Der Weg zurück

1. Juni 2020
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Photo by Jose M. on Unsplash

Die nun in Aussicht gestellte „Rückkehr zur alten Normalität“ lässt unsere Herzen höher schlagen. Wie das sehnsüchtig beschworene „Goldene Zeitalter“, die „gute alte Zeit“ bedient sie einen wirkmächtigen Topos. Er verklärt eine Vergangenheit, mit der jeder etwas verbinden kann, je nach Gemütslage und Parteizugehörigkeit sogar sehr Verschiedenes.  So erschienen manchen die guten alten Zeiten mit streng bewachten Staatsgrenzen bis vor Kurzem noch erstrebenswert. In letzter Zeit hat diese Vorstellung allerdings ein wenig an der Realität Schaden gelitten. Jetzt wünschen sich dieselben die Rückkehr zu den guten alten Zeiten eines offenen Schengenraums.

Für manche war das Goldene Zeitalter jenes, in dem das blonde Frauchen mit Dreigangmenü und Lächeln sehnsüchtig auf den geliebten Gatten wartete, der müde von den Überstunden heimkehrte und ihr dafür einen kleinen Teil seines Lohns in Form von Haushaltsgeld überließ. Die Frauen fanden das dann auf Dauer nicht so toll. Jetzt träumen sich manche wenigstens zurück in die etwas neuere alte Normalität, in der die Frau das in Corona-Zeiten bedrohlich geschrumpfte Haushaltseinkommen aufbesserte und dann – halt leider müde und vielleicht nicht mehr lächelnd – abends die Familie bekochte, schreiende Kinder beruhigte, zusammenräumte. Dennoch haben auch manche Männer aufgrund eigener Erfahrung inzwischen eingesehen, dass diese alte Normalität möglicherweise auch nicht wirklich für alle befriedigend war.

Also wohin sollen wir zurückwollen? Trump verspricht „Make America great again!“  Welches Amerika meint er? Das der Kriege der Siedler gegen die Ureinwohner? Das der Sklavenhalter? Das der 20-er Jahre, als massenhaft arme Einwanderer ein paar Mafiosi reich machten, oder die 50-er, als man die armen Kriegsmigranten ausbeuten konnte und ein paar wenige, wie Trumps Vater, im Boom nach den Kriegseinbrüchen stinkreich wurden? Wie wird wohl das Zurück ins Goldene Zeitalter Großbritanniens verlaufen, wo mit dem Brexit die Wiederauferstehung eines ehemaligen Weltreiches erträumt wird? Immer blicken alle sehnsüchtig irgendwohin zurück. Davor wurde schon Lot von einem wohlmeinenden Engel gewarnt. Wie diese Geschichte ausging, wissen wir. 

Bei uns wurde jahrelang das Mantra ausgegeben, dass sich Leistung wieder lohnen soll. Hat sie sich denn jemals gelohnt? Die Politik jener, die das am lautesten bewarben, hat es wohl nicht wirklich gebracht.

Deren alte Normalität, zu der wir jetzt womöglich zurückkehren sollen, beinhaltet, dass ein OMV-CEO das 57fache des Durchschnittsverdieners kassiert, obwohl er auch nicht mehr als 20 Stunden am Tag arbeiten kann — gleich wie die alleinerziehende Mutter, die für Mindestlohn nächtens noch putzen geht. Wollen wir jetzt dahin zurück? Wollen wir zurück in die Normalität, dass Frauen 2/ 3 aller Arbeit machen und dafür 20% weniger bezahlt kriegen? In die Normalität, in welcher der eine eine Millionenabfindung und eine alle Vorstellungen übersteigende Pension bekommt, während ein anderer, der auch immer viel geleistet hat, in der Pension unter die Armutsgrenze fällt? Und wollen wir wirklich zurück in die alte Normalität, in der wir unsere Ressourcen so ausgebeutet haben, dass für unsere Kinder kein gutes Leben mehr übrigbleiben wird? Man könnte die Liste endlos fortsetzen. Das Fazit ist immer dasselbe:

Die Goldenen Zeitalter waren immer nur für sehr wenige vergoldet. Die alte Normalität war in vielem total verrückt. Also ich, ich will dahin nicht zurück.

Nachsatz: Wohin es stattdessen vorwärts gehen könnte, erfährt man derzeit interessanterweise nicht von unseren Politikern oder Wirtschaftsbossen, sondern viel deutlicher in Leserbriefen und Diskutiersendungen, in denen sich einmal nicht die Lobbyisten und Parteianhänger aller Couleurs, sondern unabhängig mitdenkende Bürger zu Wort melden: Sehr empfehlenswert z.B. die Podcasts zur Sendung  Punkt Eins auf OE1 der vergangenen Woche!

Geboren 1954 in Lustenau. Studium der Anglistik und Germanistik in Innsbruck Innsbruck. Lebt in Sistrans. Inzwischen pensionierte Erwachsenenbildnerin. Tätig in der Flüchtlingsbetreuung. Mitglied bei der Grazer Autorinnen und Autorenversammlung Tirol, der IG Autorinnen Autoren Tirol und beim Vorarlberger AutorInnenverband. Bisher 13 Buchveröffentlichungen.

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