andererseits eine betont rustikale Sprechweise, bei der jegliche Vereinfachung schließlich als „normal“ akzeptiert wird – wie wenn etwa ein FPÖler seinen Stammtischbesuchern die Taliban als „regionale Stammeshäuptlinge“ erklärt, die alles „halbwegs im Griff“ hätten. Denn wenn sich dort einer „deppert verhalte“ dann werde er halt aufs Land geschickt; und das „letzte Gesindel“, das dann immer noch nicht „spurt“, schicke man letztlich nach Europa.  Schon erstaunlich, wie einfach sich manch komplexer Zusammenhang erklären lässt, wenn man nur will!

Beobachtungsübung 2: Achten Sie auf außersprachliche Signale beim Ablesen vorbereiteter Reden

Wenn ein rhetorisch versierter Rechtspopulist (kann auch eine Frau sein), egal welcher Nation, plötzlich als Kandidat:in für ein hohes Amt auftritt und auf einmal keine freien Reden mehr schwingt, sondern vorbereitete Erklärungen verliest, wie das z.B. bei Herrn Kickl der Fall war, sobald er sich dem Kanzleramt nahe wähnte: wo verraten unübliches Vokabular, Stimmlage, Mimik, Körperhaltung, Sprechduktus oder eine Abweichung des Vortragstempos (kurzes Innehalten/ schnelleres Tempo), dass er/sie jetzt wahrscheinlich lügt? Und vor allem: Wovon ist jetzt auf einmal nicht mehr die Rede? Auch bei Trump ließ sich, leider nur ganz kurzzeitig, eine solche Sprachveränderung beobachten. Inzwischen ist er aber wieder ganz der Alte.

Beobachtungsübung 3: Lernen Sie von Machos — den Urbildern jedes Autokraten

Wenn Führungspersönlichkeiten (jeglicher Couleur) einmal auch Frauen ansprechen wollen, dies aber nicht über die Lippen bringen, sodass beim Gendern ein verwaschenes „liebe Bürger-“ und Bürger“ herauskommt, dann ist das eine klassische Freud´sche Fehlleistung und ist solchen Männern dringend eine Rhetorikschulung anzuraten. Für eine Verhaltens-Schulung ist es allerdings wahrscheinlich schon zu spät. In manchen Ländern wird das Gendern jetzt schon wieder verboten, damit keiner mehr merkt, dass 51% der Bevölkerung entrechtet werden sollen.

Beobachtungsübung 4: Lernen Sie anhand der Beobachtung anerkannter Autokraten das Handwerk der kleinen Autokraten kennen

Sie lernen nämlich alle gegenseitig voneinander. Aber auch sie sind nicht perfekt. Wenn Herr Putin eine Rede hält, verrät – trotz bester Geheimdienst-Schulung! — sein inneres Schmunzeln in Augen und Mundwinkel, wo er triumphierend lügt. Auch Kickl verrät Genugtuung oder Frust in seinen Augen. Hier muss man also nur fokussiert hinsehen.

Bei Donald Trump dagegen hilft leider kein Hinsschauen, da er a) ständig lügt und b) sowohl sein Wortschatz als auch seine Körpersprache keinen Restbestand an Authentizität mehr besitzen. Alles nur noch Pose. Spricht er dann doch einmal vernünftig in längeren Sätzen und mit normalem Wortschatz, ist daraus nur die Erkenntnis zu gewinnen, dass er hier von Beratern Vorgefertigtes auswendig gelernt hat (s.oben, Übung 2). Bei seinem kurzen Merkvermögen wird er aber das Gesagte am nächsten Tag sowieso wieder vergessen haben. In jedem Fall erübrigt es sich für uns, gebannt auf seine Auftritte zu starren. Er produziert mit jeder Ankündigung einer „wichtigen Ansprache“ bloß einen Cliffhanger, um das Publikum in die nächste Folge der Show zu locken. Also gehen Sie während Trump´scher Ansprachen ruhig das Abendbrot zubereiten, und warten Sie ansonsten mit Engelsgeduld auf das Ende der Serie in spätestens 5 Jahren.

Bei den Chinesen liegt der Fall noch vertrackter: Hier überschlagen sich einerseits die Nachrichtensprecher, welche von Nicht-Sinologen sowieso nicht verstanden werden, in vorgeschriebener Aufregung, während der Große Führer und die das Volk vertretenden Zuhörer mit — jahrhundertelang geschulter – gefrorener Mimik nicht verraten, was sie wirklich denken. Auch hier können Sie sich also alle Beobachtungen sparen.

Konzentrieren Sie sich deshalb besser auf die kleinen Möchtegern-Autokraten, von denen wir ja genug Anschauungsbeispiele zur Verfügung haben.

