Das Tiroler Landesmuseum hat ein Plattenlabel!

/
9 Minuten Lesedauer

Staunende Gesichter. So recht will mir niemand glauben. „Alter, die haben ein Plattenlabel“. Mit „die“ meine ich das Tiroler Landesmuseum. Ich gebe mich betont cool und lässig, imitiere die Jugendsprache, wenn ich kurz über die letzten 22 Veröffentlichungen des „musikmuseum“ spreche, von denen natürlich die coole Innsbrucker Musik-Szene kaum etwas mitbekommen hat. Ich ergriff jedenfalls die Gelegenheit und begab mich am 17.03. zu einem Konzert von Annette Seiler, das ebenfalls vom „musikmuseum“, dem „Plattenlabel“ des Landesmuseums, veranstaltet wurde. Und wollte darüber schreiben.
Es ist der 17.03. Am Nachmittag chatte ich noch schnell mit Franz Gratl über Facebook. Franz Gratl ist der Kustos hinter der Musiksammlung des Ferdinandeums, den ich schon einmal kurz bei einem Konzert von Peter Waldner im Rahmen der „Innsbrucker Abendmusik“ kennen lernen durfte. Für diese Konzertreihe hat Franz Gratl auch schon den einen oder anderen Text verfasst. Was bei diesen Texten auffällt ist die unglaubliche Gelehrsamkeit, die diese ausstrahlen. Hier stimmt einfach alles, nichts steht in Frage. Historisch ist stets alles belegt durch Briefwechsel oder Äußerungen von Zeitgenossen, ausgeschmückt wird mit eigenem brillanten musikhistorischen und musikwissenschaftlichen Wissen.
Wenn Franz Gratl etwas schreibt, dann hat das, salopp formuliert, Hand und Fuß. Die Sätze sind apodiktisch. Zu widersprechen traut sich ohnehin keiner mehr, am allerwenigsten ich, der solche Konzerte und solche CD-Veröffentlichungen mit Faszination aber immer auch mit Respekt rezipiert. Als ausgemachter Nicht-Experte bei dieser Art von Musik bin ich immer nur leidenschaftlicher Hörer, der sich hier in gewisser Weise auch eingeschlichen hat. Jemand, der die ganzen Briefwechsel und historischen Verweise erst gar nicht kennt, sondern die Musik im Hier und Jetzt perzipiert. Naiv, direkt, emotional. Die wissenschaftliche Distanz und die Fähigkeit zur Analyse versagt hier bei mir vollständig. Ich bin ein einfacher Hörer unter vielen Fachmännern und Fachfrauen.

Annette Seiler, die mich am Hammerflügel an diesem Abend schwer begeistern sollte...
Annette Seiler, die mich am Hammerflügel an diesem Abend schwer begeistern sollte…

Beim „musikmuseum“: Ein Laie unter Fachmännern?
Franz Gratl hingegen schien das nicht zu stören. Vielleicht gefiel es ihm, dass ich als einfacher Hörer Interesse am „musikmuseum“ zeigte? Wir trafen uns jedenfalls am Abend des Konzertes von Annette Seiler im ORF-Kulturhaus. Ich war in Begleitung eines gewissen Felix K. Franz Gratl begrüßte uns freundlich, fast schon freundschaftlich. Er hatte mir nicht nur Flyer und Infomaterial mitgebracht, sondern auch gleich die komplette Serie der CD-Veröffentlichungen des „musikmuseum“.
Wollte er mir damit auch sagen, dass ich eigentlich nur über dieses Projekt schreiben kann, wenn ich alles gehört habe? Vielleicht. Klar ist aber, dass hier jeder einzelne Tön zählt, jedes gesungene Wort. Die Konzerte, die vom „musikmuseum“ veranstaltet werden wirken wie Abende für Eingeweihte. Für Menschen die hören, wenn ein Ton unsauber klingt. Für Menschen die sich stundenlang über Instrumente und deren Bauart unterhalten können und die immer wieder mal ihr musikwissenschaftliches Fachwissen einflechten um diese oder jene Aufführungspraxis zu legitimieren.
Das sind dann wohl auch die Menschen, mit denen ich mich stundenlang über die Verzierungen bei J.S. Bach unterhalten könnte, wenn ich denn nur Ahnung von dem Thema hätte. Ich bin hoffnungslos unterqualifiziert und kann nur meine eigene Hörsozialisation und meine eigenen Hörgewohnheiten mit ins ORF-Studio nehmen. Ich fühle mich fast schon nackt. Ein wenig hilflos. Aber definitiv interessiert.
Das "Innenleben" des Hammerflügels.
Das „Innenleben“ des Hammerflügels.

