(c) Helmuth Schönauer

Aus dem Öffi-Milieu 1

6 Minuten Lesedauer

1)
Vor der Wurstabteilung
Ein Rollator-Mann fährt einer Frau in die Kniekehlen, als diese unter Gelächter ein Stück Extrawurst bestellt. Sie sagt nämlich „Notnagl“ zur regional berühmten Metzgerei „Hörtnagl“.
Rumms!
– He Sie, Ihnen sollte man den Führerschein abnehmen, wenn Sie noch einen haben.
– Leider nein, musste ich schon abgeben, weshalb ich jetzt hilflos am Rollator herum rudere.

(2)
Später Vormittag
An der Bushaltestelle ist um diese Zeit die Rentnermasse überschaubar, die Fitten sind schon am Berg, die Fetten sitzen bereits im Wartebereich diverser Ambulanzen herum. Wer jetzt Bus fährt, trägt womöglich eine interessante Story mit sich herum.
– Hallo Manuel, wo gehst du um, ich habe dich schon lange nicht mehr gesehen.
– Ja genau dreißig Tage.
– Warum weißt du das so genau.
– Ich bin vor dreißig Tagen am Mitterweg von einem Ausweichverkehr zum Flughafen erfasst und auf die Straße geschleudert worden. Anschließend war ich 30 Tage in der Klinik.
– Und wo ist das geschehen?
– Genau auf der Bodenmarkierung für die Dreißiger-Beschränkung. Stell dir vor, ich wäre auf einer 70er Markierung überfahren worden, da hätte ich 70 Tage aussetzen müssen, wenn ich es überhaupt überlebt hätte.

(3)
Unerwartete Anfrage im öffentlichen Raum (Busstation)
– Darf ich Sie als Frau etwas fragen, was mich als Rentner schon lange quält?
– Wenn es keine verdeckte Anmache ist.
– Nach Ihrer Einschätzung, ist eine alleinerziehende Mutter ein Opfer oder eine Täterin?
– Wo wäre der Unterschied?
– Wenn sie das Kind gar nicht wollte, wäre sie Opfer, wenn nicht, Täterin. Sie wollte als Täterin vielleicht bewusst allein sein bei der Installation und Aufzucht der Nachkommen.
– Ich dachte immer, Alleinerziehende bezieht sich auf das Kind, weil es als Einzelkind allein betreut werden muss.
– Noch schlimmer, dann wäre „alleinerziehend“ noch mehr Ausdruck für eine Täterin!

(4)
Recherche in Ohnmacht
Ein paar ehemalige Beamte sind mit Hurtigruten nach Bodø in Norwegen unterwegs. Das Schiff fährt so schnell, „hurtig“, dass die Beamten der Reihe nach in Ohnmacht fallen, weil sie den Speed nicht gewohnt sind.
In Bodø werden sie vom Schiff gebracht.
– Und was wollten Sie in dieser norwegischen Stadt?
– Schauen, wie die Stadt wieder auf norwegisch aufgebaut worden ist, nachdem sie im Mai 1940 von den Deutschen grundlos und überraschend bombardiert und ihrer deutschen Hanse-Wurzeln entledigt worden war.

(5)
An der Endstation „Rehgasse“
– Die da drüben haben alle einen fetten Arsch, die sind wahrscheinlich alle miteinander verwandt?
– Oder es sind einfach Mitterweg-Natives, wie sie im Lehrbuch an der Haltestelle stehen.

(6)
Sprechende Wanderrucksäcke
– Endlich lerne ich Ihre Frau kennen, Guten Tag.
– Ja wir arbeiten beide an der Uni.
– Das ist interessant, da haben Sie sicher immer Stoff zum Erzählen.
– Wir sind im gleichen Institut und sprechen meist am Abend das zu Ende, was wir tagsüber neben der Arbeit begonnen haben.
– Verstehe. Ich hingegen bin unverheiratet, ich wüsste nämlich nicht, was ich zu Hause reden sollte, ich erlebe nämlich nichts.

(7)
Dauerbrenner
Ein älterer Fahrgast lässt beim Einsteigen durch die Mitteltüre an der Haltestelle Tiergartenstraße einen formidablen Furz.
Ein nachfolgender Passagier nimmt spontan den Kontakt auf.
– Das haben Sie gut gemacht, kluge Ortswahl. So bleibt der Furz draußen und die Erleichterung drinnen.
– Ja, und zudem kommt die Freude, dass ich es immer noch kann.
– Stimmt, ein Furz macht überall Freude, ich wüsste keinen Ort, an dem er nicht für Heiterkeit sorgte.
– Ein Problem habe ich freilich seit Kindertagen, ich weiß nie, wie man den Furz lautmalerisch richtig schreibt.
– Nehmen sie „Bwieeennnggg“, Ihrer hat so geklungen.

(8)
Zeuge am Zebrastreifen
Ich war der Letzte, der seine Zunge lebend aus dem Gesicht heraushängen sah.
Mich hätte der Biker beinahe am Zebrastreifen überfahren, er hat mich offensichtlich spät gesehen, hatte aber noch Zeit, mir die Zunge zu zeigen.
Anschließend ist er gegen einen Poller gefahren, und als ich hinkam, um dem Gestürzten zu helfen, sah ich seine Zunge etwa einen Meter entfernt von seinem Helm im Asphaltbeet liegen. Er hatte sich die Zunge offensichtlich abgebissen. Kein Wunder, dass er jetzt nicht mehr mit uns sprechen will oder kann.

(9)
Privates in der Öffentlichkeit
– Ich habe zwei Tage nach dem Welttag für Alzheimer Geburtstag.
– und?
– Solange ich einen der beiden Tage noch wahrnehme, ist mein Hirn noch in Ordnung.

(10)
Breze
Einer Frau reißt vor der Bushaltestelle das Baguette-Sackl und zwei Brezen fallen zu Boden und zerbrechen.
– Germanist: Das nennt man eine Breze bauen!
– Frau: Ich bin Ihnen so dankbar, dass Sie für mein Ungeschick eine passende Formulierung haben.
– Germanist: Gerne gerne. Ich lasse selber oft etwas fallen und zerbrechen, damit ich den Breze-Ausdruck verwenden und vor dem Aussterben bewahren kann.

STICHPUNKT 23|83, geschrieben am 10.10. 2023

Geboren 1953. Ist seit Gerichtsverfahren 1987 gerichtlich anerkannter Schriftsteller, bis 2018 als Bibliothekar an der ULB Tirol. Als Konzept-Schriftsteller hält er sich an die These: Ein guter Autor kennt jeden Leser persönlich.

Etwa 50 Bücher, u.a.:
* BIP | Buch in Pension | Fünf Bände (2020-2024)
* Anmache. Abmache. Geschehnisse aus dem Öffi-Milieu. (2023)
* Austrian Beat 2. [Hg. Schneitter, Schönauer, Pointl] (2023)
* Verhunzungen und Warnungen. | Geschichten, entblätterte Geschichten, verwurstete Geschichten. (2022)
* Outlet | Shortstorys zum Überleben (2021)
* Antriebsloser Frachter vor Norwegen | Austrian Beat (2021)
* Tagebuch eines Bibliothekars | Sechs Bände (2016-2019)

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