Jordi Savall beim Osterfestival Tirol: Schönheit durch Zurückhaltung

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Innsbruck, 03. April. Es ist Karfreitag. Die Stadt brodelt, zumindest in kultureller Hinsicht. Konzerte reihen sich aneinander. Natürlich auch Rockkonzerte. Getanzt wird natürlich auch. Es scheint nicht mehr allzu angesagt zu sein, den Karfreitag ein wenig gemächlicher oder gar spiritueller anzugehen. So mancher der sich besonders lässig und provokant wähnt, postet ein Fleischkäse-Semmerl auf seiner Facebook-Pinnwand. Nimm das, Jesus! Wir brauchen dich nicht mehr. Wir wollen tanzen, feiern und essen was wir wollen. Die Religion und Gott haben uns eh schon lange nichts mehr zu sagen. Mag alles sein und ist vor allem auch legitim. Aber ein wenig schal ist diese Freiheit doch schon geworden. Dann doch lieber ein Konzert von Jordi Savall beim „Osterfestival Tirol“.
Black Lung jedenfalls bespielten am Karfreitag die Innsbrucker P.M.K.. Mit Rockmusik, die den 70er Jahren den einen oder anderen Riff zu verdanken hat. Auch der Sänger hat wohl schon das eine oder andere Mal Black Sabbath gehört. Das darf er auch. Ob die Musik dann aber sonderlich aufregend ist, kann ich auf die Schnelle nicht beurteilen. Von dem gestrigen Konzert in der P.M.K. kommen mir jedenfalls wahre Wundererzählungen zu Ohren. Eines der „coolsten Rockkonzerte der letzten Monate und Jahre“ sei es gewesen.
Ich habe jetzt im Moment dennoch nicht das Gefühl, etwas verpasst zu haben. Vielleicht liegt es an meinem zunehmenden Desinteresse dieser Musik gegenüber. Vielleicht an meinem Alter mit dem ich eine gewisse Gelassenheit erreicht haben und das Emfpinden, nicht mehr alles sehen zu müssen. Höchstwahrscheinlich steckt aber etwas anderes dahinter. Es ist mit großer Sicherheit die hier beschriebene Schalheit, die mir so penetrant auffällt, wenn am Karfreitag völlig beliebig Konzerte angesetzt werden, die aber schon so gar nichts mit dem Karfreitag zu tun haben.
Ich dachte tatsächlich nicht, dass ich das jemals schreiben würde. Aber es ist evident: Ich schätze die Bezugnahme von Veranstaltungen auf diesen Tag. Nicht weil ich sonderlich gläubig wäre. Sondern weil der Karfreitag so viele interessante und in das Heute übertragbare Aspekte mitbringt. Leid, Trauer, Schmerz. Ein Tag um traurig zu sein, sich zu besinnen, Zurückhaltung und Diskretion sich und seiner Umwelt gegenüber zu üben.
Konzerte, die heute zufälligerweise oder gar aus einem Gestus des Heute-erst-Recht stattfinden, langweilen mich hingegen. Mehr noch: Ich finde sie unnötig, fast schon respektlos. Die Freiheit, die sich eine vermeintlich aufgeklärte Gesellschaft herausgenommen hat, ist fade und inhaltsleer geworden.

Jordi Savall mit seinen armenischen Musikern (Bild: Arturo Fuentes)
Jordi Savall mit seinen armenischen Musikern (Bild: Arturo Fuentes)

Ich entschied mich also dazu, mich an diesem Karfreitag auch nicht beliebig zu kleiden. Irgendwo fand ich ein schwarzes Hemd, eine schwarze Krawatte. Mein schwarzer Mantel komplettierte mein Outfit. Ich konterkarierte den Eindruck, dass ich unter Umständen auf eine Beerdigung ginge damit, dass ich meinen Haaren mit Hilfe von etwas zu viel Wachs eine Art von Blixa Bargeld Look gab. Meine schwarze Umhängetasche diente mir als Zeichen dafür, dass ich beruflich und höchstwahrscheinlich journalistisch unterwegs war. Man muss schließlich exakt auf die Zeichen achtet, die man der Umwelt zum Lesen anbietet. Ich war bereit. Bereit für das Konzert von Jordi Savall im Rahmen des Osterfestivals Tirol.
Hier fand ich die Beliebigkeit aufgehoben. Das Konzert fand am Karfreitag statt. Nicht weil kein anderer Tag verfügbar gewesen war, sondern weil es ganz bewusst an diesem Tag stattfinden sollte. Auf dem Programm stand armenische Musik und Jordi Savall spielte diese selbstverständlich mit armenischen Musikern. Dabei gedachte er seiner verstorbenen Frau Montserrat Figueras, die armenische Musik liebte. Die Musik war aber auch deshalb bewusst gewählt, weil Armenien immer wieder Opfer von Gewalt, Leid und Krieg geworden ist. Existenzielle Tiefe, Trauer und Schmerz also auf allen Ebenen.
Im Salzlager Hall bei Jordi Savall: Nachdenken über die Freiheit, die auch Verlust bedeutet
Das Konzert vor Ort dann im Salzlager Hall: Ausverkauft. Ich hatte das Salzlager noch nie so voll, fast schon überfüllt gesehen. Das Publikum war angenehm anders zusammengesetzt, als es vermutlich bei Black Lung in der P.M.K.  wäre. Ich sah eigentlich niemanden, der der Innsbrucker Alternative-Szene zuzurechnen gewesen wäre. Diese feierte vermutlich parallel ihre hart erkämpfte Freiheit, am Karfreitag ein Konzert mit nichtspiritueller Musik ansetzen zu dürfen.
Ein Meister der Zurückhaltung: Jordi Savall (Bild: Arturo Fuentes)
Ein Meister der Zurückhaltung: Jordi Savall (Bild: Arturo Fuentes)