Das erste, was mir auffällt: Alles ist auf das Instrument zugespitzt und zentriert. Die Stühle sind in einer Art von Halbkreis rund um das Instrument aufgestellt. Es ist ein Hammerflügel von Conrad Graf. Experten brechen ob dieses Instrumentes regelmäßig in Begeisterungsstürme aus. Mich begeistert vor allem die Optik und natürlich auch das Jahr der Produktion dieses Hammerflügels, die mit dem Jahr 1835 datiert. Der Hammerflügel gehört, erwartungsgemäß, dem Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum.
Der folgende Abend ließ dann meine ganzen Bedenken verschwinden. Als Annette Seiler sich an den Hammerflügel setzte war ich augenblicklich begeistert. Berührt. Emotional getroffen. Hätte ich das unter dem Titel „Mendelssohniade – Romantische Klaviermusik im Originalklang“ vermutet? Eher hätte ich unter dieser Beschreibung eine Studie vermutet, die sich mit Klang und spielerischen Möglichkeiten dieses Instrumentes auseinandersetzt. Es wurde tatsächlich sehr viel mehr. Und zugleich dennoch eine Studie in Klang und spielerischen Möglichkeiten.
Meine These: Die konzentrierte Beschäftigung im Rahmen des „musikmuseum“ mit Instrumenten, Komponisten und Notentexten ist die Basis, um das immense klangliche und spielerische Niveau zu garantieren. Diese Beschäftigung wirkt fast schon ein wenig autistisch, wie eine Art von Geheimwissen. Zumindest wirken die Personen dahinter ein wenig aus der Zeit gefallen. So ist es klar, dass Franz Gratl als Kustos bezeichnet wird. Kein anderes Wort würde passen.
Seine Beschäftigung mit Musik, Material und Musikgeschichte wirkt so konzentriert und konzise als ob er wirklich alle Zeit der Welt hätte. Er wirkt als könnte ihm die Geschäftigkeit, Gegenwartsbezogenheit und Schnelllebigkeit der heutigen Zeit nichts anhaben. Er beharrt auf etwas. Insistiert. Man glaubt ihm sofort, dass er die Musik, die beim „musikmuseum“ veröffentlicht wird, absolut liebt. Er sagt, dass er sie als eine Art von kulturellem Archiv betrachtet. Als etwas, dass es Wert ist beschützt zu werden.
Es liegt noch viel lustvolle "Hörarbeit" vor mir...
Es liegt noch viel lustvolle „Hörarbeit“ vor mir…

Vielleicht ist es das, was den Abend musikalisch so großartig macht? Hier wird ein spielerisches und klangliches Niveau in einer Zeit behauptet, gefestigt und erweitert, die eigentlich kaum mehr Wert auf feine Zwischentöne und Nuancen legt. Der Rezipient im Heute hat die große Show im Sinne, das große Ganze, er konzentriert sich kaum mehr auf die kleinen Feinheiten, die aber in Summe den entscheidenden Unterschied machen.
Am gestrigen Abend führte diese Haltung zu teils spektakuläre Ergebnissen, die weit über den Studien-Charakter für Liebhaber hinausgingen. Unter diesem hohen Anspruch an Instrument, Notentext und Interpretin wurde die Musik zum Leben erweckt, vergegenwärtigt. Sie berührte mich zutiefst, brachte mich zum Teil völlig aus der Fassung.
Was blieb nach diesem unglaublichen Abend? Unter Umständen die Erkenntnis, dass noch viel Arbeit vor mir lag. Ich musste mich noch durch sämtliche CD-Veröffentlichungen hören und ich musste einfach wieder etwas über das „musikmuseum“ schreiben. Sehr bald. Ich war erst am Anfang und hatte erst einen ersten Blick in diese musikalische Welt hineingeworfen, die so vielen bedauerlicherweise fremd bleibt.
Ich wünschte mir, dass mehr Menschen Zugang fänden. Und bemerkten, dass hoher musikwissenschaftlicher Anspruch und direkte, emotional zugängliche Interpretationen sich nicht ausschließen, sondern sich sogar bedingen. Das genau ist die Qualität, die hinter den Veröffentlichungen und Konzerten des „musikmuseum“ steht.
(P.S.: Man verzeihe mir bitte etwaige Ungenauigkeiten bei der Beschreibung der Strukturen des „musikmuseum“ und das Tiroler Landesmuseums)

Elfenbeinturmbewohner, Musiknerd, Formfetischist, Diskursliebhaber. Vermutet die Schönheit des Schreibens und Denkens im Niemandsland zwischen asketischer Formstrenge und schöngeistiger Freiheitsliebe. Hat das ALPENFEUILLETON in seiner dritten Phase mitgestaltet und die Letztverantwortung für das Kulturressort getragen.

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.