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Hinsehen? Wegschauen?

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Es vergeht einem Hören und Sehen über der Bilderflut menschlicher Grausamkeiten.

Allüberall Bilder und Videos von Verzweifelten, Verletzten, Getöteten. Iraker, Kuwaitis, Kurden. Terroropfer. Jemeniten, Syrier, Afghaninnen. Männer, Frauen, Kinder in der Ukraine, in Israel und Gaza. Vor Jahren waren es noch einzelne Standbilder, kurz eingeblendet zur TV-Moderation, da konnten wir uns von Nachricht zu Nachricht erholen und ab und zu Geld spenden, um das Gewissen zu beruhigen. Wenn wir heute vom 24/7-Leidenstsunami einmal wegschauen, fühlen wir uns schon als Realitätsverleugner.

Und doch: Muss man alles gesehen haben? Ist die Kamera, die die Mutter mit dem toten Kind im Arm, den Schwerverletzten im Spital, den Toten am Schlachtfeld einfängt, nicht eine weitere Gewalttat? Ist nicht jedes Video verzweifelt Trauernder eine Vergewaltigung? Wurden sie denn vorher gefragt, ob sie in ihrem Leid für alle Welt sichtbar sein wollen? Oder werden sie gar für Propagandazwecke missbraucht? Und werden wir, wenn wir uns das ansehen, zu Mittätern, vergleichbar den Konsumenten von Kinderpornos?

Jedes Bild schlägt neue Wunden — beim Betrachter wie beim Betrachteten. Und dieses Bild vergeht nicht, ist es einmal abgespeichert.

Hinsehen oder Wegsehen, beides wird zunehmend unerträglich.

Wundert es dann noch jemanden, wenn hierzulande Unfallopfer, Verletzte, Sterbende, Tote mit dem Handy abfotografiert werden? – Man muss die Realität eben dokumentieren, wenn man schon nicht helfen kann! — Oder wenn andere an einem hilflos auf der Straße Liegenden schnell vorbeigehen und sich auch sonst aus der bösen Welt und ihren Problemen einfach ausklinken?

Was soll man dagegen tun? Die Massenmedien sind halt so. Sie bilden bloß ab, was viele sehen wollen.

Aber wollen viele wirklich genau das alles sehen?

Könnte man von Medien nicht auch anderes einfordern als eine abstumpfende Folge von Bildern der Verzweiflung? Zum Beispiel: klare Grenzen des Zeigbaren zur Wahrung der Menschenwürde wirklich einzuhalten; Nachdenken zu generieren; Hilfsmöglichkeiten auszuloten; und:  jeden fernen Hoffnungsschimmer sichtbar zu machen.

Kurzum: Könnten die Medien nicht endlich zu dem werden, als was sie einmal erdacht wurden: Schrittmacher zivilisatorischen Fortschritts?

Geboren 1954 in Lustenau. Studium der Anglistik und Germanistik in Innsbruck Innsbruck. Lebt in Sistrans. Inzwischen pensionierte Erwachsenenbildnerin. Tätig in der Flüchtlingsbetreuung. Mitglied bei der Grazer Autorinnen und Autorenversammlung Tirol, der IG Autorinnen Autoren Tirol und beim Vorarlberger AutorInnenverband. Bisher 13 Buchveröffentlichungen.

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