Politische Veränderungen zeigen sich stets im öffentlichen Raum.
1.
Gefühlt zweimal in der Woche findet in Innsbrucks Kernzone die eine oder andere Demo statt, bei der ein latentes Thema aktualisiert, eine Szene aus der Zeit im Bild des Vortags nachgespielt oder ein historisches Jubiläum zelebriert wird.
Für Außenstehende unterscheiden sich diese Demos untereinander durch nichts, zumal sie meist die gleiche Route abmarschieren und von den gleichen Sicherheitspersonen begleitet werden.
Meist stehen auch am Demorand die gleichen Leute, meist sind es Rentner, und erstaunlich viele haben Sonnenbrillen auf, die in Wirklichkeit zur rosa Einfärbung der Wirklichkeit dienen.
Auf dieses Publikum wirkt jede Demo wie eine Sportveranstaltung ohne Stadion, zumal die Demos regelmäßig abgehalten werden wie Spiele zu einer Meisterschaft.
Damit man am Abend im „Tirol heute“ sieht, was sich heute abgespielt hat, tragen die Demozüge am Anfang und am Ende ein Schild mit, worauf steht, dass es sich um eine Art Martini-Umzug handelt mit politischem Hintergrund.
2.
Wenn man diese Demozüge über Jahrzehnte beobachtet, erkennt man die Veränderungen im Öffentlichen Raum.
– Öffis haben neue Haltestellen.
– Schienen sind anders verlegt.
– Plätze haben neuen Bewuchs.
– Gewisse Automarken sind vom Markt verschwunden.
– Straßen sind umbenannt worden
– Firmen sind in Konkurs gegangen.
– Scooter liegen unkoordiniert herum.
– Von öffentlichen Gebäuden wehen Regenbogenfarben.
– Auf den Ampeln sind kleine Sportfiguren aufgeklebt.
– Graffiti schmücken alles, was als Parterre das Dasein fristet.
Und dazwischen wälzt sich seit Jahrzehnten eine aufgeklärte Innsbrucker Gedankenmasse, die zweimal in der Woche ihre Schilder auspackt und auf Demo geht.
Wie beim echten Sport und in der echten Kunst geht es bei echten Demos nicht um Veränderung, sondern um Zeitvertreib mit Zugewinn.
Es gibt nichts Schöneres, als sich nach einer Runde durch die Innenstadt an ein Getränk zu setzen und den Mitgehenden zuzuprosten mit dem schönen Satz: Das werde ich einmal den Enkelkindern erzählen, wie wir heute demonstriert haben!
Die Lebenserfahrung lehrt, dass sich der öffentliche Raum durch die Zeit selbst ändert, nicht durch flanierendes Zutun.
Denn es geht bei politischen Vorgängen um den Blick, nicht um das Erblickte.
Meist ist es billiger, den Blick zu verändern als die Wirklichkeit.
– Die vielen Sonnenbrillen in Innsbruck beweisen, dass es nicht auf politische Farben ankommt, sondern auf den rosa Blick!
STICHPUNKT 25|88, geschrieben am 15.11.2025