(c) Helmuth Schönauer

Hallo Schäfinnen und Schafe, ich bins, der Leithammel

3 Minuten Lesedauer

Von Zeit zu Zeit wirft die People-Partei den Journalisten einen Wort-Happen zu, auf den sich die schreibende Meute tapfer stürzt, um endlich von seichten Themen ablassen zu können, wie etwa der Ohrengröße eines ehemaliger Bundeskanzlers. 

Bevor man über die Ohren der Vergangenheit spricht, ist es wirklich besser, über einen diffusen Begriff in der Gegenwart zu sprechen.

Das magische Ablenkwort heißt „Leitkultur“.

Lässt man sich Synonyme zuraunen, so kann man neue Wörter mit Kultur bilden.
Aus Leitkultur wird dann Führer-Kultur, Kontroll-Kultur, Lenk-Kultur, Manöver-Kultur, Regierungs-Kultur, Steuer-Kultur.

Alles fein nachgebildet zu den vorgeschlagenen Wörtern „führen · kontrollieren · leiten · lenken · manövrieren · regieren · steuern“.

Während sich die Diskussion also um abstrakte Begriffe dreht, kommt niemand auf die Idee, die bereits installierte Leit-Kultur zu würdigen.

Manchmal ist etwas leichter getan als gesagt: 
Die Leitkultur wird schon seit Jahrzehnten als ORF gesendet und nach-gelebt.

Warum sollte der ORF nämlich sonst als Zwangsgebührensender installiert sein, wenn er nicht der geheime Leithammel für das Zusammenleben im Land wäre? 

Die Leitkultur betrifft also nicht nur die frisch Zugezogenen, sondern auch die sogenannte Natives.

Alle müssen bloß in der Woche hundert Stunden „Radio Tirol“ hören, und schon sind alle gegenseitig integriert, weil sie ja dem gleichen Leitbild lauschen.

So eine Lektion ist humorvoll und überschaubar aufgebaut.

Ein gewisser Harry erzählt Witze am laufenden Band und stellt dabei die interessantesten Hütten vor.
Ein gewisser Fanzl Posch taucht aus dem nächstbesten Gully auf und spielt die schönste Weis.

Dann taucht er kurz ab, wird Ehrenbürger einer Blechpressfirma und spielt aus dem nächsten Abflussrohr heraus weiter.

In den Stau-Reportagen alle halbe Stunde werden die einzelnen Kreisverkehre persönlich vorgestellt, wodurch wir alle die Heimat im Schritttempo kennenlernen.

Eine sogenannte „Wetter-Tussy“ kleidet die Wetterlage, die wir alle am Handy haben, mit schönen Bildern aus der Kindheit aus. „Heute ist Erstkommunion und das Wetter ist weiß und passt dazu!“

Etwas später gibt es die Vormittagsumfrage.
Heute fragt „Herr Tussy“ die Menschen auf dem Hauptplatz danach, wie man eine Semmel isst.
Häufigste Antworten: Als Ganzes, quer geschnitten, mit herausgebrochenen Zehen.

Sage noch jemand, dass das nicht integrativ ist für die Leitkultur, die uns alle herzlich zusammenwachsen lässt.

Manchmal rutscht hinter dem Staatsfunk ein Bild aus Sibirien durch. Dort musste jahrelang Alexei Nawalny in seiner Zelle ein Putin-Porträt ertragen, das ihn an allen vier Wänden in Augenhöhe beglotzte.

Natürlich wäre der Vergleich mit dem Zwangsfunk in den eigenen vier Wänden etwas überhöht, aber der Zweck wäre der gleiche: Die herrschende Leitkultur muss den Delinquenten bis aufs Blut in die Adern hinein-gepeinigt werden!

STICHPUNKT 24|32, geschrieben am 11.04. 2024

Geboren 1953. Ist seit Gerichtsverfahren 1987 gerichtlich anerkannter Schriftsteller, bis 2018 als Bibliothekar an der ULB Tirol. Als Konzept-Schriftsteller hält er sich an die These: Ein guter Autor kennt jeden Leser persönlich.

Etwa 50 Bücher, u.a.:
* BIP | Buch in Pension | Fünf Bände (2020-2024)
* Anmache. Abmache. Geschehnisse aus dem Öffi-Milieu. (2023)
* Austrian Beat 2. [Hg. Schneitter, Schönauer, Pointl] (2023)
* Verhunzungen und Warnungen. | Geschichten, entblätterte Geschichten, verwurstete Geschichten. (2022)
* Outlet | Shortstorys zum Überleben (2021)
* Antriebsloser Frachter vor Norwegen | Austrian Beat (2021)
* Tagebuch eines Bibliothekars | Sechs Bände (2016-2019)

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