(c) Helmuth Schönauer

Lebensmittelechte Fahne

4 Minuten Lesedauer

1.
Staatsbesuche sind beim Zuschauen unerträglich fad, weshalb man sich bei der Übertragung oft mit einem Symbolbild hilft.

Darauf ist dann aus großer Entfernung eine Person zu sehen, wie sie mit einem Geschenk in der Hand sich die Gangway hinunter hantelt in ständiger Sturzgefahr.

Dieser Gangway-Parcours gilt als diskreter Alko-Test, ob der Staatsgast noch halbwegs bei Sinnen ist. Freilich sind die verbrauchten Typen oft in einem Alter, wo sie betrunken wirken, auch wenn sie nichts getrunken haben.

Dieser Tage ist der deutsche Bundespräsident in der Türkei zu einem Staatsbesuch gelandet und hat mit schlafwandlerischer Sicherheit die Gangway überwunden.

Sein Geschenk freilich war von so großer Extravaganz, dass sich alle Kameras sofort darauf gestürzt haben: Der deutsche Bundespräsident bringt einen gefrorenen Döner aus Berlin zurück in die Türkei!

In den Kommentaren wurde dieses Döner-Präsent auch klug kommentiert. Beim Döner handle es sich einerseits um ein Symbol gelungener Einwegintegration, zum anderen handle es sich dabei um eine Art „lebensmittelechte Fahne“, vor der man zuerst salutieren kann, um sie später zu verzehren.

Tatsächlich soll der Spieß noch am Flughafengelände verzehrt worden sein. Eine Schlagzeile lautet dann auch sehr treffend: „Staatsoberhaupt dreht Spieß um.“

2.
Die Idee einer verzehrbaren, lebensmittelechten Fahne steht auch im Mittelpunkt des „landesüblichen Empfangs“, wenn ein hohes Tier am Innsbrucker Flughafen die Gangway hinunter navigiert.

Meist sind es Sportler, die irgendwo was Leichtes gewonnen haben und deshalb mit einer schwer verdaulichen Fahne empfangen werden.

Standesgemäß gibt es daher „Alpen-Döner“ in Gestalt von heimisch geräuchertem Speck aus dänischen Schweinen.

Damit die landesübliche Salutier-Speise wenigstens während des Empfangs „im Magen unten bleibt“, muss sie mit einem Stamperl kleingehalten werden.

Die Sportler sind davon meist so geschafft, dass sie oft in die Medaillen und Kekse beißen, die sie bei ihren Sportwettkämpfen gewonnen haben.

3.
Seit sich in der Szene herumgesprochen hat, wie schwer verdaulich der zugekaufte Tiroler Speck aus importierten Schweinen ist, drehen gewiefte Staatsgäste nach der Landung den Spieß um, und bringen die Fress-Fahne gleich selber mit.

Wenn sie dann ins Kauen kommen und das Stamperl schütten, ist es für niemanden mehr festzustellen, was der Ehrengast da beim Empfang gegessen hat.

Manche sollen unverblümt Cannabis kauen, wenn sie aus einem aufgeschlossenen Gebiet kommen.

Der Landesregierung macht freilich noch eine andere Unsitte unter den Ehrengästen Sorge. Immer öfter sind diese nämlich vegan und pfeifen auf den Tiroler Speck, den man in den Landesfarben drapiert hat.

Mit Argusaugen hat man daher den Auftritt des deutschen Bundespräsidenten in der Türkei beobachtet.

Nachdem sein Staats-Döner so multi-kulti-gut angekommen ist, erwägt man auch in Tirol, Ehrengäste mit einem passablen Spieß zu empfangen.

4.
Wie kalt ein Land wirkt, wenn es nicht ordnungsgemäß empfängt, kann man an den Lande-Bildern des Immo-Moguls ablesen, als dieser mit hochgestecktem Kragen wortlos vom Privatjet über das Flugfeld zum Van mit abgedunkelten Scheiben rennen muss.

So kalt darf niemand empfangen werden, auch wenn er vielleicht deshalb auf das Bezahlen der Landegebühren vergisst!

Definition lebensmittelecht
Materialien, die zur Produktion oder Verpackung von Lebensmitteln eingesetzt werden, unterliegen besonderen Anforderungen. Sie müssen ungiftig sein und dürfen weder Geschmack noch Geruch der Lebensmittel, mit denen sie in Kontakt treten, verändern. Materialien, die diese Kriterien erfüllen, nennt man lebensmittelecht.

STICHPUNKT 24|36, geschrieben am 27.04.2024

Geboren 1953. Ist seit Gerichtsverfahren 1987 gerichtlich anerkannter Schriftsteller, bis 2018 als Bibliothekar an der ULB Tirol. Als Konzept-Schriftsteller hält er sich an die These: Ein guter Autor kennt jeden Leser persönlich.

Etwa 50 Bücher, u.a.:
* BIP | Buch in Pension | Fünf Bände (2020-2024)
* Anmache. Abmache. Geschehnisse aus dem Öffi-Milieu. (2023)
* Austrian Beat 2. [Hg. Schneitter, Schönauer, Pointl] (2023)
* Verhunzungen und Warnungen. | Geschichten, entblätterte Geschichten, verwurstete Geschichten. (2022)
* Outlet | Shortstorys zum Überleben (2021)
* Antriebsloser Frachter vor Norwegen | Austrian Beat (2021)
* Tagebuch eines Bibliothekars | Sechs Bände (2016-2019)

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.