(c) Helmuth Schönauer

Sag Panzer zu mir!

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Die Geschichtsschreibung lebt davon, dass man für eine gewisse Zeit ein sogenanntes Schlüsselwort verwenden kann, an dem sich dann die ganze Chose einer Epoche wunderbar auffädeln lässt.
Das Schlüsselwort der letzten siebzig Jahre heißt eindeutig „Auto“. Vom Autismus bis zur Autobombe lässt sich alles mit diesem Begriff darstellen. Selbst wenn man die Meta-Ebene „Selbst“ für Auto einführt, passt alles wunderbar, vom Selfie bis zur Selbstverwirklichung ist alles ein Auto.
Nun ist aber auch das Kerngeschäft des Autos eine historisch interessante Sache. Als noch im alten Jahrhundert der EU-Beitritt Österreichs zur Debatte stand, gab es den schönen Satz: „Das Dritte Reich ist in Gestalt der EU Fleisch geworden.“
Heute würde man für so einen Satz wegen Volksverhetzung geklagt, denn längst hat die EU Züge einer Monarchie angenommen, und alles, was vor ihr nicht in die Knie geht, ist Majestätsbeleidigung und wird unter dem Terminus „Brüssel-Brüskierung“ verfolgt.
Vom Weltall aus etwas schlampig beobachtet könnte man freilich zum Schluss kommen, dass das Dritte Reich tatsächlich wieder am ganzen Kontinent unterwegs ist. Dieses mal macht man es freilich klüger, und gibt jedem einen Privatpanzer in die Hand, mit dem er auf eigene Faust den Kontinent erobern soll.
So ereignen sich die Panzerschlachten der Gegenwart auf den Autobahnen und an diversen Checkpoints. Statt der Wehrmacht gibt der Automobilclub wertvolle Tipps, wie man über ein fremdes Land herfallen könnte.
Sag Panzer zu mir! – Und schon erklärt sich die Autowelt wie von selbst.
Der Zweck des ganzen ist ähnlich sinnlos wie damals in den schwarz-weißen Vierziger Jahren. Es geht um Raumgewinn und fahren-fahren-fahren. Man ist erst dort, wenn einem der Sprit ausgeht oder die Küste zu steil abfällt, als dass man weiterfahren könnte.
Als patriotischster Panzerfahrer gilt übrigens Michail Iljitsch Koschkin, der in den 1930ern seinen T 34 persönlich durch die halbe Sowjetunion gefahren hat, um ihn Stalin vorzustellen. Der heldenhafte Konstrukteur starb anschließend an einer Lungenentzündung, weil er vergessen hatte, im Panzer eine Heizung einzubauen.
Das kann im modernen Panzer nicht mehr passieren. Jahrzehntelang hat man ihn eher klein und hässlich gebaut, damit das große Unternehmen nicht durch Konnotation eines Panzers voreilig auffliegt.
Aber mittlerweile sagt man ganz offen Panzer zu den SUV, was erst deren Beliebtheit erklärt. Neben dem eleganten Einstieg, der eher an einen Hochsitz oder einen Führerstand erinnert, ist es vor allem die kontinentale Aussicht, die gerade ältere Kohorten noch einmal auf die Straße treibt, um das zu erleben, was ihnen in der Vergangenheit untersagt worden ist. Nämlich auf jedem Flecken Erde dieser Welt aufzutauchen und ihn in Besitz zu nehmen, wenn auch nur in Gestalt eines Aufenthalts in einer Kurzparkzone.
Gerade war die Stimmung ein wenig am Kippen, als die Friday-Future-Kids einen etwas verhalteneren Blick auf die Panzer vorgeschlagen haben. Aber jetzt, im Zeitalter der Pandemie, sitzen selbst die Kids wieder gerne in der abgeschlossenen Kabine und lassen sich auf den Hauptplatz fahren, wo sie endlich die Maske abnehmen und die Sau herauslassen können.
Nur die Heldenfriedhöfe haben sich ein wenig verändert, statt des Stahlhelms am Grabstein tragen die meisten heute die Silhouette eines SUV eingraviert auf der Urne, wenn sie den letzten Weg (zu Fuß?) angetreten haben. 

Geboren 1953. Ist seit Gerichtsverfahren 1987 gerichtlich anerkannter Schriftsteller, bis 2018 als Bibliothekar an der ULB Tirol. Als Konzept-Schriftsteller hält er sich an die These: Ein guter Autor kennt jeden Leser persönlich.

Etwa 50 Bücher, u.a.:
* BIP | Buch in Pension | Fünf Bände (2020-2024)
* Anmache. Abmache. Geschehnisse aus dem Öffi-Milieu. (2023)
* Austrian Beat 2. [Hg. Schneitter, Schönauer, Pointl] (2023)
* Verhunzungen und Warnungen. | Geschichten, entblätterte Geschichten, verwurstete Geschichten. (2022)
* Outlet | Shortstorys zum Überleben (2021)
* Antriebsloser Frachter vor Norwegen | Austrian Beat (2021)
* Tagebuch eines Bibliothekars | Sechs Bände (2016-2019)

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