Kaschmir kennen viele Menschen hauptsächlich als edlen Pullover in der Kaufhaus-Vitrine. Dabei beschäftigt die gleichnamige Himalaya-Region die internationale Politik seit Jahrzehnten mit einem ungelösten Konflikt zwischen den beiden Atommächten Indien und Pakistan. Seit Ausbruch der Coronapandemie ist es um den Konflikt still geworden. Dabei hat der indische Teil der Kaschmir-Region seit Pandemie-Ausbruch eine nie dagewesene Welle der Gewalt erlebt. Es ist ein Problem auf zwei Ebenen: Ein nach wie vor ungelöster, außenpolitischer Konflikt zwischen Indien und Pakistan und ein innenpolitisches Problem mit zunehmender Radikalisierung junger Menschen im indischen Teil der Region Kaschmir. Mehr als 40.000 Todesopfer hat der Konflikt seit 1947 gefordert. In der Region Kaschmir leben mittlerweile fast 18 Millionen Einwohner.
Wie ist der Kaschmir-Konflikt entstanden?
Am 14. und 15.August 1947 hat Großbritannien zunächst Pakistan und dann Indien in die Unabhängigkeit entlassen. Britisch-Indien wurde zwischen dem muslimischen Pakistan und dem hinduistischen Indien aufgeteilt. Äußerst schwierig gestaltete sich die Situation im unabhängigen Fürstenstaat Kaschmir. Hier herrschte ein Hindufürst über eine große Mehrheit an muslimischen Untertanen (85 % Muslime). Der Fürst von Kaschmir erbat zunächst Bedenkzeit. Pakistan entschied jedoch kurzerhand, dem Fürsten die Bedenkzeit abzukürzen und schickte am 22. Oktober 1947 erste Truppen los. Als die pakistanischen Truppen der Hauptstadt von Jammu und Kaschmir immer näher rückten, bat der Fürst Indien um Hilfe. Indien wollte nur eingreifen, wenn der Fürst den Anschluss Kaschmirs an Indien bekanntgeben würde. Der Fürst verkündete den Anschluss, Indien schickte am 27. Oktober 1947 seine Truppen los und konnte einen raschen Sieg gegen Pakistan erringen.
Der Kaschmir-Konflikt – 73 Jahre ungelöst!
Durch den Konflikt verlor der vorherige Fürstenstaat Jammu und Kaschmir seine Unabhängigkeit. Er wurde entlang der Truppenlinie bzw. der Waffenstillstandslinie zwischen Indien und Pakistan „aufgeteilt“. Seither hält Indien die Kontrolle über die Provinz „Jammu und Kaschmir“ (ca. 12,5 Mio. Einwohner und 101.387 km² Fläche). Pakistan hält die Kontrolle über die „Northern Areas“, auch „Gilgit-Baltistan“ genannt (ca. 1,3 Mio. Einwohner und 69.971 km² Fläche) und über die Provinz „Azad Kaschmir“ (ca. 4 Mio. Einwohner und 13.297 km² Fläche). Der erste Kaschmirkrieg forderte über 3000 Todesopfer und zerstörte die Beziehungen zwischen Indien und Pakistan nachhaltig. Bis heute ist der Konflikt nicht beigelegt und führt immer wieder dazu, dass sich die Stimmung zwischen den Atommächten Indien und Pakistan gefährlich aufheizt. Der Kaschmir-Konflikt ist einer der am längsten schwelenden und immer noch ungelösten Konflikte der internationalen Beziehungen.

Der Kampf um Kaschmir – eine religiöse Frage?
Pakistan hat oft versucht den Kaschmir-Konflikt zum Glaubenskrieg hochzustilisieren. Andere Fürstenstaaten mit muslimischer Mehrheit hat man aber kampflos den Indern überlassen. Was also macht Kaschmir so besonders für Pakistan? Pakistan sah die große Chance, mithilfe von Kaschmir den Machtunterschied zu Indien auszugleichen. Neben der militärstrategisch wichtigen Lage zwischen China, Afghanistan und der UDSSR war Kaschmir ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Es ist das letzte Eck Pakistans, das gerade noch in das asiatische Monsungebiet hineinragt. In einem von Trockenheit dominierten Land wie Pakistan hat fruchtbares Land einen hohen Stellenwert. Viel wichtiger als landwirtschaftliche Faktoren wog aber die Chance, große Wasserkraftwerke an den Flüssen in Kaschmir zu errichten und mit Strom aus Wasserkraft einen schnellen technologischen Fortschritt zu erzielen. Der Kaschmir-Konflikt war so gesehen ein früher Kampf ums Wasser!
Der Konflikt und die Bündnisse:
Nach der Niederlage im ersten Kaschmirkrieg, versuchte Pakistan wichtige Bündnispartner auf seine Seite zu ziehen, um so das Machtungleichgewicht zu Indien auszugleichen. 1954 gründete Pakistan gemeinsam mit Australien, Frankreich, Großbritannien, Neuseeland, USA, Pakistan, Philippinen und Thailand die SEATO (South East Asian Treaty Organization). Nur ein Jahr später trat man dem Bagdad-Pakt mit dem Iran, dem Irak, Großbritannien und der Türkei bei. Indien musste nachlegen und konnte sich im Klima des Ost-West Konflikts nicht mehr dem Westen anschließen. Indien verbesserte die Beziehungen zur UDSSR und versuchte zusätzlich auch China ins Boot zu holen. Man war der Ansicht, dass die zwei bevölkerungsreichsten Länder Asiens Hand in Hand gehen müssten. In China teilte man diese Meinung nicht, schließlich hatte es China auf die Region Aksai Chin im Osten von Jammu und Kaschmir abgesehen. 1962 kam es zum Grenzkrieg zwischen Indien und China, in dem China ein relativ rascher Sieg gelang und seither die Region Aksai Chin kontrolliert. Pakistan wusste sich diesen Konflikt zu Nutze zu machen. Man schloss ein Abkommen mit China und trat ihnen ein 50 km breites und 180 km langes Gebiet im Norden des Karakorumgebirges ab. Durch diesen klugen Schachzug konnte Pakistan die Beziehungen zu China schlagartig aufbessern und das, obwohl Pakistan Mitglied in antikommunistischen Bündnissen war.
In Teil II werden aktuelle Entwicklungen im Kaschmir-Konflikt näher beleuchtet und das innenpolitische Problem Indiens mit Rebellen und Terrorismus diskutiert.
Informationsquellen:
Rothermund, Dietmar (2002): Krisenherd Kaschmir. Der Konflikt der Atommächte Indien und Pakistan, Originalausgabe, München: Verlag C.H.Beck
Schofield, Victoria (2003): Kashmir in Conflict. India, Pakistan and the
Unending War, London: I.B.Tauris &Co Ltd
Wagner, Christian (2010): Der Kaschmirkonflikt. In: WeltTrends – Zeitschrift für internationale Politik, Nr. 74, S. 31-40.