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Es brennt!

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In fünf Jahren Arbeit mit Geflüchteten hat mich eines an diesen Menschen immer wieder beeindruckt: Ihre Langmut und Leidensfähigkeit. Ihre Geduld mit uns und unserer Bürokratie, die in mir und vielen Helfern immer wieder Scham und Zorn aufsteigen ließ. Mit dem Brand in Moria sind dieser Zorn und diese Scham von neuem entflammt.

Das also ist unsere sogenannte neue Politik: Erst quälen wir Menschen so lange, bis sie es nicht mehr ertragen und ihr grauenhaft übervölkertes Gefängnis aus Verzweiflung anzünden, um sich aus dem Vergessen-Werden zu befreien, zu sterben oder – vergebliche Hoffnung! – um endlich freizukommen. Das erinnert an den Prager Studenten Jan Palach, der sich durch öffentliche Selbstverbrennung gegen die kommunistische Diktatur in der ehemaligen Tschechoslowakei auflehnte. Es erinnert an brennende Gefängnisse in diktatorischen Regimen. Und es erinnert an die Ärmsten der Armen, die den Arabischen Frühling auslösten, indem sie sich aus hoffnungsloser Verzweiflung selbst verbrannten. Wir haben sie alle als Helden der Freiheit gefeiert. Zwar haben die Diktatoren diese Verzweiflungstaten zu allen Zeiten zu ignorieren versucht und die darauf folgenden Volksaufstände niedergeschlagen. Im Iran ließen sie gerade eine inhaftierte Anwältin im Hungerstreik sterben. So macht man das. Es könnte ja jeder kommen und sich durch Selbstbeschädigung gegen die von oben verordnete Quälerei auflehnen und nach dem Mitleid der Massen heischen! Weder das tapfere Hinnehmen einer unannehmbaren Situation noch die Auflehnung dagegen wird dir helfen, ist die Botschaft.  Und wehe, du beschädigst nicht nur dich selbst, sondern auch noch Häuser, Autos, andere Menschen, um auf deine Verzweiflung aufmerksam zu machen! Dann bist du ein Terrorist und wir werden an dir ein Exempel statuieren, dass wir solche in unseren Reihen nicht dulden. So argumentieren Diktatoren weltweit.

Und nun treten ein ganz und gar christlicher, österreichischer Außenminister und sein Kanzler vor die Kameras und erklären, man dürfe dem Druck der Verzweiflung in Moria keinesfalls nachgeben, denn das würde nur zu Nachahmungseffekten ungeahnten Ausmaßes führen und die Geflüchteten anderswo auf unselige Ideen bringen! Man könne doch nicht einfach sich selbst oder sein Quartier abbrennen und dann auch noch Hilfe erwarten!  Man lasse sich von illegalem Druck und solcher Mitleidsmasche nicht erpressen! Wir sind schließlich ein Rechtsstaat! Alle, die uns nicht ins Konzept passen, sind illegal und gehören eingesperrt!  
Haben wir nicht genau dieselben Argumente von den Unrechtsherrschern immer gehört? Was ist das für ein Rechtsstaat, der Menschen über Jahre hinweg ihre Rechte verweigert und ihnen, wenn sie diese einfordern und gleichzeitig die Rechte der anderen achten (d.h. nicht zu Verbrechern werden) wollen, nur das Mittel der Selbstbeschädigung lässt? Druck gebiert bekanntlich Aggression. Unrecht gebiert Unrecht. Und es ist in meinen Augen ein wahres Wunder, dass diese Menschen in ihrer Engelsgeduld nicht schon längst das ganze christliche Abendland, sondern lieber sich selbst anzünden. Wären sie katholisch und würde es ihnen etwas nützen, müsste der Vatikan sie allesamt zu Heiligen erklären, wenn sie so als Märtyrer der Weltgeschichte immer noch die zweite Wange hinhalten, während wir guten Christen ihnen täglich neue rechtsstaatliche Watschen austeilen.

P.S.: Österreich schickt jetzt als Hilfe – mitsamt Innenminister und einer österreichischen Fahne – großartig Zelte. Glaubt denn einer, dass die Leute glücklich ins staatliche Konzentrationslager zurückkehren werden, wenn das nur schön neu und beheizt ist? Diese Menschen suchen Freiheit und eine Heimat, in der sie sich ein neues Leben aufbauen können, nicht ein neues Zelt in einem neuen Gefängnis.

Geboren 1954 in Lustenau. Studium der Anglistik und Germanistik in Innsbruck Innsbruck. Lebt in Sistrans. Inzwischen pensionierte Erwachsenenbildnerin. Tätig in der Flüchtlingsbetreuung. Mitglied bei der Grazer Autorinnen und Autorenversammlung Tirol, der IG Autorinnen Autoren Tirol und beim Vorarlberger AutorInnenverband. Bisher 13 Buchveröffentlichungen.

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