(c) Helmuth Schönauer

Seichtes am Fluss 

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Als Kinder nannten wir unsere Stadt Brunzbruck, weil man uns erklärt hatte, dass flussaufwärts die Menschen in den Fluss brunzten, um uns zu erfreuen.

Wir unserseits sollten wiederum in den Fluss hineinmachen, damit die Menschen flussabwärts etwas zu lachen hätten und sich an unseren Ergüssen erfreuen könnten.

Als wir später einmal unsere Vorfahren im Geschichtsunterricht durchnahmen, kam die große Resilienz unserer Ahnen gegenüber politischen Verführern zur Sprache.

Wir wuschen unsere Mitverantwortung an der desaströsen Geschichte des letzten Jahrhunderts mit Schiffe frei, indem wir behaupteten, unsere Ahnen hätten schon immer in den Fluss gebrunzt, der später durch Braunau rinnt, um die Verachtung gegenüber dem braunen Schnauzer aus Braunau kundzutun.

„Tagelang saßen die Ahnen über den Ufersteinen des Inn und machten hinein, was sie konnten, um den Widerwillen loszuwerden.“

Vom Oberlauf des Flusses soll neben der Brunze immer wieder auch Asche mitgekommen sein, wenn wieder einmal ein Dorf abgebrannt ist. Vor allem im Engadin brannte es ununterbrochen, weil die rätische Baukultur zwar sehr schön ist, aber sich gegen das Feuer nicht wehren kann.

Eng gebaut genügte ein Funkenflug, um etwa ein Dorf wie Zernez auszulöschen.

In Wirklichkeit baute man so eng, damit man nichts miteinander reden musste. Wer eng gebaut hat, kann wortlos mit den Nachbarn Sex machen wie unter einem einzigen Dach, und braucht nichts zu reden.

Auch verhielt man sich im Innern der Häuser aus Sicht der damaligen Zeit äußerst gewaltfrei, um die Gebäude nicht zu beschädigen.

Für einen Gewaltausbruch ging man klugerweise ins Freie und machte bei dieser Gelegenheit in den Inn hinein. Dieser war oft ein kleineres Rinnsal als jenes, das man als Brunze mit Furor aus der Blase presste.

Wir in Brunzbruck atmeten folglich die freie Gewalt der Engadiner ein und sublimierten sie in politische Kraft, die wir in Form von Schiffe dem Fluss zurückgaben, um den Diktator in Braunau zu kränken. 

(Er war zwar noch ein Kind, als er am Ufer saß, aber schon fuchsteufelswild, wenn er die Ausscheidungen unserer Vorfahren vorbeifließen sah.) 

Die Braunauer insgesamt, wenn sie unsere Ausscheidungen sehen, sollen noch heute auf uns im Herz der Alpen Wohnenden angefressen sein, was zeigt, dass unser Widerstand wirkt.

STICHPUNKT 23|37, geschrieben am 17.04.2023

Geboren 1953. Ist seit Gerichtsverfahren 1987 gerichtlich anerkannter Schriftsteller, bis 2018 als Bibliothekar an der ULB Tirol. Als Konzept-Schriftsteller hält er sich an die These: Ein guter Autor kennt jeden Leser persönlich.

Etwa 50 Bücher, u.a.:
* BIP | Buch in Pension | Fünf Bände (2020-2024)
* Anmache. Abmache. Geschehnisse aus dem Öffi-Milieu. (2023)
* Austrian Beat 2. [Hg. Schneitter, Schönauer, Pointl] (2023)
* Verhunzungen und Warnungen. | Geschichten, entblätterte Geschichten, verwurstete Geschichten. (2022)
* Outlet | Shortstorys zum Überleben (2021)
* Antriebsloser Frachter vor Norwegen | Austrian Beat (2021)
* Tagebuch eines Bibliothekars | Sechs Bände (2016-2019)

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