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Wählen war gestern. Voten Sie!

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Wir haben gewählt. Oder haben wir gevotet?

Das Leben ist manchmal trist oder langweilig, deshalb laufen wir glücklich jeder kleinen Aufregung hinterher. Und manchmal lässt man uns sogar mitbestimmen, welche künstliche Aufregung wir uns für die nächsten fünf Minuten grad wünschen. Das hebt die Einschaltquoten und senkt im Volk die gefährliche Bereitschaft zur Grübelei.

Vote also unbedingt mit, wer es im „Dschungelcamp“ zum König schafft, wer bei „Starmania“ und „Deutschland sucht den Superstar“ ins Finale kommt! Überlege nur das: Wer verspricht mir am meisten Unterhaltung in der nächsten Folge? Wer gebärdet sich am interessantesten? Wer hat ein hübsches Gesicht, das ich in der nächsten Runde wiedersehen möchte? Wer von denen traut sich so ins Rampenlicht, traut sich alles zu, was ich mich nie und nimmer getrauen würde, obwohl diese Person kein bisschen gescheiter ist als ich? Oder vote ich diesmal aus Mitleid für den Ärmsten, der sicher außer von mir keine einzige Stimme bekommt? Schließlich ist ja alles nur Spiel, man muss das nicht ernst nehmen.

Denk nicht an die Regisseure hinter den Sendungen. Die willst du gar nicht kennen. Übergehe die für den einen Kandidaten günstigen, für den anderen tödlichen Kameraeinstellungen und Ausschnitte, YouTube- und TiktoK-Filmchen oder Twittereien, welche festlegen, wer gewinnen und wer nur verlieren kann. Wisse von den Kandidat*innen gerade so viel, wie man dich wissen lassen will. Und dann hänge dich ans Telefon und wähle die entsprechende Durchwahl, setze dein Kreuzchen ins Feld, und freue dich über deine Macht, den einen zu erheben und den anderen niederzumachen. Endlich kannst du es mal allen zeigen!

Und mache es bei politischen Wahlen ebenso. Du kennst das ja inzwischen: Schaue dir die Gesichter im Fernsehen an und entscheide, wer deinem Schönheitsideal am nächsten kommt oder wer dir leidtut. Gehe dem, was die Kandidaten sagen oder tun, nicht zu tief auf den Grund. Denke nicht an kommende Jahre und was dann mit allen Beteiligten und dir selbst sein wird. Denke nur an die nächsten paar lustigen Minuten. Du votest schließlich für die heutige Show, nicht für allfällige Substanz oder irgendeine Zukunft. Allein der Gedanke an sowas würde den schönen Moment, den Unterhaltungswert stören. Und morgen willst du in Ruhe die nächste Staffel genießen und vielleicht ganz anders abstimmen. Immer nur nach dem Kriterium: Lass mich den Alltag vergessen! Für eineinhalb Stunden. Bis zum nächsten Unterhaltungsformat.

Geboren 1954 in Lustenau. Studium der Anglistik und Germanistik in Innsbruck Innsbruck. Lebt in Sistrans. Inzwischen pensionierte Erwachsenenbildnerin. Tätig in der Flüchtlingsbetreuung. Mitglied bei der Grazer Autorinnen und Autorenversammlung Tirol, der IG Autorinnen Autoren Tirol und beim Vorarlberger AutorInnenverband. Bisher 13 Buchveröffentlichungen.

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