(c) Helmuth Schönauer

Interimistisch

3 Minuten Lesedauer

Wer den eingespeicherten Zapp-Pfad verlässt, ist selber schuld, wenn er zwischendurch auf einen bunten Knallkörper stößt, der sich als Nachrichtensendung erweist.

Der Krawallsender „24irgendwas“ erscheint als Multi-Bildschirm, als ob die Sehscheibe als Mosaik in ein Dutzend Splitter zersprungen wäre.

In der Mitte sitzt ein Gesicht mit hellen Haaren. Mehr darf man sich dazu nicht denken, denn das Gedachte würde sofort als sexistisch angeklagt werden.

Tatsächlich soll es rund um diesen Sender allerhand Gerichtsverfahren geben, worin weibliche Sendepersonen den männlichen Herausgeber klagen, wegen Übergriffe und so.

Der Ton ist sehr rau auf dem Sender. Es werden kurze Sätze herumgesprochen, die zudem als gelbes Infoband unten eingeblendet sind.

Nachrichten, Werbung, Anmache und Aufwiegelung wechseln sich ständig ab. Das große Bild in der Mitte dreht sich einmal um sich selber und verschwindet dann als kleines Bild auf der Seite.

Ständig ist der Satz in Umlauf: „Bleiben Sie dran, es geht gleich weiter.“

Der Sender wird von den Konkurrenzsendern gemieden und vom freiwilligen Presserat manchmal gerügt.

Das Sendeprogramm hält sich offensichtlich an das Konzept „verbrannte Erde“. Wer einmal auf Sendung war, ist ein Leben lang als Quelle, Zeuge oder Zusehende denunziert.
Man überlegt es sich dreimal, an diesem Sender anzustreifen. 

Freilich, wenn gerade das Haus abgebrannt ist und und jemand aus dem Arm der Feuerwehr heraus das Mikro entgegenhält, wird niemand umhin kommen, vom Grauen zu sprechen, das hinter diesem Hausbrand steckt.

Manche sagen hinterher, dass das Interview über das abgebrannte Haus sei schlimmer gewesen als der Brand selbst.

Der Sender macht durch die Bank lustlos, man zappt weiter, aber man muss zugeben, dass in dieser kleinen Zapp-Pause eine Menge gesendet worden ist.

Vielleicht ist alles bloß ein Altersproblem.

Der Kanal „24irgendwas“ sendet mit Geifer aus dem Gesicht mit hellen Haaren heraus, dass der seriöse Landessender in Niederösterreich ein Problem mit der Nähe zur Landesregierung habe.

Kein Wunder, wenn nach den Jungen jetzt auch die Alten diesen Einheitsfunk möglichst rasch verlassen wollen.

Doch dann kommt die Zeile, worin steht, dass jemand aus der Zentrale „interimistisch“ das Landesstudio übernehmen wird.

Das Wort „interimistisch“ ist für den Krawallsender eine Herausforderung. Das Gesicht unter den hellen Haaren setzt dreimal an, und murmelt was mit “intistisch“.

Das Gesicht sagt: „Ich kann das Wort nicht aussprechen, weil ich dafür keine Ausbildung habe. Ich habe nämlich die Schule abgebrochen, damit ich zum Sender gehen konnte. – Bleiben Sie dran, gleich geht es weiter.“

STICHPUNKT 23|04, geschrieben am 04.01.2023

Geboren 1953. Ist seit Gerichtsverfahren 1987 gerichtlich anerkannter Schriftsteller, bis 2018 als Bibliothekar an der ULB Tirol. Als Konzept-Schriftsteller hält er sich an die These: Ein guter Autor kennt jeden Leser persönlich.

Etwa 50 Bücher, u.a.:
* BIP | Buch in Pension | Fünf Bände (2020-2024)
* Anmache. Abmache. Geschehnisse aus dem Öffi-Milieu. (2023)
* Austrian Beat 2. [Hg. Schneitter, Schönauer, Pointl] (2023)
* Verhunzungen und Warnungen. | Geschichten, entblätterte Geschichten, verwurstete Geschichten. (2022)
* Outlet | Shortstorys zum Überleben (2021)
* Antriebsloser Frachter vor Norwegen | Austrian Beat (2021)
* Tagebuch eines Bibliothekars | Sechs Bände (2016-2019)

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