Ich hingegen freute mich, am Karfreitag genau an diesem Ort zu sein. Ich reihte mich bereitwillige in eine christliche Tradition ein. Für mich hatte es an diesem Tag auch etwas mit Demut zu tun. Ein wenig lässiger und angesagter Begriff. Für mich machte er an diesem Tag aber sehr viel Sinn. Ich war Teil einer Überlieferung, Teil einer Geschichte, die größer ist als ich. Eine solche Akzeptanz der Tradition kann auch heilsam sein und vor falsch verstandenem Individualismus bewahren.
Ich bin individuell, also kann ich am Karfreitag tun, was ich will. Ja, ich kann. Aber es kann auch schön sein, sich diese Freiheit gar nicht erst zu nehmen, sondern sich in etwas zu fügen. Den Karfreitag so zu nutzen, wie er seit langer Zeit intendiert ist. Ich kann diese Tradition, gefüllt mit der richtigen Musik und den richtigen Inhalten, für mich neu beleben und mit Sinn füllen. Ich kann meine Trauer und meinen Schmerz an diesem Tag bewusst für mich thematisieren.
Es ist nicht notwendig und zielführend, alle christlichen Traditionen abzulehnen und mich in einen wie auch immer gearteten luftleeren, traditionslosen Freiraum zu begeben, der meist wenig befriedigend ist. Der Verlust bei der Ablehnung jeglicher Tradition und Konvention ist enorm.
Diese Demut und Zurückhaltung, die beschriebene Akzeptanz eignet sich sogar dazu, um ein ästhetisches Programm abzuleiten und zu postulieren. Es geht in diesem Fall nicht darum, sich in den Vordergrund zu spielen, seinen Platz einzufordern, sondern darum Platz zu lassen. Als Jordi Savall die Bühne betrat war er zwar zweifellos der musikalische Leiter dieses Projektes, er stand aber nicht im Mittelpunkt. Sein Spiel war zurückhaltend, zweckdienlich, präzise und im Dienste sowohl der armenischen Musik als auch der Gesamtatmosphäre.
Nach dem Konzert. Ein begeistertes Publikum applaudiert.
Nach dem Konzert. Ein begeistertes Publikum applaudiert.

Ausufernde solistische Ausflüge waren ihm fremd. Er wusste, dass es darum ging, sowohl dem Gefühl der Trauer am Karfreitag als auch der Trauer und dem Schmerz Armeniens gerecht zu werden. Dafür hat er nicht viel mehr als seine Instrumente und seine exzellenten MusikerInnen, die ebenfalls sehr delikat, fast schon bescheiden spielten und auftraten.
Die musikalische Virtuosität wurde dabei von allen MusikerInnen nur angedeutet. Blitzte sie auf, fiel sie bald wieder in Stille und in sehr viel Raum zurück. Raum um sich zuzuhören. Raum um Stille und Andacht zu üben, die den rein christlichen Kontext in vielen Momenten transzendierte. Universelle Spiritualität. Ganz konkrete Trauer um mögliche individuelle Verluste. Schweigendes und bedächtiges Zuhören bei einem Konzert, das bewusst nicht laut gespielt wurde.
Ich gebe es zu: Ich war an mehreren Stellen berührt. Eigentlich fassungslos, wie schön und emotional diese Musik war. Interessant daran war jedenfalls, woher sie ihre Schönheit bezog: Nicht aus der Überschreitung von Strukturvorgaben und Konventionen, sondern aus der demütigen und doch kreativen Einreihung in diese Strukturen, in kulturelle und musikalische Traditionen. Jede Nuance wurde betont, hervorgehoben, erleuchtet. Seine Interpretationen zeugten von immensem Wissen der Kultur und Musikgeschichte Armeniens gegenüber. Seine Interpretationen sind als Haltung der Durchdringung zu verstehen.
Diese notwendige Zurückhaltung bei seinen Interpretationen ermöglichten das Schauen purer Schönheit, die keine übergroße Individualität und Virtuosität mehr kannte: Die Musik an sich wurde hörbar, verständlich, greifbar. Sie war da. Einfach so. In ihrem So-Sein. Das war die größte Leistung des gestrigen großartigen Abends mit Jordi Savall und seinen Mitmusikern. Es war ein grandioser, stiller und emotionaler Abend.
Der Bär mochte am gestrigen Abend also anderswo gesteppt haben. Unter Umständen in Innsbruck. Ich hatte allerdings nicht das Gefühl etwas verpasst zu haben, nur weil ich nicht mehr oder weniger seicht unterhalten und bespaßt wurde. Ich wurde berührt. Und das ist definitiv viel wichtiger. Ich habe erfahren, wie der Karfreitag zu einem Zeitraum der bewussten Trauer und Spiritualität werden kann. Und das ist unendlich wertvoll.

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

1 Comment

  1. Man stelle sich vor: ich war bei beiden Konzerten, Jordi Savall und Black Lung. Das geht, das eine löscht das andere nicht aus, das eine übertönt das andere nicht. Wie auch. Der Gehalt von Savalls seelenvollem Abend pulverisiert sich in keinster Weise ins Nichts, nur weil man sich zwei Stunden später Rockmusik anhört.
    Übrigens: die Tatsache, dass an einem Karfreitag ein Rockkonzert stattfindet, ist im konkreten Fall in erster Linie dem dichten Tourplan der Band als einer Mutwilligkeit des Veranstalters geschuldet.

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