(c) Helmuth Schönauer

Nachgeordnete KI

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Am Nachmittag wird in einer entfernten Stadt jemand angelobt, den eine Excel-Datei zum Vorsitzenden gemacht hat. Der Neue soll aus KI-Sätzen bestehen. Die bisherigen Parteimitglieder trauen dem sogenannten Datei-Vorsitzenden nicht übern Weg und treten massenhaft aus.

Aber auch sonst ist KI in Politik und Verwaltung schon weit verbreitet.

„Bald wird der erste Hofrat mit Analphabeten-Status angelobt werden!“ – Die Behörde getraut es sich noch nicht, bei Pressekonferenzen darüber zu sprechen.

– Solange aus unserem Amt noch Minister ernannt werden, ist das Niveau unserer Hofräte in Ordnung, sagt der Pressesprecher, der selbst weder lesen noch schreiben, aber viel mit KI vertuschen kann.

– Aber das beweist doch nur, dass der Analphabetismus bereits in den Ministerien angekommen ist.
Der Journalist jener Zeitung, die wegen zu hohem Niveau letzte Woche eingestellt worden ist, wirkt verzweifelt.

– Aber nein, das ist Fortschritt, sagen Sie mir spontan ein Thema, wo eine KI nicht einen Sachverhalt Fall besser lösen könnte?

– Bei einer Scheidung etwa, wenn die KI die eheliche Verfehlung irrtümlich der Frau zuordnet statt dem Mann?

– Glauben Sie wirklich, dass eine Richterin besser urteilt als eine KI? kontert der Hauptpressesprecher.
Jetzt wird diesem Hauptpressesprecher vom nachgeordneten Pressesprecher sachte seitlich in die Eier getreten: „Geschlechtsneutral, denken Sie daran, wir müssen geschlechtsneutral sein!“

Der Hauptpressesprecher jault auf, nicht wegen der leicht eingedellten Eier, sondern weil es ein nachgeordnetes Wesen gewagt hat, ihn auf offener Bühne zu kritisieren.

– Das wird ein Nachspiel haben, sagt er zum Nachgeordneten und an die Presse gewandt sagt er feist: Da sehen Sie es, das wäre nicht passiert, wenn ich eine anerkannte KI wäre.

Damit ist die Luft heraußen aus der Pressekonferenz, die anwesenden Journalisten packen ihre Displays ein.

Längst ist der Mitschnitt des seltsamen Beamtenauftritts an die Cloud-Server übermittelt und mit KI bereits in Text umgewandelt und auf die Webseite gestellt.

Interessant ist jeweils die Überschrift, unter der diese belanglose Nachricht ins Netz gestellt ist.

* Analphabeten-Hofräte im Vormarsch!
* Tritt in die Eier auf offener Bühne
* Letzter Journalist mit journalistischem Studium vom amtlichen Pressesprecher gedemütigt
* Keine Chance gegen KI

Als die Journalisten das Pressegebäude verlassen, macht es einen Riesen-Tusch, – ein Motorrad ist in ein Auto gekracht.

Sofort werfen alle ihre KI-Displays an, um die Unfallnachricht zu versenden.

Die KI freilich ist noch nicht auf Unfall kalibriert, so dass ihr kleine Fehler passieren, die freilich das große Unfallgeschehen nicht schmälern.

Eine KI schreibt: 
An der Wirbelsäule entstand Totalschaden, die beiden Kotflügel wurden ins Bezirkskrankenhaus gebracht.

Eine andere: 
Die Einsatzkräfte waren rechtzeitig am Ort, aber der Verstorbene hat den Unfall zu früh ausgelöst, sodass dann doch wieder jede Hilfe zu spät kam.

STICHPUNKT 23|55, geschrieben am 13. Juni 2023

Geboren 1953. Ist seit Gerichtsverfahren 1987 gerichtlich anerkannter Schriftsteller, bis 2018 als Bibliothekar an der ULB Tirol. Als Konzept-Schriftsteller hält er sich an die These: Ein guter Autor kennt jeden Leser persönlich.

Etwa 50 Bücher, u.a.:
* BIP | Buch in Pension | Fünf Bände (2020-2024)
* Anmache. Abmache. Geschehnisse aus dem Öffi-Milieu. (2023)
* Austrian Beat 2. [Hg. Schneitter, Schönauer, Pointl] (2023)
* Verhunzungen und Warnungen. | Geschichten, entblätterte Geschichten, verwurstete Geschichten. (2022)
* Outlet | Shortstorys zum Überleben (2021)
* Antriebsloser Frachter vor Norwegen | Austrian Beat (2021)
* Tagebuch eines Bibliothekars | Sechs Bände (2016-2019)

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