Beobachtungsübung 5: Der Gebrauch von Modalverben

Achten Sie auf die Modalverben! Wenn Politiker z.B. immer wieder betonen, dass Flüchtlinge nicht arbeiten, sich nicht integrieren und unsere Sprache nicht lernen wollen, dann überprüfen Sie bitte, ob sie das denn eigentlich könnten oder dürften. Tatsächlich verhält es sich nämlich so, dass Asylwerber hierzulande nicht arbeiten dürfen (außer unbezahlt und ehrenamtlich). Dass sie nicht Deutsch lernen können, weil viel zu wenige Sprachkurse für Noch-Nicht-Asylberechtigte angeboten werden, und wenn doch, erwartet wird, dass sie Deutschprüfungen über ein Lehr- u. Übungsbuch von jeweils 200 Seiten in 3 Monatsrhythmen ablegen und innerhalb von 2 Jahren bis zur Fremdsprachen-Matura kommen können. Diesalles, ohne noch zu wissen, ob sie überhaupt im Land bleiben dürfen. Sollte gerade Ferienzeit sein, hat man eben Pech. Da kann ein Williger zwei Monate lang überhaupt keine Kurse besuchen. Und sollte es mit der Anerkennung dann – unwahrscheinlich — doch endlich einmal klappen, mussein Flüchtling innerhalb weniger Wochen aus dem Heim ausziehen, gleichzeitig Wohnung und Arbeit finden und tausend Formalitäten in einer überbordenden Bürokratie in der Fremdsprache ohne Hilfestellung erledigen. Gleichzeitig muss er nun die Sprachkurse besuchen, um arbeiten zu dürfen, was er auch ab sofort tun muss, um die Wohnung zu bezahlen, denn bisher konnte und durfte er kein Erspartes besitzen. Zudem werden die Sprachkurse zu Zeiten angeboten (wochentags, während der Arbeitszeit, nicht abends oder am Wochenende!), zu denen er nun arbeiten muss, um seine Integration zu beweisen. Erfüllt er ein einziges dieser Ziele nicht, gilt er als integrationsunwillig.

Beobachtungsübung 6: Manchmal macht nur noch die Intonation den Unterschied **

Sebastian Kurz ist soeben vom Vorwurf der Falschaussage freigesprochen worden. Einfach deshalb, weil er mit einem extrem kurzen, Nachdenklichkeits-„Ja …“ seine Antwort auf die Frage begann: „Haben Sie allgemein Wahrnehmung zur Frage, wie der Aufsichtsrat besetzt wurde? Waren Sie da selbst eingebunden?“ Aus dem kleinen Füllwörtchen konstruiert die Verteidigung nun, dass er etwas zugegeben hätte, hätte man ihn bloß lange genug reden lassen. In Zukunft wird, wenn einer etwas abstreiten will, jede heikle Fragebeantwortung einfach mit so einem kleinen „Ja, …“ beginnen. Da ist man juridisch auf der sicheren Seite.

Grundsatz-Übung: Entweder weghören oder sich alles merken!

In vielen Fällen bringt bei Politikern das Zuhören eigentlich keinen Erkenntnisgewinn mehr, außer man betreibt es als reines Gehirntraining, um für eine Zukunft allumfassender Desinformation gewappnet zu sein. Mit Weghören erspart man sich andererseits viel unproduktiven Ärger und sinnlos vertane Lebenszeit. Richten Sie sich also für inhaltsleere Nachrichtenblöcke schon mal den Staubwedel her. Es ist eine gute Zeit für kleine Hausarbeiten. Gewöhnen Sie sich aber keinesfalls an, jedes Mal etwas aus dem Kühlschrank zu holen! Das wäre Ihrer Figur auf Dauer nicht zuträglich. Hören Sie dafür bei jenen Nachrichten, die sich nicht in reinen Floskeln erschöpfen, ganz genau hin. Und merken Sie sich diese Aussagen dann bitte aber auch für länger als den einen Tag!

*) Ö1 Mittagsjournal vom 8.1.25

**) Nach https://www.profil.at/investigativ/tonband-aus-dem-u-ausschuss-wie-das-kurz-ja-wirklich-klingt/403045480?cx_testId=2&cx_testVariant=cx_1&cx_artPos=1&cx_experienceId=EXGDEOTFX1CA&cx_experienceActionId=showRecommendations4ELTSX3TT2NK63#cxrecs_s

Geboren 1954 in Lustenau. Studium der Anglistik und Germanistik in Innsbruck Innsbruck. Lebt in Sistrans. Inzwischen pensionierte Erwachsenenbildnerin. Tätig in der Flüchtlingsbetreuung. Mitglied bei der Grazer Autorinnen und Autorenversammlung Tirol, der IG Autorinnen Autoren Tirol und beim Vorarlberger AutorInnenverband. Bisher 13 Buchveröffentlichungen.

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