Vom Schummeln und Lügen – Was aber, wenn plötzlich alles offen ausgesprochen wird?

15. September 2025
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Foto von Glen Carrie auf Unsplash

Wir wären es ja gewöhnt: Schlimme Dinge werden nicht beim Namen genannt. Erst recht nicht in der Politik. Unpopuläre Pläne, stille Abmachungen, korrupte Machenschaften versteckt man hinter schönen Worten, sobald sie nicht mehr verschwiegen werden können. Die böse Wahrheit aber, die wird erst dann offen ausgesprochen, wenn man sich sicher ist, dass niemand mehr etwas dagegen unternehmen kann. Dieser Punkt wird gerade vielerorts erreicht.

Trump brüstet sich inzwischen ganz offen mit seinen korruptiven Machenschaften als „eben extrem erfolgreicher Geschäftsmann“. Die geplante privatwirtschaftliche Ausbeutung anderer Länder wird ebenso deutlich benannt: Trump will „das Potenzial des Südkaukasus voll ausschöpfen“. Damit wissen wir nun alles. Auch sonst wird er, der bisher ausschließlich für seine täglichen Fake-News auf dem lügenhaft benannten Kanal „Truth Social“ berühmt war, immer wahrheitsliebender. Soeben hat er das „Ministry of Defense“ in ein offenkundiges “Ministry of War“ umbenannt. Man erinnere sich: Auch Putin grinst inzwischen unverblümt beim Wort „militärische Sonderaktion“, wenn er den Begriff überhaupt noch einmal in den Mund nimmt.

Und wenn andernorts maßgebliche israelische Minister laut von der „Deportation“ sämtlicher Palästinenser in irgendein Ausland träumen oder die Palästinenser auf ein paar mickrigen Inseln ihrer ehemaligen Landesfläche „konzentrieren“ wollen (Bezalel Smotrich), wenn plötzlich vom Westjordanland immer wieder als „Judäa und Samaria“ gesprochen wird, wenn schließlich Netanyahu sogar vom „totalen Sieg“ spricht, dann berauschen sich ehemalige Opfer an den Ideen und Parolen ihrer historischen Todfeinde. Sie sollten eigentlich wissen, wie das damals ausging.

Sogar Abkürzungen dienen nun immer öfter nicht mehr der Verschleierung, sondern der Offenlegung böser Pläne: Die eiskalte Massenverfolgung und Deportationsmaschinerie Trumps wird mit dem vielsagenden Kürzel ICE glasklar benannt. Und ein scheinbares Friedensprojekt, der Transitkorridor zwischen Armenien und Aserbeidschan, auf dem sich die USA für 99 Jahre die Exklusivrechte zur „Entwicklung“ zusichern ließen, wurde TRIPP (Trump Route for International Peace and Prosperity) benannt. Hier verrät die Vollversion den einen, die Abkürzung den anderen düsteren Hintergrund. *

Nichts scheint also mehr versteckt werden zu müssen. Die Menschen sollen es ruhig hören und die grausame Wahrheit als unabwendbar akzeptieren.

Sogar im kleinwinzigen Österreich, wo doch das Drumherum-Schwadronieren eine geliebte alte Tradition ist, wird nun vermehrt Klartext gesprochen, der Jargon der Vernichtung immer unverfrorener verwendet. Wenn Kickl den Vizekanzler Babler eine „linke Zecke“ nennt, ist die Entmenschlichung in Nazi-Manier mehr als nur eingeleitet. Und seit letzter Woche wird’s auch wieder ganz offen „völkisch“. Statt uns wie bisher dezent über positiv klingende Wörter aus dem Bierzelt („Volksbrauchtum“, „Volksmusik“ oder die schön basisdemokratisch klingende „Volksbefragung“) an den nach 1945 verpönten Volks-Begriff sachte heranzuführen, sind wir inzwischen beim gruseligen politischen Kern des Wortes angelangt: bei „Volkskanzler“ und „Volkskörper“. Das dumpf Völkische, der zum Einheitsmenschenbrei zusammengeknetete „Volkskörper“ aus „normalen Bürgern“, die gehorsam dem Führer folgen bis in den Tod, wird wieder salonfähig, sobald man solche Wörter aussprechen oder auch nur hören kann, ohne sich zu schämen.

Wörter schufen seit jeher die Denkmuster auf dem Weg zur jeweiligen „Endlösung“. Nur in der Diktatur ist die ganze Wahrheit auszusprechen erlaubt – aber ausschließlich dem Machthaber. Nur er darf das Feindbild (d.h. seit Urzeiten: nicht männlich, nicht einheimisch, nicht konform) offen vorgeben. Die Bürger dürfen es ihm dann nachsprechen. Und nachdem einmal sagbar und denkbar geworden ist, gilt: Es entsteht keine Diktatur ohne Feindbild. Kein Feindbild bleibt bestehen ohne Gewalt. Diktatur überlebt nur durch Feindbild – Gewalt – und zuletzt immer: Krieg.

Wir sollten uns jetzt wirklich zu fürchten beginnen.**

* to trip bedeutet „stolpern“ bzw. umgangssprachlich auch „Drogen nehmen“. Jeder möge sich die passendere Übersetzung selber aussuchen.

** Aber bitte, bitte: Nicht angsterfüllt abschalten oder gleich in Bomben und Granaten denken, sondern schnell kluge Gegenstrategien ersinnen und diese auch verwirklichen!

Geboren 1954 in Lustenau. Studium der Anglistik und Germanistik in Innsbruck Innsbruck. Lebt in Sistrans. Inzwischen pensionierte Erwachsenenbildnerin. Tätig in der Flüchtlingsbetreuung. Mitglied bei der Grazer Autorinnen und Autorenversammlung Tirol, der IG Autorinnen Autoren Tirol und beim Vorarlberger AutorInnenverband. Bisher 13 Buchveröffentlichungen.

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